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Interview mit Fotograf Heinrich Völkel über krieg und Fotografie

»Das eigene Erschrecken ist beabsichtigt«

Interview

Heinrich Völkel porträtiert in seinen Serien immer wieder vom Krieg gezeichnete Städte. Im Interview spricht der Fotograf über die Ästhetik der Zerstörung und wie der Umgang der Menschen mit den alltäglichen Folgen von Krieg fühlbar wird.

zenith: Sie haben im Gazastreifen für Ihre Serie »The Terrible City – Gaza 2009« bizarr verwüstete Städte fotografiert, Hinterlassenschaften israelischer Truppen, in denen sich die palästinensische Bevölkerung wieder notdürftig eingerichtet hat. Sie zeigen nicht nur die Zerstörung der damals weltweit kritisierten Militäroperation, sondern wie die Menschen damit umgehen, damit improvisieren …

Heinrich Völkel: Die fotografische Serie, die in Gaza entstanden ist, beruht ja auf der Grundfrage: »Wie viel Stadt braucht der Mensch, damit es Stadt bleibt?«, die ich mir selber beantworten wollte. Ich habe bewusst nicht die unmittelbaren zivilen Konsequenzen fotografiert, sondern eine Form gesucht, die allgemeingültiger über »Krieg« erzählt und wie sich Stadt durch ihn verändert. Eine der Sachen, die mich am modernen Fotojournalismus aus Krisengebieten sehr stört, dass die Geographie fast keine Rolle spielt, sie fast austauschbar geworden ist. »Wo ist das, wie sieht es da aus?«, das will ich wissen. Auch deshalb diese Hinwendung zum Ort und zur Architektur der Zerstörung und den Umgang der Bewohner damit.

 

In Marokko haben sie afrikanische Flüchtlinge fotografiert – auch hier eine Situation zwischen Leid und Hoffnung …

Damals war Marokko der größte Warteraum Afrikas für Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa. Zusammen mit dem Autor Ariel Hauptmeier wollte ich genau diesen Schwebezustand, das Warten und Hoffen, abbilden. Uns ging es darum, eine Seite der Problematik zu zeigen, die damals, im Jahr 2002, quasi niemanden interessiert hat. Es ging zu dieser Zeit ja vor allem um die gefährlichen Überfahrten mit den Schlauchbooten und was dann passiert wenn die Flüchtlinge in Spanien landen. Die Arbeit war noch sehr stark fotojournalistisch geprägt.

 


Heinrich Völkel

wurde 1974 in Moskau geboren, hat am Lette-Verein in Berlin Fotografie studiert und wird von der Berliner Agentur Ostkreuz vertreten. 2011 und 2014 war Völkel Juror beim zenith-Fotopreis »Muslime in Deutschland«.


Ihre auf Zypern im Jahr 2012 entstandene Serie »The Green Line« thematisiert die seit 40 Jahren von den Vereinten Nationen überwachte Pufferzone, die den Norden und den Süden trennt, durch die Hauptstadt verläuft und heute die Grenze darstellt. Welche Schwierigkeiten hat man bei der Realisierung einer solchen Arbeit?

Das größte Problem bei dieser Geschichte war der Zugang zur Pufferzone, den nur die Pressestelle der UN ermöglichen kann. Mir hatte man gesagt: »Komm, du kannst rein, Dein Projekt machen, Zeit ist kein Problem.« Als ich dann da war, sollte ich plötzlich nur noch eineinhalb Stunden haben, an einem Tag. Da fängt man dann an zu argumentieren, zu betteln und zu hoffen. Am Ende habe ich mein Konzept umgestellt und erweitert.

 

Sie arbeiten für die Zeit, das SZ Magazin, Stern und Spiegel – aber auch an freien Projekten in verschiedenen Krisengebieten der Welt. Was unterscheidet die freien Bildreihen von Auftragsarbeiten wie »Baumwolle aus Usbekistan« – eine Reihe, die für das Magazin Nido entstanden ist?

Auftragsarbeiten haben den Vorteil, dass man sich meist um die Logistik nicht so große Gedanken machen muss. Aber der große Unterschied ist die Zeit, die einem zur Verfügung steht, eine Arbeit umzusetzen. Die braucht es aber, für das bessere Verständnis und das bessere Bild.

 

Gerade die in Gaza entstandenen Bilder verwirren in ihrer verstörenden Ästhetik. Da versuchen Menschen in Abbruchhäusern ein halbwegs normales Leben zu führen. In Gebäuden, wo ganze Außenwände fehlen! Oder dieser Blick durch das ausgebrannte Kinderzimmerfenster. Surreal.

»Die Schreckliche Stadt« nimmt den Betrachter mit auf meine Reise in den Gazastreifen. Diese Mischung zwischen Schönheit der Bilder und dem Schrecken des Abgebildeten sind ja auch meine Emotionen, die ich vor Ort hatte. Das ist ja beabsichtigt, dieses eigene Erschrecken, wenn man etwas schön findet, dass Krieg und Zerstörung zeigt. Ich denke, die Serie hat auch etwas Zeitloses, das über den konkreten Anlass hinausgeht und eine allgemeinere Aussage darüber trifft, wie Krieg unsere Welt verändert.

 

Sie zeigen ihre Arbeiten immer wieder auch bei Ausstellungen, wie etwa im Münchner Stadtmuseum, bei Freelens in Hamburg, im Haus der Kulturen der Welt in Berlin oder bei C/O Berlin. Welche Schwierigkeiten gibt es womöglich, Ihre bildjournalistischen Arbeiten in einem Ausstellungskontext zu zeigen?

Ehrlich gesagt ist es ja andersherum. Meine Projekte werden eher für Ausstellungen produziert und von mir konzipiert. Ich finde es gerade wichtig, Fotografie, die sich mit Inhalten beschäftigt und dokumentarischer Natur ist, vom Korsett der Magazine zu befreien und eine intensive und andere Auseinandersetzung mit dem Betrachter zu ermöglichen. In der Flut der Bilder, die uns jeden Tag umbranden, ist ein stiller Raum mit guter Fotografie an der Wand eine Einladung zum Verweilen.

 

Lassen Sie uns über ihren Stil sprechen. Sie finden im Zerstörten, Geschundenen erstaunlich viel Schönheit, sind zu einem guten Stück fasziniert von der Zerstörung, von der Trümmerarchitektur …

Meine Faszination gilt nicht dem Zerstörten, sondern dem Moment. Mein Thema ist der Krieg. Im Moment beschäftige ich mich mit den Auswirkungen von militärischen Auseinandersetzungen, aber ich will und werde in Zukunft auch die Ursprünge und den Anfang dieser Konflikte einbeziehen. Neue Projekte sind geplant und schon begonnen. Ich bin selber gespannt, wohin mich die Beschäftigung mit dem Thema führen wird.

 

Sie haben einmal gesagt, eine zerstörte Stadt wäre nie ganz zerstört, sondern immer auch schon Teil eines Neuanfangs …

Ja, das stimmt. Eine zerstörte Stadt ist immer der Geburtstort von Aufbauwillen und etwas Neuem. Ich finde, das kann man ganz gut gerade hier in Deutschland sehen. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges haben ja auch zu einer neuen Architektur, einem anderen Verständnis von Stadt, zu neuen Ideen und neuen Strukturen geführt. Eine Stadt ist komplexe, vielschichtige Struktur und gerade die Bewohner machen sie lebendig. Nicht Glas, Stein und Beton.

Von: 
Interview: Marc Peschke

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