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Kopftuch und Theater

»Ach, das weißt du nicht? Ich bin die Bombe«

Feature

Kopftuchurteil, Konflikte und Klischees: Um die muslimische Verschleierung ranken sich Mythen und hitzige Diskussionen. In den Niederlanden will ein Theaterstück nun mit Vorbehalten aufräumen: Vorhang auf für die Hijabi-Monologe.

»Wisst ihr, wie es ist, wenn man jeden Tag eine Milliarde Menschen repräsentiert, sobald man aus dem Haus geht? Wie es ist, täglich eine ganze Weltreligion zu repräsentieren? Es ist anstrengend. Es ist erdrückend. Manchmal macht es mich wütend, und manchmal bin ich es einfach nur leid.« Die junge Frau auf der Bühne weiß, wovon sie spricht. Denn sie trägt Kopftuch und lebt mitten in Europa. Dort ist sie aufgewachsen.

 

Die sogenannte westliche Welt ist ihr Zuhause, ihre Heimat – und doch wird sie stets als fremdartig, als ausländisch, als anders wahrgenommen. Als Muslimin eben. Das bringt einige Hürden im Alltag mit sich: »Wenn ich in der Uni-Vorlesung nichts sage, dann natürlich, weil ich eine unterdrückte Frau bin. Religion, Männer und Kleidungsvorschriften unterdrücken mich, denken meine Kommilitonen dann.

 

Dass ich mich nicht am Unterricht beteilige, weil ich schlicht meine Hausaufgaben nicht gemacht, sondern stattdessen die halbe Nacht vorm Computer auf Facebook vertrödelt habe – wie übrigens 90 Prozent meiner Kommilitonen – darauf kommt niemand.« In ihrer Stimme schwingt kein Vorwurf mit, vielmehr ist es Verwunderung. Wo sie herkomme, werde sie oft gefragt. Sie sei eine von diesen religiösen Freaks, werde oft getuschelt. »Seht ihr mich überhaupt? Ich bin keine Repräsentation. Ich bin ein menschliches Wesen!«

 

Diese Zeilen sind das Herzstück der »Hijabi-Monologe«. Die kurzen, oft humorvollen Monologe kopftuchtragender Frauen, sogenannter Hijabis, touren seit 2006 erfolgreich durch die Vereinigten Staaten, feiern in Indonesien Erfolge und erobern seit zwei Jahren auch Europa: 2012 hatte das Stück Premiere in Dublin und gastierte seitdem in zahlreichen irischen Städten, es folgten Aufführungen in Großbritannien. Im November geht nun die niederländische Version auf Tournee. Als nächste Stationen stehen Frankreich, Belgien und Spanien auf dem Programm – und Deutschland.

 

Wenn es nach Liz McBain vom »British Council« in Irland geht, soll eine deutsche Adaption des Stückes schon bald Premiere feiern können. McBain holte die »Hijabi-Monologe« 2012 nach Europa und koordiniert Schauspieler, Spielorte und Tourneepläne. Sie hält es gerade angesichts aktueller Nachrichten über islamistischen Terror und gesellschaftlicher Skepsis gegenüber Muslimen für wichtig, muslimischen Frauen eine Bühne zu geben: »Das Kopftuch wird mittlerweile wie eine Hautfarbe als physisches Unterscheidungsmerkmal wahrgenommen.

 

Es identifiziert eine Frau als muslimisch – in einer Zeit, in der Muslime mit vielen Klischees, öffentlichem Argwohn und Diskriminierung konfrontiert sind. Viele muslimische Frauen in Europa begegnen gleich einem ganzen Bündel von Annahmen über ihren Glauben, ihre politische Einstellung, ihre Bildung, ihre soziale Schicht. All diese Vermutungen basieren ausschließlich darauf, ob frau Kopftuch trägt oder nicht.« Diese Erfahrung machten auch die Studentinnen Sahar Ullah und Zeenat Rahman aus Chicago.

 

Gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Dan Morrison schrieben sie 2006 auf, was ihnen wiederfuhr und wie sie sich dabei fühlten. So entstanden die »Hijabi-Monologe«. Mit voller Absicht ist der Name angelehnt an die weltweit erfolgreichen »Vagina-Monologe« von Eve Ensler. Während Ensler 1996 mit ihren Monologen das Intimste und Privateste der Frau auf internationalen Bühnen zum Thema machte, drehen die Autoren der »Hijabi-Monologe« dieses Prinzip um: Das bereits auf den ersten Blick sichtbare Kopftuch, Gegenstand ständiger öffentlicher Diskussion, wird nach und nach ausgeblendet, bis die Persönlichkeit darunter zum Vorschein kommt.

 

»Wir wollen hinter das Klischee blicken und den Blick öffnen für das Individuum, um zu zeigen, dass muslimische Frauen ganz unterschiedliche Identitäten, Erfahrungen und Meinungen haben. Genau wie jeder andere Mensch auch.« Zu diesen Erfahrungen gehören auch Tabuthemen: Ein Monolog zeigt die Wut und Verzweiflung einer jungen Muslimin, die sich als Außenseiterin fühlt. In ihrer Einsamkeit lässt sie sich vom Nachbarsjungen verführen und wird schwanger. Der werdende Vater will nichts mehr von seiner Kurzzeitgeliebten wissen, deren Verzweiflung mehr und mehr der Wut über die Selbstgerechtigkeit ihres Umfeldes weicht.

 

Eine Geschichte, wie sie jungen Frauen überall widerfahren kann – ob nun Muslimin oder nicht. Überhaupt, die Wut: Noch so ein Bruch mit dem Klischee der unterwürfigen, willenlosen verschleierten Frau, das die europäische Kulturgeschichte seit dem 18. Jahrhundert immer wieder aufgreift. Die Schauspielerinnen und Laien auf der Bühne machen keinen Hehl daraus, dass sie Diskriminierung nicht nur mit stillschweigendem Unverständnis und bisweilen mit Humor, sondern durchaus auch mit Wut begegnen können. Auf die lapidar gestellte Frage »Du hast ja wohl keine Bombe unter deiner Burka versteckt, oder?« antwortet eine der jungen Frauen ebenso vermeintlich lapidar: »Ach, das weißt du nicht? Ich bin die Bombe.«

 

Um gegenseitige Vorwürfe geht es in den »Hijabi-Monologen« jedoch nicht, im Gegenteil:  »Das Publikum realisiert, dass nicht nur Kopftuchträgerinnen vor ihnen stehen, sondern komplexe Persönlichkeiten«, erklärt Liz McBain. In den Monologen versteckten sich auch viele nützliche Informationen: »Ich selbst habe zum Beispiel durch die Arbeit an den Hijabi-Monologen nebenbei gelernt, was halal ganz genau bedeutet und welche modischen Hürden und Möglichkeiten Kopftücher mit sich bringen«, erzählt McBain.

 

Fünfzehn Gastspiele in den Niederlanden sind allein für den November geplant. Unter der künstlerischen Leitung von Rajae el Mouhandiz hat das niederländische Publikum dann die Möglichkeit, so manches Vorurteil im Zuschauerraum zurücklassen. Die »Vagina-Monologe« starteten 1996 auf kleinen Bühnen amerikanischer Universitäten,  bevor sie den Broadway und schließlich fast die ganze Welt eroberten. Vierzehn Jahre dauerte es, bis auch das deutsche Publikum an den Erlebnissen teilhaben konnte.

 

Die »Hijab-Monologe« könnten ihr Vorbild schon bald überholen: Deren Uraufführung ebenfalls auf einer kleinen amerikanischen College-Bühne liegt nun acht Jahre zurück – und die Vorbereitungen für die deutsche Version laufen bereits auf Hochtouren.

Von: 
Katharina Pfannkuch

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