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Unterwegs in Teheran

Der göttliche Rabe

Feature

Wer in Teheran, noch dazu als Ausländer in Begleitung einer Iranerin, beim unbedarften Fotografieren in die Fänge der Basij-Miliz gerät, braucht ein wenig Glück, manchmal in Form von Naturaufnahmen im Serienbild.

»Über dem Eingang hängt noch die alte Leuchtreklame!«, sagte sie. »Da steht drauf ...« Einen Augenblick lang ließ sie ihn warten. Ihre Augen leuchteten. »Da steht drauf...« »Ja?«, sagte er. »...Deutsche Autowerkstatt!« Welch ein Triumph in ihren Augen lag. Rasch machten sie sich zu Fuß auf den Weg. Auf der Khiaban-e Enghelab (»Straße der Revolution«) im Zentrum der iranischen Hauptstadt Teheran gerieten sie in ein Gedränge, in dem sie sich wohl fühlten und sich ihre Stimmen unter die anderen mischten oder im Verkehrslärm untergingen.

 

Sie schoben sich durch die Menschenmassen; in der ganzen Unordnung sah er Menschen mit Aktenkoffern, die wie ferne Reisende wirkten; Mütter, Kinder, und diese machohaften jungen Männer, die ihre Augen überall hinlaufen lassen, am meisten zu ihm, dem Ausländer, und zu der hübschen iranischen Tochter an seiner Seite – Männer! Narren, die nicht müde werden und die größte Lust haben, gleichfalls neben allen Mädchen der Welt mit irgendwelchen Absichten zu laufen. Auf der vier- oder zu dieser Tageszeit auch mal siebenspurigen Straße rangen auf dem Mittelstreifen zwei Männer miteinander, zwei Mal schlug der Motorrad- dem Taxifahrer ins Gesicht, er fiel hin, stand wieder auf, und er schlug ihn noch mal. Zwanzig Schritte gingen sie noch, dann bogen sie links in eine Straße ein.

 

Wenn man nur links oder rechts abbiegt von der Khiaban-e Enghelab, verwandelt sich die 9-Millionen-Metropole Teheran in ein ruhiges Dorf: Der Raumausstatter hat sich eine kleine Holzbrücke über den Bach vor seinem Geschäft gebaut, nun isst er zu Mittag und grüßt sie einladend wie ein Dorfältester. Der alte Restaurateur zieht auf der Straße das Leder über den Holzstuhl. »Die sind noch aus der Zeit des Schahs«, sagt er stolz, »die sollen nicht vergessen werden – nicht wie alles andere hier in der Islamischen Republik!«

 

In den blumigsten Worten bietet er ihnen Tee an. »Hallo Mister, thank you Mister«, sagt der Besitzer des Kiosks. »Manche sagen, dass ich aussehe wie ein Deutscher, stimmt das?«, möchte er wissen. »Ja, das kann schon hinkommen«, sagt der Ausländer und macht ihn stolz wie ein Honigkuchenpferd. Die Wolken ziehen sich zu. »Ist es jetzt nicht zu dunkel, um Fotos zu machen?«, fragt sie. »Nein, nein, es ist perfekt!«

 

Verdächtig wie der Fuchs dem Geflügelbauern

 

In jeder Stadt im Iran, ganz besonders in Teheran, fühlt  man sich mit einer Fotokamera wie in einer idyllischen deutschen Kleinstadt mit der Axt in der Hand. Die ganze Stadt ist auf paranoid geschaltet; für die Regierung ist ein Ausländer mit einer Fotokamera verdächtig wie der Fuchs dem Geflügelbauern. Die Bewohner freuen sich, meist aber haben sie Angst: Allein, dass ihr Gesicht auf einem Foto ist, macht sie in der Islamischen Republik verdächtig, im unglücklichsten Fall auch schuldig. Das Geschäft liegt an einer unbelebten Kreuzung und so verfallen und verlassen erinnert es an eine andere Zeit.

 

Nur das Schild ist geblieben: »Deutsche Autowerkstatt. Willkommen«. Das Geschäft muss vor Jahren aufgegeben worden sein; die Fenster wurden herausgenommen oder zerschlagen, Gitter schützen den Laden nun vor unbefugtem Zutritt. Drinnen hat sich der Staub über die Kataloge deutscher Autohersteller und chinesischer Ersatzteilelieferanten gelegt. An der Wand hängt noch ein Kalender der Firma »Man«. Die Autopoliturflasche in der Ecke ist von Sonax, die aufgerissene Schmieröldose iranischen Fabrikats.

 

Sie macht sich ans Werk. Wie eine Fotostudentin arbeitet sie akribisch und eifrig, schießt Fotos aus allen Perspektiven, verändert die Belichtungszeit der Kamera und die ISO-Werte. Zwei iranische Passanten schauen mit unverwandten und neugierigen Blicken zu ihnen herüber, bei einer Zigarette rätseln sie, was sie sich bei dieser Motivauswahl nur gedacht hätten. Ein Taxifahrer hält, schaut sie einige Sekunden lang schüchtern und fassungslos an und fährt weiter. Plötzlich, die Arbeit war getan, zupft jemand an seinem linken Pulloverärmel. »Mein Herr, was machen sie hier?«, fragt er auf Persisch.

 

Der Ausländer dreht sich um. Sofort begreift er die Situation und schaltet in seinen eingeübten Lonely Planet-Modus, in dem er kein Wort Persisch spricht und unschuldig blickt wie ein Besucher im Museum. Die schäbige Anzughose des Mannes war wahrscheinlich noch ganz dieselbe wie vor vier Jahren, das Hemd hing ihm sehr wunderlich und gerade noch so über den Bauch und war mangelhaft zugeknöpft; der schwarze, ungepflegte Bart und der sprachliche Ausdruck ließen keine Zweifel: Der Mann war ein Mitglied der örtlichen Basij-Miliz, in jedem Viertel Teherans über die Sitten wacht.

 

Die Kommandeure haben ihre Schreibtische überall, ihre Fußsoldaten die Augen immer offen. Seit der erste Revolutionsführer Ruhollah Khomeini in den Achtzigern die »Mobilisierung der Entrechteten« gründete, verteidigen sie die Islamische Revolution, sind sie die extremistische Unterstützung der 1979 gegründeten Republik. Im Iran-Irak-Krieg starben sie den Märtyrertod. In der iranischen Gesellschaft sind sie omnipräsent.

 

Die Einteilung der Gesellschaft in Ränge und Ordnung pflegen die Basij zuallererst in den eigenen Reihen

 

Die iranische Tochter begriff ebenfalls sofort, in was sie hineingeraten waren. Sie grüßte höflich und förmlich, leise und wie vor Schreck gelähmt. Sie waren nun ertappt wie schäbige Kartoffeldiebe. An der rechten Hand trug der Basij einen Ring mit einem eingefassten, daumengroßen, roten Stein. Mit dem dreckigen Ringfinger zeigte er auf den Basij-Ausweis. »Was machen sie hier? Fotos aufnehmen ist in Teheran verboten! Sie wissen doch, dass sie eine Genehmigung brauchen! Haben sie eine Genehmigung?« Und so weiter. Er war finster, voll Bosheit.

 

Eine Genehmigung, um Fotos von einer verlassenen Autowerkstatt zu nehmen? Ja, das wäre hier vonnöten, sagte er. Dann sprach er wieder sehr ruhig, aber bestimmt. Er ließ keinen Zweifel, dass sie nun unheimlichen Ärger bekommen würden. Seine Nasenflügel bebten. »Ihr Ruchlosen! Mit euch habe ich kein Mitleid!«, schien er durch sie zu pfeifen. Sie versuchte ihn zu beschwichtigen, in ihren Worten kniete sie auf der Erde. Sie erzählte von dem Fotowettbewerb der Deutschen Botschaft in Teheran. Einzureichen waren Bilder, die das Verhältnis der Iraner zu Deutschland zeigten.

 

Dafür bräuchten sie wirklich eine Genehmigung? Zeitweise stand der Basij nur da, ohne ein Wort zu sagen, seine Arme hingen herunter. Dann wieder schnitt er ihr das Wort ab und wartete darauf, endlich sein Urteil sprechen zu können. Der Ausländer stellte sich diese Person als einen Polizeikommandeur mit Hut vor, der auf sein Soldatenkommando wartete. Gleichzeitig kam er ihm tief vereinsamt vor. Die Basij-Milizen haben eine straffe Hierarchie; diese paramilitärischen Freiwilligen pflegen die staatlich gewollte Einteilung der Gesellschaft in Ränge und Ordnung zuallererst in ihren eigenen Reihen. Dort auf der Straße vor der alten Werkstatt konnte der Basij zunächst nicht mehr machen, als ihnen den Weg zu dem Büro seiner Einheit zu zeigen. Er rannte zu seinem Motorrad los.

 

So stolz wie er sie am helllichten Tag abführte, witterte er den großen Fang

Eine halbe Minute waren sie alleine und der Ausländer löschte noch rasch drei Fotos auf seiner Kamera – Teheran bei Nacht –, da fuhr der Basij auf seinem klapprigen Motorrad chinesischen Fabrikats auch schon im Schritttempo neben ihnen her. Er warnte: »Hast Du die Fotos gelöscht? Mach das bloß nicht! Gib die Kamera her!« Sie redete weiter beschwichtigend auf ihn ein, machte Scherze über ihre kindliche Dummheit. Er hörte die Worte des Basij mit einem Gefühl des Abscheus und des Mitleids. So stolz wie er sie am helllichten Tag abführte, witterte er den großen Fang. Vielleicht waren sie die Erfüllung seines Diensttages?

 

Seine Hoffnung ruhte auf der Kamera. Stolz hielt er sie in den Händen wie ein Raubgräber die Büste eines ägyptischen Pharaos. Der Ausländer wurde nervös. Welche Fotos lagen noch auf der 4-Gigabyte-Speicherkarte? Wie er betrunken auf der iranischen Party zu Euro Disco aus den 1980ern tanzt? War versehentlich ein Regierungsgebäude auf ein Foto gerutscht? Die Graffitis in Teheran? Oder die Fotos zusammen mit der iranischen Frau, die für die Häscher und Sittenwächter der Islamischen Republik wie Pornobilder wirken mussten?

 

Mit seinen schwarzen, wild blickenden Augen blickte der Basij sie an. »Und wenn nicht doch noch Fotos von«..., dachte der Ausländer. Der Basij hielt es nicht mehr aus. Der jüngste Tag war gekommen und er steuerte ihnen sein Motorrad genau vor die Füße und befahl: »Bleibt stehen!« Wer sie seien was sie hier überhaupt machten, vor allem, was der Ausländer hier wollte. Der Ausländer sagte kein Wort, weil jedes Wort Persisch ihn verdächtiger machte. Mit ihr sprach der Basij wie ein Fiesling mit einem lispelnden Stotterer. Sein Gewissen erhob keine Einwendungen. Sie war an Kränkungen in der Islamischen Republik gewöhnt. Dann zog der Basij sein Handy aus der Tasche, das Display war ganz zerbrochen, die Tasten mit schwarzem Ranz überzogen.

 

»Salam, hallo!« Er hatte den Chef seiner Einheit an der Strippe. »Einen Ausländer ... ein Deutscher mit einer großen Fotokamera ... ja ja ...aha...gut...mache ich...nein, er ist nicht allein...eine iranische Frau...ja...ok.« Er legte auf.

 

Erst schlagen, dann streicheln

 

Nun wollte er auf der Stelle die Fotos sehen. Wie ein zum Tod am Strang Verurteilter mit einem letzten Gruß an die Welt, nickte der Ausländer, schaltete die Kamera an und reicht sie dem Basij. Dann schaute er ihm gebannt über die Schulter auf das Kameradisplay und wollte sogleich zum Triumph schreien: »Der Rabe im Park! Göttlicher Rabe!« Er hatte Mühe, nicht zu lachen. Der Rabe war eines Tages sein Begleiter im Park gewesen, er lief vor ihm im Gras herum, pickte in einer Mülltüte, transportierte Essensreste und flog auf den Ast eines Baumes.

 

Diese Abfolge von Bewegungen des Raben hatte er mit der Serienbildfunktion aufgenommen. Es waren 43 Fotos gewesen, er hatte nachgezählt. Vier Fotos lang setzte der Rabe einen Fuß nach dem anderen auf der Wiese auf, sein Hinterteil wackelte auf einem Foto nach links, auf dem nächsten nach rechts. Der Basij klickte weiter. 18 Fotos lang pickte der göttliche Rabe in der Mülltüte, auf einem Foto war sein Schnabel oben, dann wieder in der Mülltüte, hoch und runter, dazwischen die Ladezeit der Speicherkarte.

 

Eine lange Zeit standen sie auf der Straße, die Frau war besorgt, da sie von dem Raben nicht wusste, der Ausländer wollte losprusten, der Basij sah dem Raben zu, wie er Essensreste im Schnabel trug. Der Rabe schaute noch mal in die Kamera, dann drehte er dem Basij sein Hinterteil zu, ging fort, wackelte von einer Seite nach den andern, breitete seine Flügel aus und landete schlussendlich auf dem Ast. Das war's gewesen. Der Basij gab dem Ausländer die Kamera zurück.

 

Für eine kurze Zeit blieb nur die Stille, und es war, als verspotteten alle Raben Teherans den Basij ob seines Irrtums. Der Basij wünschte dem Ausländer eine gute Zeit in Teheran. Er sollte nur besser aufpassen und die Gesetze beachten. Indem der Basij lächelte und ihm die Hand reichte, verriet er eine andere Wesensart des iranischen Regimes: Erst schlagen, dann streicheln.

Von: 
Florian Kleine

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