Regisseur Nima Sarvestani spricht im Interview über seinen neuen Film »Surviving the Death Committee«, über welche Umwege der Protagonist und Täter Hamid Nouri vor Gericht landete und seine Sicht auf den jüngsten Krieg zwischen Israel und Iran.
zenith: Seit vier Jahrzehnten drehen Sie Dokumentarfilme – wie lange reicht die Idee für Ihr aktuelles Werk Surviving the Death Committee« zurück?
Nima Sarvestani: 2019 rief mich ein Freund an und fragte: »Nima, kennst du einen guten Anwalt? Hamid Nouri ist gerade auf dem Weg nach Italien.« Der frühere iranische Justizbeamte spielte eine zentrale Rolle bei den Massenhinrichtungen politischer Gefangener in den 1980er-Jahren. Er war maßgeblich an der Organisation und Durchführung der Exekutionen beteiligt. Da kam die Idee, ihn in Europa vor Gericht zu bringen. Wir wussten, dass Italien keine gute Option ist. Wir spielten mit der Idee, ihn nach Deutschland zu lotsen, weil dort bereits die ersten Prozesse gegen syrische Geheimdienstfunktionäre liefen, aber dann entschieden wir uns für Schweden. Wir versuchten, seinen Reiseweg Richtung Stockholm zu ändern und stellten ihm eine Falle. Wir kauften ihm sogar das Ticket. Wir hatten zwei Wochen Zeit, um Beweise zu sammeln, damit er bei seiner Ankunft auch tatsächlich festgenommen wird. Die Staatsanwaltschaft in Schweden musste einen Haftbefehl erlassen, das war nicht einfach. Es war sehr intensive Arbeit, rund um die Uhr, bis er schließlich auf dem Weg nach Stockholm war.
Dort nahmen ihn die schwedischen Behörden in Gewahrsam, drei Jahre später wurde er im Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt – und kam im Rahmen eines Gefangenenaustauschs im Juni 2024 wieder auf freien Fuß und reiste nach Iran aus.
Hamid Nouri rief mich tatsächlich gleich am Tag nach seiner Freilassung an. Wir hatten bereits über WhatsApp kommuniziert, ich kannte ihn inzwischen gut. In Schweden hatte ich ihn insgesamt dreimal im Gefängnis besucht. Schon damals hatte ich im Hinterkopf, einen Dokumentarfilm zu drehen, und mir war klar: Wenn ich diese Geschichte erzählen will, brauche ich auch Bilder aus dem Gerichtssaal. Doch das war nur mit seiner schriftlichen Zustimmung möglich. Und die habe ich bekommen.
Wie haben Sie das geschafft? »The Death Committee« ist ja eine filmische Anklage auch gegen Nouri und seine Rolle bei den Massenhinrichtungen.
Ich war nicht ganz ehrlich mit ihm. Ich habe ihm nämlich nicht verraten, wer ich wirklich bin, was meine auch persönlichen Beweggründe für diese Interviews waren. Und er wusste natürlich auch nicht, dass ich seine Verhaftung und damit den Prozess maßgeblich vorangetrieben hatte. Das wurde ihm erst später klar.
»Dieser Film kann ein Beispiel dafür sein, wie ein aufrichtiger Gerichtsprozess aussehen kann. Und das ist wichtig«
Worum geht es Ihnen mit diesem Film?
Für mich ist dieser Film ein zeithistorisches Dokument. Und etwas, das ich meinen Freunden und meinen Eltern versprochen habe. Und für die nächste Generation, denn viele gerade jüngere Menschen wissen gar nicht, was in den 1980er-Jahren passiert ist. Sie haben davon gehört, ja, aber dieses Werk ist wie ein Beweisstück, ein Dokument für die Zukunft – falls jemals die Gelegenheit kommt, die Massenhinrichtungen in Iran selbst juristisch aufzuarbeiten. Dieser Film kann den Menschen aber noch mehr zeigen. Nämlich über die Mörder und wie man sich mit ihnen auseinandersetzt: Denn ich bin zum Beispiel gegen die Todesstrafe gegen die Täter. Wir wollen diesen Kreislauf nicht immer aufrechterhalten. Dieser Film kann ein Beispiel dafür sein, wie ein aufrichtiger Gerichtsprozess aussehen kann. Und das ist wichtig.
Sie machen auch kein Geheimnis aus Ihren persönlichen Beweggründen für dieses Thema. Anfang der 1980er-Jahre geriet Ihre Familie ins Visier des Regimes und dessen Schergen. Ihr Bruder wurde 1982 ermordet.
Eines Nachts stürmten Sicherheitskräfte unser Haus und nahmen meinen Vater und meine beiden Brüder fest. Mein 18-jähriger Bruder wurde hingerichtet – ohne Verfahren, ohne Möglichkeit bis heute für meine Familie, dieser Ungerechtigkeit zu begegnen. Deswegen hoffen wir natürlich auf ein Ende dieses Regimes. Damit solche Prozesse endlich stattfinden und die Verantwortlichen für die Massenhinrichtungen von 1988 und darüber hinaus vom iranischen Volk zur Rechenschaft gezogen werden. Auch wenn diese Prozesse im Ausland nicht ganz dem entsprechen, wovon wir träumen, sind sie ein wichtiger Schritt. Ihre Bedeutung liegt auch darin, dass nicht nur Hamid Nouri als Einzelperson, sondern das ganze Regime und seine Denkweise vor Gericht standen.
Sie haben die Prozesse zu Syrien angesprochen. Inwiefern ist der Sturz des Assad-Regimes nun ein Referenzpunkt für Iran?
Als Assad gestürzt wurde und ein neues Regime an die Macht kam, hat das vielen Iranerinnen und Iranern Hoffnung gemacht, ganz klar. Aber diese Übergangsregierung in Syrien interessiert sich nicht wirklich für Demokratie. Dennoch sehe ich den Machtwechsel als Fortschritt. Der Unterschied zu Syrien ist folgender: Es fehlen Organisationen, Institutionen oder Parteien, die das Regime ersetzen könnten. Ich denke, das Regime wird fallen, denn es ist sehr schwach. Viele potenzielle Kandidaten sitzen im Gefängnis – eben weil sie die einzigen glaubwürdigen Alternativen wären.
Wie erleben Sie vor dem Hintergrund der Angriffe Israels im Juni und der öffentlichen Aufrufe Netanyahus zum Sturz des iranischen Regimes die politische Atmosphäre in Iran?
Einerseits trauern viele Iraner sicherlich den getöteten Kadern der Revolutionsgarde nicht hinterher. Andererseits bereitet die Lage den Menschen große Sorgen. Sie leiden seit mehr als vier Jahrzehnten unter diesem Regime gelitten und mussten jetzt die Last dieses Kriegs tragen. Grundsätzlich sehe ich in dem Sturz des Regimes etwas Positives für das iranische Volk. Nicht, dass Krieg Demokratie schaffen kann, aber ich denke, alle Iraner haben hier einfach gemischte Gefühle. Ihnen ist ja auch bewusst, dass es Netanyahu nicht wirklich um uns geh.
Nima Sarvestani wurde 1958 in Schiras geboren und lebt seit 1984 im Exil in Schweden. Insgesamt hat er über 20 Dokumentarfilme gedreht. »No Burqas Behind Bars« über Frauengefängnisse in Afghanistan wurde 2014 mit dem Internationalen Emmy für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Sein neustes Werk »Surviving the Death Committee« feierte im Rahmen der Filmreihe »MENA Prison Forum«, am 18. Juni in Berlin Deutschlandpremiere.