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Exil-Iraner und Israels Krieg gegen Iran

Ein Riss geht durch Irans Diaspora

Feature
Exil-Iraner und Israels Krieg gegen Iran
Auf pro-israelischen Demonstrationen wehte in den vergangenen Jahren auch immer wieder die Flagge der iranischen Monarchie.

Exil-Iraner und iranischstämmige Menschen in Deutschland eint die Sorge um ihre Angehörigen. Doch in ihrer Haltung zum Krieg treten neue und alte Trennlinien zutage.

Ein großer, abgedunkelter Theatersaal, eine hell erleuchtete Bühne: Eigentlich sollte an diesem Mittwoch, den 18. Juni, Nima Sarvestanis Dokumentation »Surviving the Death Committee« (2025) im Rahmen der Filmreihe »MENA Prison Forum« aufgeführt werden. Doch der laufende Krieg überschattet die Veranstaltung, die die Aufarbeitung der Massentötungen in der Islamischen Republik im Sommer 1988 thematisiert. Eine Äußerung des Filmemachers löst stattdessen eine hitzige Auseinandersetzung aus – und offenbart Trennlinien, die sich seit Jahrzehnten durch die iranische Gemeinschaft im In- und Ausland ziehen.

 

Er und viele andere hätten sich gefreut, dass führende Kommandeure der Islamischen Republik durch israelische Luftschläge umgekommen wären, sagt Sarvestani. Dabei habe es ihn »nicht gekümmert«, von wem die Angriffe ausgingen. »Ich bin angewidert, dass ihr diesen Film nutzt, um einen Krieg zu rechtfertigen, bei dem Menschen sterben. Es ist mir nicht egal, wer Gerechtigkeit bringt.«, entgegnet ein Aktivist aus dem Publikum, der zuvor betont, er selbst habe Familienmitglieder, die im Gefängnis gesessen hätten. Damit gibt er eine Kontroverse wider, die über den jüngsten Krieg hinausgeht. Konkret geht es dabei um die Frage nach der Haltung der iranischen Diaspora gegenüber militärischer Intervention von außen und – ganz grundsätzlich – um die Frage, welche Form ein politischer Wandel in ihrer Heimat eigentlich annehmen sollte.

 

Es überrascht kaum, dass die Debatte nun erneut Fahrt aufgenommen hat. Israels Militäroperation und ihre Implikationen für die politische Zukunft Irans polarisieren. Angefangen mit dessen Bezeichnung: »Operation Rising Lion«, wie Israel den am 13. Juni gestarteten Krieg offiziell bezeichnet, bezieht sich auf einen alttestamentarischen Vers. In Kapitel 23 des Vierten Buch Moses heißt es: »Siehe, das Volk wird sich erheben wie ein junger Löwe und es wird sich nicht legen, bis es von der Beute frisst und das Blut der Erschlagenen trinkt.« Diese bildliche Beschreibung scheint dabei ebenso bewusst gewählt zu sein wie die Figur des Löwen – denn der spielt in der politischen Symbolik Irans eine wichtige Rolle.

 

Trotz – oder möglicherweise gerade wegen – der Angst um die Sicherheit von Familienmitgliedern sieht dieses Spektrum der Diaspora Momentum für einen politischen Neuanfang in Iran

 

Als Symbol der iranischen Monarchie zierte er unter den Pahlavis die Staatsflagge. Diese Bedeutungsebene lässt sich durchaus als Signal der israelischen Führung verstehen, über antizipative Selbstverteidigung hinaus einen Regimewechsel in Iran anzustoßen. Die Reaktion, die die Angriffe vor diesem Hintergrund in verschiedenen politischen Lagern der iranischen Auslandsgemeinschaft ausgelöst hat, fällt unterschiedlich aus.

 

Anrufe von Angehörigen, die aufgefordert werden, die Hauptstadt über de facto gesperrte Routen zu verlassen oder verzweifelte Doppelstaatler, die sich angesichts der Überforderung deutscher Behörden und Botschaften gezwungen sehen, ihre Ausreise selbst in die Hand zu nehmen – geeint in diesen Tagen sind wohl alle Iraner in der Sorge um ihre Familien. Der Verbundenheit durch dieses geteilte Schicksal stehen jedoch Differenzen gegenüber, die sich vor allem in der Haltung gegenüber den Angriffen und dem damit verbundenen Motiv des Regimewandels widerspiegeln.

 

In dem Wunsch nach einer tiefgreifenden Veränderung der politischen Umstände in ihrer Heimat sind viele Iraner im Ausland geeint. Anders gestaltet es sich mit der Frage nach Form und Charakter einer solchen Veränderung. Auf der einen Seite sind solche Stimmen zu hören, die über die unmittelbaren Sorgen um Angehörige hinaus nun Hoffnung auf einen fundamentalen Wandel des Systems hegen. Trotz – oder möglicherweise gerade wegen – der Angst um die Sicherheit von Familienmitgliedern sieht dieses Spektrum der Diaspora Momentum für einen politischen Neuanfang in Iran.

 

Für viele Iraner illustriert Mossadeghs Sturz bis heute, dass es auswärtigen Mächten in erster Linie um die Sicherung eigener, oft wirtschaftlicher Interessen geht

 

Dass dieser Wandel nun von außen angestoßen wird und dass es dem israelischen Staat dabei wohl nicht primär um das Wohl der iranischen Zivilbevölkerung geht, ist man bereit, zugunsten einer größeren Vision in Kauf zu nehmen. Dabei sind sich viele Exil-Iraner der Kriegsverbrechen Israels – nicht zuletzt in Gaza – durchaus bewusst und kritisieren, wie sehr auch zivile Infrastruktur bei den Luftangriffen auf oft dicht besiedelte Gebiete in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Unterstützung begründet sich hier weniger in etwaigen Sympathien gegenüber der israelischen Führung. Stattdessen geht es um das Streben nach einem radikalen Gegenentwurf zum Bestehenden. Zugrunde liegt hier die Prämisse, dass jedes Übel kleiner ist als das, mit welchem man sich bisher konfrontiert sieht.

 

Ein Teil der iranischen Diaspora geht sogar einen Schritt weiter. Für diese Menschen ist Israel ein Staat, der für ihr Anliegen kämpft – ein Partner, mit dem man schon zu Zeiten des Schahs gut zusammengearbeitet hat. So wehte in den vergangenen Jahren auf pro-israelischen Demonstrationen auch immer wieder die Flagge der iranischen Monarchie.

 

Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich diejenigen, die dem von außen induzierten Wandel aus historischen Gründen äußerst skeptisch gegenüberstehen. In den sozialen Medien etwa erinnern in diesen Tagen viele Menschen an Mohammed Mossadegh. Mit Unterstützung der USA hatte das Vereinigte Königreich damals einen Staatsstreich gegen den beliebten Premierminister durchgeführt, der die iranische Ölindustrie verstaatlichen wollte. Für viele Iraner illustriert Mossadeghs Sturz bis heute, dass es auswärtigen Mächten in erster Linie um die Sicherung eigener, oft wirtschaftlicher Interessen geht – und dass Interventionen in der Vergangenheit eben nie den erhofften Wandel hin zu Demokratie und Wohlstand brachten.

 

Einem erheblichen Teil der iranischen Diaspora ist es ein Anliegen, einen neuen Weg einzuschlagen

 

Die Angst vor einem weiteren undurchdachten Regimewechsel, der die Komplexitäten iranischer Politikgestaltung ausklammern könnte, wiegt schwer. Ebenso das Bewusstsein, dass die Islamische Republik Ende der 1970er-Jahre nicht aus einem Vakuum heraus entstanden ist. Für jene kritischen Stimmen greifen Nostalgie für und Verharmlosung der Monarchie genauso kurz wie die Haltung, dass man sich auf ewig mit den bestehenden Verhältnissen arrangieren müsse.

 

Einem erheblichen Teil der iranischen Diaspora, insbesondere innerhalb der jüngeren Generation, ist es ein Anliegen, einen neuen Weg abseits von Schah und Ayatollah (oder der sektenartigen Führung der sogenannten Volksmudschaheddin) einzuschlagen. Für sie besteht auch kein Widerspruch zwischen einer kritischen Haltung gegenüber der Politik Israels und der Irans. Für sie ist die Aufmerksamkeit für den Gaza-Krieg im Besonderen und den Nahostkonflikt im Allgemeinen kein Ausdruck der Sympathie für die iranische Führung, sondern beides Teil desselben Engagements.

 

Ein differenzierter und sensibler Umgang mit den verschiedenen Stimmen der Exilgemeinschaft ist ein schwieriger Balanceakt. Dass Israel, welches das Wohl der Zivilbevölkerung in anderen Konflikten vollumfänglich ausblendet, in Iran dazu beizutragen wird, ein stabiles politisches System oder gar eine Demokratie zu installieren, ist mindestens fraglich. Zugleich gilt es jedoch den Leidensdruck anzuerkennen, der Teile der Diaspora dazu bewegt, Hoffnung auf Wandel aus dem Krieg zu schöpfen.

Von: 
Daria Bonabi

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