Statt auf Deeskalation und Einhaltung des Völkerrechts zu setzen, verroht der Diskurs über den Krieg zwischen Israel und Iran in Deutschland – und lenkt damit ab von politischen Realitäten und Friedensperspektiven für die gesamte Region.
Mit in Krafttreten des Waffenstillstands in den frühen Morgenstunden des 24. Juni besteht eine gewisse Hoffnung, dass eine weitere regionale Eskalation des Kriegs zwischen Israel und Iran trotz der US-Eskalation und Angriffe auf drei Atomanlagen in Iran am 22. Juni verhindert werden kann. Auch wenn der Waffenstillstand bereits beidseitig verletzt wurde und der weitere Verlauf nicht absehbar ist. Was bleibt, ist jedoch der Völkerrechtsbruch durch die Angriffe Israels und der USA, sowie das Inkaufnehmen regionaler Eskalation – ohne dadurch die mutmaßlichen politischen Ziele realistisch zu erreichen.
In diesem Kontext hat die Aussage des Bundeskanzlers scheinbar neue Dämme im politischen Denken und öffentlichen Diskurs gebrochen. Friedrich Merz sprach im Interview mit dem ZDF letzte Woche davon, dass Israel die »Drecksarbeit« für den Westen mache. Er brachte außerdem seinen Respekt für den »Mut« der israelischen Regierung und Armee zum Ausdruck, diesen Schritt getan zu haben. Nun ist »dieser Schritt« ein weithin als völkerrechtswidriger bewerteter Angriff, dessen Auswirkungen vor allem die Zivilbevölkerung tragen muss. 974 Menschen in Iran, darunter 268 Sicherheitskräfte, und 24 Menschen in Israel wurden getötet.
Während sich die internationale Aufmerksamkeit auf den Krieg richtete, bleibt die Lage in Gaza katastrophal, humanitäre Versorgung ist nahezu unmöglich und mindestens 450 Menschen wurden in den letzten zehn Tagen getötet. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN OCHA) warnt außerdem vor akut zunehmender Gewalt und Vertreibung im Westjordanland.
Während eine deutsche und europäische Haltung angezeigt gewesen wäre, die sich mit allen Mitteln für Deeskalation und Vertrauen in Verhandlungen einsetzt und das überstrapazierte Völkerrecht stärkt, entgleiste der Diskurs weiter. Denn trotz Kritik an der Aussage von Friedrich Merz war und ist er damit nicht allein, sondern hat im Gegenteil auch Zustimmung erfahren. Umso beunruhigender ist es, dass sich diese mediale Diskursdynamik auch im politischen Raum wiederfindet.
Diese Diskursdynamik führt weg von einem Blick, der sachlich einordnet oder die Sicherheit der Menschen in der Region tatsächlich in den Mittelpunkt stellt
So bedankten sich Politiker beispielsweise für die US-amerikanischen Angriffe, deutsche Militärexperten setzen Warnungen vor einer Eskalation durch das militärische Eingreifen mit Hilflosigkeit gleich. Im deutschen Diskurs wurde bereits vor den US-Angriffen am Wochenende über die »Befreiung« der Menschen in Iran und die Vernichtung des iranischen Atomprogramms durch israelisch-US-amerikanische Militäreinsätze spekuliert. Die Rede ist von Bewunderung und politischem Fortschritt.
Ebenso wenig scheint der völkerrechtswidrige Charakter der Angriffe Israels und der USA eine Rolle zu spielen. Mehr noch, Sinn und Berechtigung der internationalen Rechts- und regelbasierten Ordnung scheinen im Diskurs teils vollumfänglich in Frage gestellt und dem Recht des Stärkeren wird das Wort geredet. Dabei hängen gerade Deutschland und die EU politisch wie wirtschaftlich von einer belastbaren regelbasierten Ordnung ab. Hingegen fügte der Bundeskanzler Stunden vor Beginn der vereinbarten Waffenruhe hinzu, Kritik am Handeln der Israelis oder USA sei unbegründet, mehr noch, sei die Militäroperation zwar riskant aber »es so zu belassen, wie es war, war auch keine Option«.
Das steht im starken Widerspruch beispielsweise zu Stellungnahmen der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Iran und der UN Fact Finding Mission zur Menschenrechtslage in Iran. Beide warnten am gleichen Tag unter anderem vor »Verstößen gegen den Grundsatz der Unterscheidung nach dem humanitären Völkerrecht« und brachten »ernste Bedenken in Bezug auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Unterscheidung und der Vorsorge bei Angriffen nach dem humanitären Völkerrecht« zum Ausdruck. Der deutsche Diskurs scheint rechtliche und politische Realitäten auszublenden. Denn eine fundierte Kontextualisierung bleibt meist aus.
Diese Diskursdynamik führt weg von einem Blick, der sachlich einordnet oder die Sicherheit der Menschen in der Region tatsächlich in den Mittelpunkt stellt, und lenkt von fachlicher Analyse oder substantieller Debatte ab. Damit schadet Deutschland letztlich den Menschen in Iran und der gesamten Region, denn die Bilanz versuchter Regimewandel durch Militärintervention ist katastrophal und die Auswirkungen des Kriegs sind grausam – unmittelbar und aufgrund bereits in den letzten Tagen zunehmender Repression seitens des iranischen Regimes gegen die Menschen in Iran. Diese Dynamik strapaziert aber auch die, über die letzten 20 Monate ohnehin belastete, deutsche Glaubwürdigkeit – und untergräbt Deutschlands soft power. Letztlich gefährdet die Bundesregierung damit auch sicherheitspolitische Interessen, denn langfristige Erfolge hinsichtlich Nichtverbreitung und nuklearer Abrüstung sehen Beobachter als Ergebnis dieser Angriffe kaum.
Das verdeutlicht, dass das Argument einer ergebnislosen Diplomatie einer differenzierten Betrachtung nicht standhält
Experten sind sich weitgehend einig darin, dass weder die israelischen noch die US-Angriffe das iranische Nuklearprogramm ein Ende gesetzt haben. So mag es taktisch zurückgeworfen worden sein, politisch aber dürfte sich das iranische Regime noch mehr bestätigt fühlen, ein solche mit noch mehr Nachdruck aufzubauen. Auch wurde zwar in den letzten Tagen weitläufig die Auffassung geteilt, die Eskalation sei folgerichtig und notwendig, da die Versuche der letzten Jahrzehnte, Iran durch Diplomatie vom Streben nach einem waffenfähigen Atomprogramms abzuhalten, gescheitert seien.
Dem widerspricht der Rückbau des Programms aus der Zeit zwischen Unterzeichnung des Atomabkommens (JCPOA) 2015 und dem einseitigen Rückzug aus dem Abkommen durch USA. Das spricht weder die Iranpolitik der letzten Jahre von Mängeln frei, noch ist gesagt, dass die diplomatischen Bemühungen der E3 (Deutschland, Großbritannien und Frankreich) zum jetzigen Zeitpunkt allein erfolgreich sein können. Es verdeutlicht aber, dass das Argument einer ergebnislosen Diplomatie einer differenzierten Betrachtung nicht standhält und nicht-militärische Mittel eben durchaus Wirkung entfalten können.
Dafür erforderlich wären aber unter anderem Vertrauen in Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit deutscher und europäischer Diplomatie. Das Ausbleiben einer klaren Benennung der Völkerrechtsverletzungen durch Israel und USA hat die europäische Position geschwächt und der schwindenden deutschen Glaubwürdigkeit eine weiteren Schlag versetzt. Denn die notwendige Direktheit gelingt in anderen Kontexten. Diese Diskrepanz der deutschen Debatte, die über die letzten 20 Monate kaum in der Lage war, israelische Verstöße gegen Völker- und Menschenrechte zu benennen, wird international durchaus wahrgenommen. Das schwächt nicht nur europäisches Verhandlungsgewicht und soft power, sondern auch das Völkerrecht als solches. Handlungsfähigkeit deutscher und europäischer Diplomatie bedingt zudem, Völkerrechtsverletzungen Konsequenzen folgen zu lassen. Was in Richtung Iran gelingt, scheint der deutschen Außenpolitik gegenüber Israel nicht möglich. Wenn aber in diesem Kontext immer neuen Überschreitungen des Völkerrechts durch die israelische Politik weder klare Benennung noch Handlungen folgen, wird auch kein Handlungsdruck in Richtung Verhaltensänderung aufgebaut.
Ebenso würde ein Blick auf Forschung und politischen Kontext zeigen, dass Freiheit und Demokratie im Sinne von Millionen von Iranerinnen und Iranern – im Land, im Exil und der Diaspora – kaum durch militärische Intervention einer immer mehr von Rechtsextremen dominierten israelischen Regierung unter Mithilfe der Trump-Administration zu erreichen sind.
Beispielsweise sollte die EU das Assoziierungsabkommen basierend auf der Überprüfung von Artikel 2 des Vertrags nun aussetzen
Nicht nur spricht dieses Narrativ dem iranischen Volk jegliche Handlungsfähigkeit ab. Es instrumentalisiert den Widerstand mutiger Iranerinnen und Iraner, die sich unter Einsatz ihres Lebens gegen das autoritäre, repressive Regime engagieren. Und es bagatellisiert die Auswirkungen dieses Krieges mit bereits 974 Opfern und Angriffen weit über militärische Ziele hinaus auf zivile Infrastruktur wie Wohngebiete. So wurde am 23. Juni auch das Evin-Gefängnis bombardiert, bekanntermaßen eine der zentralen Hafteinrichtungen für politische Gefangene. Darüber hinaus hat die Repression des Regimes in den letzten Tagen zugenommen. Menschenrechtsorganisationen berichten von mehr gezielten Festnahmen, 705 Personen allein seit Beginn des Kriegs, und Hinrichtungen unter politischen oder sicherheitsrelevanten Anschuldigungen. Seit dem 13. Juni waren Iranerinnen und Iraner außerdem einer der umfassendsten und gezieltesten Kommunikationsunterbrechungen und Internetsperrungen in der Geschichte des Landes ausgesetzt – was Information, Kommunikation und Schutz verhindert, Zensur und Überwachung hingegen befeuert.
Welche sicherheitspolitischen Auswirkungen die Eskalation haben wird, ist indes noch nicht abzusehen. Der Waffenstillstand ist brüchig, aber Deeskalation und Völkerrecht sollten Priorität behalten – zum Wohle menschlicher Sicherheit. Das erfordert politische Aufmerksamkeit und Fokus auf die sich zuspitzende menschenrechtliche Lage in Iran. Gegen die Glaubwürdigkeitskrise und den Vertrauensverlust könnte und sollte Deutschland – und die EU – mit ernsthaften und unmittelbaren Bemühungen arbeiten. Zum einen durch eine konsistente Unterstützung und Schutz derjenigen Menschen, die tatsächliche friedensstiftende Arbeit in der Region leisten, ebenso wie mit kritischer und klarer Sprache und Politik gegenüber dem iranischen Regime.
Aber das klare Eintreten für Völker- und Menschenrechte darf um Israel keinen Bogen machen. Sowohl im Zusammenhang der Angriffe in Iran, als auch im Kontext des Gaza-Kriegs und der fortschreitenden Annexion des Westjordanlands. Anders gesagt gilt es, politische und rechtliche Realitäten nicht zu ignorieren und Rechtsverstößen Konsequenzen folgen zu lassen. Beispielsweise sollte die EU das Assoziierungsabkommen basierend auf der Überprüfung von Artikel 2 des Vertrags, das schwerwiegende und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch Israel in Gaza festgestellt hatte, nun aussetzen.
Und letztlich können nur politische Perspektiven auch für Sicherheit in der Region sorgen. In dem Sinne sollten sich Deutschland und die EU dafür einsetzen, die von Frankreich und Saudi-Arabien geplante Konferenz zur Zweistaatenlösung wiederzubeleben. Schließlich wird regionale Sicherheit als Grund für die vermeintliche Alternativlosigkeit der kriegerischen Eskalation angeführt – politische Perspektiven gewinnen somit als tatsächlich Erfolg versprechende Schritte noch mehr an Bedeutung.
Barbara Mittelhammer ist selbstständige politische Analystin und Beraterin mit Sitz in Berlin. Sie publiziert und arbeitet mit Think Tanks, Stiftungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Darüber hinaus ist sie ausgebildete Mediatorin. Vor ihrer selbständigen Tätigkeit war sie in einer Politikberatung und bei der Münchner Sicherheitskonferenz tätig.