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Analyse: Atheismus in Ägypten

Unglaublich

Analyse
Atheisten in der islamischen Welt
Die Al-Azhar in Kairo. Die wichtigste traditionelle religiöse Institution in Ägypten tut sich im Kampf gegen den Atheismus besonders hervor – und findet im Sisi-Regime einen willigen Partner. Foto: Mohamed Ouda / Wikimedia Commons

Atheisten stehen in Ägypten am Pranger, das Parlament will Nichtglauben womöglich unter Strafe stellen. Das Sisi-Regime will zeigen, dass es im Zweifel frommer ist als seine Kritiker.

Anfang März diskutierte der Al-Azhar-Gelehrte Mahmud Ashour in der Talkshow »Al Shara Al-Masry« mit einem ägyptischen Jugendlichen, der sich selbst als Atheisten bezeichnet über das Thema »Atheismus als Gefahr für ägyptische Jugendliche«.

 

Ein wirklicher Austausch von Argumenten war jedoch nicht möglich, da der Moderator den Jugendlichen sofort für verrückt erklärte und ihm psychiatrische Behandlung nahelegte. Auch der Geistliche attestierte Mohammed Hashem »mentale Probleme«. Hashems Versuch, etwa die Theorie des Big Bang zu erklären, empörte dann den Moderator so sehr, dass er den Jugendlichen aus dem Studio warf und ihm empfahl, sich direkt in eine Psychiatrie einweisen zu lassen, da er ein schlechtes Beispiel für die ägyptische Jugend sei.

 

Das Geständnis des Jugendlichen, der im ägyptischen Fernsehen zugegeben hatte, nicht an Gott zu glauben, entfachte in den sozialen Medien schnell eine Debatte über Atheismus.

 

Worum geht es eigentlich?

Blasphemie ist in Ägypten ein Strafbestand, der auch wieder in Verhaftungen mündet. Zugleich ist Atheismus in den Augen der ägyptischen Gesellschaft ein Skandal, der immer wieder Aufschreie verursacht. Kaum ein anderer Vorwurf ist so rufschädigend wie der, ungläubig im Sinne von atheistisch zu sein. So wird immer wieder spekuliert, ob Gamal und Hosni Mubarak von zentralen Figuren des alten Regimes die Gefolgschaft verweigert wurde, weil der Verdacht öffentlich geäußert wurde, sie seien Atheisten.

 

Das Regime unter Abdel-Fatah Al-Sisi dagegen nutzt das Image der Religiosität und Frömmigkeit oft gezielt, um konservative Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen und seine eigene Legitimität zu erhöhen. Beispiele sind regelmäßige Aufrufe und Programme zur Bekämpfung von Atheismus oder die Förderung der Religiosität unter Jugendlichen.

 

In diesem Fall nutzte wohl ein wenig bekannter Fernsehsender das Reizthema, um Einschaltquoten zu erhöhen. Bewusst wurde ein Jugendlicher eingeladen, der sich als Atheist bekennt, bewusst wurde der Aufschrei des Moderators inszeniert. Dementsprechend wirkt die Show gestellt, während eine wirkliche Debatte über Religiosität oder die Akzeptanz Andersdenkender völlig fehlt. Während sich Videos des Auftritts schnell in den sozialen Medien verbreiteten, war der Vorfall in anderen, von der breiten Bevölkerung genutzten Medien nicht prominent vertreten.

 

Wie geht es nun weiter?

Religiosität und Atheismus sind und bleiben Reizthemen in der ägyptischen Gesellschaft, die kaum sachlich und offen diskutiert werden können.

 

Skandale lassen sich durch den Vorwurf des Atheismus leicht produzieren – und öffnen Aktionismus Tür und Tor. So wurde im Januar ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der Atheismus unter Strafe stellt – selbst wenn der Beschuldigte nicht offen darüber spricht oder dafür wirbt.

 

Der Entwurf kann als Teil des »Nationalen Aktionsplans gegen Atheismus« gesehen werden, den die Regierung 2014 ins Leben rief und der im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Ende März religiös-konservative Bevölkerungsschichten für Sisi gewinnen sollte – schließlich fehlten die Alternativen auf dem Stimmzettel, nachdem fast alle möglichen Gegenkandidaten ausgeschlossen worden waren. Politische Legitimität ist eben in Ägypten eng verbunden mit der Verteidigung von Religiosität.


Victoria Tiemeier ist Politikwissenschaftlerin und lebt in Kairo. Sie war in Ägypten unter anderem für das UN-Programm für menschliche Siedlungen (UN- HABITAT) tätig.

Von: 
Victoria Tiemeier

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