Vier Jahre nach Beginn des Aufstands gegen Muammar al-Gaddafi herrscht in Libyen Bürgerkrieg. Die Aktivistin und ehemalige Abgeordnete Amina Megherbi erlebte hautnah mit, wie der demokratische Übergangsprozess vor einem Jahr scheiterte.
zenith: Frau Megherbi, Sie haben Anfang 2014 trotz massiver Drohungen Parlamentsneuwahlen durchgesetzt. Woher nahmen Sie den Mut?
Amina Megherbi: Ich glaube immer noch daran, dass aus Libyen ein funktionierender Staat werden kann. Ich möchte vor allem die Jugend motivieren, sich politisch zu engagieren und nicht den Milizen das Land zu überlassen.
Wie kam es zu dem Eklat mit den Islamisten, der letztlich in einen Bürgerkrieg mündete?
Die Islamisten hofften auf eine Verlängerung des Parlamentsmandats bis Dezember. Sie glaubten, dass bis dahin eine Verfassung nach ihren Wünschen stehen würde. Wir wussten also, dass es in diesen Februartagen 2014 um die Zukunft Libyens ging. 13 Frauen formten eine Gruppe, die sich für Neuwahlen einsetzte – und gegen den Plan einer Nationalgarde, die aus Milizen bestehen sollte und damit ein Staat im Staate gewesen wäre.
Hätte eine Garde die über 200.000 Kämpfer aus Revolutionstagen nicht bändigen können?
Wir brauchen Projekte für die jungen Männer, keine neuen Waffen. Ein zweiter Sicherheitsapparat wäre eine Katastrophe gewesen. Der damalige Premier Ali Zeidan war gegen eine Nationalgarde – das war der wahre Grund, warum man ihn loswerden wollte.
Amina Megherbi
ist Englisch-Professorin aus Benghazi und war über zwei Jahre lang Abgeordnete des ersten frei gewählten Parlaments in Libyen. Als die konservative-islamistische Fraktion im Februar 2014 das Parlamentsmandat eigenmächtig verlängern wollte, verweigerten sie und zwölf weitere Frauen die Zustimmung. Im Sommer 2014 übernahmen die Milizen die Kontrolle über die Hauptstadt.
Was geschah während der Abstimmung am 13. Februar 2014?
Die Islamisten wollten Neuwahlen nur in Verbindung mit einem Rauswurf von Premier Zeidan und der indirekten Wahl eines Staatspräsidenten zulassen. Draußen vor der Tür warteten ihre Milizionäre auf uns. Eine Gruppe verließ aus Protest den Saal. Wir blieben mit einigen männlichen Sympathisanten. Wir wollten verhindern, dass das neue Libyen unter Androhung von Gewalt aufgebaut wird. Drinnen drohten uns die Islamisten offen mit dem Tod, falls wir ihren Vorschlag ablehnen würden. Eine Abgeordnete der Muslimbrüderpartei sagte, ich würde durch die Hände der Revolutionäre sterben.
Wie haben Sie reagiert?
Wir schauten uns geschockt an – mit diesem Hass hatten wir nicht gerechnet. Ich sagte, wenn mir etwas geschehe, wäre jedem klar, wer dafür verantwortlich sei. Wir entschieden, dennoch nicht nachzugeben und gegen den Vorschlag zu stimmen.
Was geschah dann bei der Abstimmung?
121 Abgeordnete stimmten für den Plan der Islamisten – für die Absetzung Zeidans fehlten somit drei Stimmen. Wir blieben stumm sitzen. Hastig versuchten die Islamisten, die drei Stimmen zu organisieren, doch einige Abgeordnete waren nicht erschienen. Als der Parlamentspräsident das endgültige Ergebnis verkündete, verließen wir das Gebäude, um den Milizen zu entgehen. In einer provisorischen Pressekonferenz betonten wir, dass die nach Sitzungsschließung wiederholte Abstimmung ungültig sei. Unter der Leitung des Parlamentsvizepräsidenten hatten die Islamisten noch einmal abstimmen lassen.
War dies der Moment, in dem der demokratische Übergangsprozess scheiterte?
Zeidan floh außer Landes. Auch die Wähler machten den Islamisten einen Strich durch die Rechnung und wählten im Juli mehrheitlich moderat. Das neue Parlament entzog sich mit dem Umzug nach Ostlibyen dem Zugriff der Milizen. Daraufhin beschlossen deren Kommandeure, die Macht in Tripolis mit Waffen zu übernehmen. Unser parlamentarischer Widerstand war erfolgreich, aber gegen Waffen sind wir machtlos.
Nun liegt Libyen trotzdem in Trümmern. War es das wert?
Obwohl ich dagegen bin, sich mit den Islamisten zu verbünden, halte ich einen Dialog weiter für möglich. Wir müssen es unbedingt schaffen, einen Kompromiss zu finden, denn nun bedrohen die Radikalen vom »Islamischen Staat« (IS) alle Libyer – egal woher sie kommen.