40 alt wird die Islamische Republik am 11. Februar – doch die Jubelstürme halten sich in Grenzen. Vielleicht sollte sich die Führung ein Beispiel am Erfolgsrezept einer europäischen Institution im Übergang nehmen: weniger Macht, dafür mehr Fans.
Ein entspanntes Leben auf dem Altenteil könnte das Onkelchen, genannt »Napoleon«, verbringen, wäre da nicht diese Paranoia. »Kar Kar-e Inglis-as! – Die Engländer stecken dahinter!«, ruft er ständig. Vor allem dann, wenn einem ein Unglück widerfährt. Diesen Running Gag aus der Kultserie »Daijan Napoleon« von 1976 finden die Iraner lustig. Denn England ist man in herzlicher Abneigung verbunden. An Israel und den USA mag sich die Propaganda des Regimes abarbeiten – die Nachfahren des britischen Imperiums, das Iran über Jahrhunderte belagerte und um sein Öl betrügen wollte, hasst man hingegen lagerübergreifend. Das gilt für Islamisten, Linke, Bourgeois und Schah-Getreue.
Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, wird es Zeit für die Iraner, sich etwas von ihrem Lieblingsfeind, den Briten, abzuschauen. Denn nur so wird sich ihr System in ein neues Zeitalter überführen lassen – und verhindern, dass es einmal auf dem »Müllhaufen der Geschichte« landet (Leo Trotzki) oder den »Zug der Geschichte, der in die Zukunft saust« verpasst (Joseph Brodsky).
Im nächsten Jahr begeht die Islamische Republik ihr 40-jähriges Bestehen. Trotz innerer Erschütterungen und eines grauenvollen Krieges blieb sie bisher halbwegs stabil. Der Preis dafür war aber eine Herrschaftspraxis, die sich nicht auf spirituelle Führung, sondern auf Abschreckung und Bekämpfung abweichender Haltungen gründet. Millionen Iraner, insbesondere die jungen, verlangen heute, dass das Land sich öffnet, sich endlich verändert und seine ökonomischen und gesellschaftlichen Potenziale nutzt. Auf ein Niveau kommt, das dem hohen Anspruch an die eigene zivilisatorische Wertigkeit entspricht.
Wie lange will man Bürger zu ihrem eigenen Glück, nämlich der Tugend, zwingen und ihnen dafür Rechte und Freiheiten nehmen, die von weit höherer Bedeutung sind?
Selbst im konservativen und privilegierten Klerus wissen viele, dass es so nicht weitergehen kann. Die Ende Januar, von Frauen angeführten Proteste gegen das Verschleierungsgebot, denen sich hoffentlich auch noch die Herren der Nation anschließen, offenbaren eine Lebenslüge des Systems: Wie lange will man Bürger zu ihrem eigenen Glück, nämlich der Tugend, zwingen und ihnen dafür Rechte und Freiheiten nehmen, die von weit höherer Bedeutung sind?
Dieses Problem tritt auch auf der Ebene der Politik, des Staates und seiner Institutionen zutage. Sie legitimieren sich letztendlich nicht durch das Volk, sondern durch eine höhere Macht. Die Geistlichkeit bestimmt die Regeln. Ihre Einsicht in den Willen Gottes erhebt sie über jeden Zweifel. In Iran nennt man es »Velayat e-Faqih«, die »Herrschaft des Rechtsgelehrten«; derzeit heißt er Ayatollah Ali Khamenei. Dieses System steckt in einer Legitimitätskrise. Die Frage, wer oder was nach dem 79-Jährigen kommt, ob man sein Amt reformieren, auf Eis legen oder gar abschaffen sollte, ist ein Tabu von vielen.
Die Islamische Republik würde sich entschieden wehren, wenn man sie mit einer Monarchie vergleicht. Schließlich hat die Revolution von 1979 das Kaiserreich des Schahs gestürzt. Aber sitzt heute nicht anstelle eines Schahs ein Kleriker mit Turban auf dem sinnbildlichen Pfauenthron? Die »Theokratie« der Islamischen Republik, in der das Staatsoberhaupt und sein Klerus die gewählte Regierung und das gewählte Parlament einhegen, hat doch viel mehr mit Monarchie gemein, als man zugeben will.
Der Oberste Rechtsgelehrte und seine »Lords Mullahs«, das wäre der klerikale Adel, hätten dann Zeit fürs Wesentliche.
Aber sehen wir es einmal optimistisch: Wenn eine Monarchie zu einer konstitutionellen, einer parlamentarischen werden kann, warum sollte es dann keine »konstitutionelle Theokratie« geben? Der französische Orientalist Olivier Roy verwandte diesen Begriff 1987 in einem Aufsatz etwas leichtfertig. Er beschrieb damit lediglich den Umstand, dass die Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten Irans in der Verfassung definiert ist.
Aber wie sähe nun eine moderne konstitutionelle Theokratie aus? Khameneis Nachfolger dürften darin vornehmlich repräsentative, zeremonielle und spirituelle Funktionen haben. Regierungen und Gesetzgeber würden ausschließlich vom Volk bestimmt. Und es müsste zum Selbstverständnis dieses Staatsoberhauptes zählen, dass es die eigenen Untertanen als Souverän begreift.
Der Oberste Rechtsgelehrte und seine »Lords Mullahs«, das wäre der klerikale Adel, hätten dann Zeit fürs Wesentliche: die Nation spirituell anleiten, Veteranen auszeichnen, Kranke und Beladene besuchen, auf Risse in der Gesellschaft hinweisen, bei politischem Streit vermitteln und hin und wieder den divinen Glanz auf die Normalsterblichen werfen.
Die britische Monarchie hat diesen Wandel überlebt. Sie ist nicht unumstritten. Aber in der Frage, ob das eigene Volk sie liebt, müsste sie den offenen Vergleich mit der iranischen Theokratie sicher nicht scheuen.