Was soll feministische Außenpolitik? Die Protestbewegung in Iran zeigt es uns gerade deutlich.
In Iran geschieht Großes. Die iranischen Frauen und die vielen Männer, die mutig und solidarisch die Proteste tragen, schreiben gerade Geschichte. Die gewaltsame Tötung von Mahsa Amini und der vielen jungen Frauen und Männer, die seitdem Opfer von Gewalt durch den Repressionsapparat wurden, haben die Barrieren zwischen den verschiedenen Protestbewegungen in Iran aus dem Weg geschafft.
Immer größere Teile der iranischen Gesellschaft scheinen nun zu erkennen, dass der Kampf der Frauen für Selbstbestimmung und Freiheit auch ihr eigener ist, dass der Umgang mit Frauen über Freiheit oder Unfreiheit, Recht oder Unterdrückung der Gesellschaft eines ganzen Landes entscheidet. Diese Überzeugung wächst in Iran gerade über Generationen hinweg – bei Männern ebenso wie bei religiösen Frauen, die sich selbst verschleiern wollen.
Die hierzulande gerade diskutierte Frage, ob es dabei eigentlich um das Kopftuch geht oder nicht, ist eindeutig zu beantworten: Es geht um das Kopftuch, das als Symbol für den Zwang steht, es tragen zu müssen. Und dieser ist das Herrschaftsinstrument eines gewalttätigen Regimes. Dieses Regime hat sich selbst und praktisch jeden Bürger ermächtigt, im Namen der Islamischen Republik und dessen, was man für die islamische Ordnung hält, Frauen zu unterdrücken, zu entrechten und Gewalt gegen sie auszuüben.
Ein Ende des Kopftuchzwangs wäre auch das Ende der Islamischen Republik, der Macht der Religionsgelehrten über die iranische Politik. Denn welche Existenzberechtigung hätten sie, wenn ihre Ordnung nicht mehr gilt? Fällt das Kopftuch, fallen die Mullahs. Und weil das Regime dies weiß, fürchtet es die Solidarität mit den iranischen Frauen und geht mit Gewalt gegen Protestierende vor.
Im Zusammenhang mit den Protesten in Iran stand die Bundesaußenministerin zuletzt in der Kritik. Was, so wurde gefragt, sei die feministische Außenpolitik wert, die es unter anderem auf Annalena Baerbocks Initiative sogar in den Koalitionsvertrag geschafft hat, wenn Deutschland jetzt nicht alles täte – etwa neue Sanktionen gegen Iran zu verhängen oder das Atomabkommen aufzukündigen –, um den Kampf der iranischen Frauen zu unterstützen?
Feministische Außenpolitik ist ein Begriff, mit dem viele Menschen hierzulande nicht viel anfangen können. Mehr noch: Er wird verächtlich gemacht – den einen gilt er als »woker«, naiver Ansatz, der die harten Realitäten in der internationalen Politik verkennt, die anderen sehen darin den Versuch, liberale, progressive, europäische Wertvorstellungen anderen aufzuoktroyieren.
Feministische Außenpolitik als Realpolitik
Die Erkenntnis, dass eine ganze Gesellschaft nur so frei sein kann, wie es die Frauen in ihr sind, scheint den Menschen in Iran derzeit viel bewusster zu sein als vielen hierzulande, die sich an dem Begriff der feministischen Außenpolitik abarbeiten. Iranerinnen und viele Iraner zeigen, dass sie die Ziele bereits verinnerlicht haben, die feministische Politik – und Außenpolitik – erreichen will. Und zwar ohne das, was sie derzeit tun, so zu nennen.
Denn genau um dieses Ziel geht es: die ganze Gesellschaft hinter dem Streben um Selbstbestimmung der Frauen zu versammeln. Und wenn man sieht, wie nahe Iran gerade vor einer von Frauen initiierten und von anderen mitgetragenen Revolution steht, kann Feminismus als fulminante politische Kraft nicht mehr in Frage gestellt werden. Eine solche Kraft kann Außenpolitik nicht außer Acht lassen, ob sie progressiv sein will oder nicht.
Wie alles in der Politik, insbesondere der Außenpolitik, ist die Verwirklichung feministischer Ziele in der Außenpolitik extrem schwierigen und komplexen Abwägungen unterworfen. Es gibt keine einfachen Patentlösungen, um ihre Ziele zu erreichen. Das zeigt doch gerade ihren realpolitischen Charakter. Wie bei anderen politischen Prioritäten – Sicherheit, Menschenrechte, Energie, Kampf gegen den Klimawandel – muss eine Regierung hier auf alle Instrumente der Außenpolitik zugreifen können: auf der öffentlichen Bühne ebenso wie bei Verhandlungen im Hintergrund.
Auch mich treibt gerade das brennende Verlangen, mehr tun zu können als mitzufühlen, mitzuleiden und Solidarität zu bekunden. Oft fühle ich mich ohnmächtig. Aber man darf die Kraft der Solidarität der Regierungen und Gesellschaften so vieler Länder auch nicht unterschätzen. Menschen in Iran nehmen sie wahr und werden dadurch auch dessen vergewissert, dass in ihrem Land gerade wirklich etwas Großes geschieht. Etwas, das für die ganze Welt Bedeutung hat.
Sawsan Chebli studierte Politikwissenschaft in Berlin. Sie war u.a. stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts und als Staatssekretärin Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund. Derzeit arbeitet sie an einem Buch über die Bedeutung der Sozialen Medien für Gesellschaft und Politik.