Lesezeit: 8 Minuten
Dschihadisten in Südostasien

Von Mosul nach Mindanao

Analyse
Isnilons Haus
Das Haus, in dem Abu-Sayyaf-Anführer Isnilon Hapilon von philippinischen Sicherheits­kräften ­gestellt wurde. Die darauffolgende Schießerei löste die Schlacht von Marawi aus. Foto: Florian Neuhof

Armut und Korruption treiben den Islamisten auf den Philippinen in ­Scharen neue Kämpfer in die Arme. Ein Autonomiegesetz soll Vertrauen schaffen, doch die Politik kommt nicht hinterher. Dabei läge die Lösung gar nicht weit entfernt.

In der fast menschenleeren Vorstadt Marawis ragt ein mehrstöckiges Gebäude ominös über die Häuser einer abgelegenen Seitenstraße hinweg. Die Außenwände sind von großkalibrigen Kugeln durchsiebt, und es grenzt an ein Wunder, dass die löchrige Fassade nicht eingestürzt ist. Im Inneren liegen Munitionstaschen, Kleidungsstücke und Korane in düsteren Räumen verstreut.

Das wüste Bild zeugt von dem heftigen Gefecht, das hier am 23. Mai ausbrach, als eine philippinische Armeeinheit den berüchtigten Dschihadisten Isnilon Hapilon gefangen nehmen wollte. Hapilon war Anführer der Terrorgruppe »Abu Sayyaf«, die in den Südphilippinen schon seit geraumer Zeit ihr Unwesen treibt. Wäre der Einsatz geglückt, hätte die Regierung einen bedeutenden Erfolg im Kampf gegen den Terror verkünden können. Stattdessen setzten sich die Terroristen zur Wehr – und das darauffolgende Feuergefecht geriet völlig außer Kontrolle.

Immer mehr schwer bewaffnete Kämpfer tauchten auf, wie aus dem Nichts, und umzingelten die Soldaten, die sich nur mit Mühe zurückziehen konnten. Die meisten dieser Aufständischen gehörten der Maute-­Gruppe an, einer weiteren Terrormiliz, die wie Abu Sayyaf dem »Islamischen Staat« (IS) die Treue geschworen hat. Die Gruppe, benannt nach ihren Gründern, den Brüdern Abdullah und Omar Maute, hatte zuvor unentdeckt hunderte Mitglieder in die Stadt geschleust. Sie nutzten nun die Gunst der Stunde, um Marawi im Handstreich einzunehmen.

»Die Maute-Gruppe war bereits in der Stadt präsent. Manche von ihnen waren Einheimische, andere kamen von außerhalb«, sagt der Teenager Mohammed Khalid El-Mama, der in der Nähe von Hapilons Versteck wohnt und Zeuge des Scharmützels wurde.

Nachdem die Dschihadisten die Stadt in ihre Gewalt gebracht hatten, töteten sie Polizisten, nahmen Christen als Geiseln und brannten eine Kirche nieder. Die rund 200.000 Einwohner flohen, die Regierung ließ das Militär mobilisieren, schon bald rollten lange Kolonnen gepanzerter Fahrzeuge und Geländewagen in grüner Tarnfarbe in das muslimische Autonomiegebiet auf der Insel Mindanao, in dem Marawi liegt.

Wie auch andere Terrorgruppen auf den ­Philippinen erstarkte die Maute-Gruppe vor allem, seit die USA 2015 ihre Spezialeinheiten von den südlichen Inseln des Landes abzogen

Es folgte eine monatelange Schlacht, Militär- und Polizeieinheiten kämpften sich mühsam Straße für Straße bis zur Stadtmitte vor. Trotz fast pausenloser Luftangriffe harrten die Aufständischen dort wochenlang aus, bis am 23. Oktober – genau fünf Monate nach Beginn des Aufstands – der letzte Widerstand endlich gebrochen war. Hapilon und die Maute-Brüder Abdullah und Omar waren schon Tage zuvor als getötet gemeldet worden.

Das Militär gewann die Schlacht, verlor aber den Propagandakrieg. Denn die Dauer der Belagerung, die damit einhergehende Zerstörung und die schlechten Bedingungen in den Flüchtlingscamps spielen den Dschihadisten in die Karten.

»Die Mautes und der IS können so die Schlacht als Sieg verbuchen«, sagt Justin Richmond, der als Mitglied der US-Spezialeinheiten in den Philippinen eingesetzt wurde und nun mit seinem Unternehmen ­impl.project als Entwicklungsberater auf Mindanao tätig ist. »Der Aufstand hat an Momentum gewonnen. Die Mautes haben Kämpfer verloren, aber sie werden neue dazugewinnen. Das wird ein langer Kampf.«

Isnilons Haus
Marawi ist die einzige Stadt auf den Philippinen, in der die Scharia Gesetzeskraft hat. Foto: Florian Neuhof

Mehrere Hundert der geschätzt rund 1.000 Kämpfer der Maute-Gruppe konnten durch den Belagerungsring um Marawi schlüpfen und in den Dschungel entkommen. Die Brüder Maute entstammen einem einflussreichen Clan aus dem abgelegen Bezirk Butig südlich von Marawi und warben schon während der Schlacht auf heimischem Boden neue Mitglieder an. Rekruten bekämen sofort 600 US-Dollar als Begrüßungsprämie ausgezahlt, so Richmond – ein kleines Vermögen im verarmten muslimischen Autonomiegebiet. Wie auch andere Terrorgruppen auf den Philippinen erstarkten die Mautes vor allem, seit die USA 2015 ihre Spezialeinheiten von den südlichen Inseln des Landes abzogen. Dort hatten sie vorher die philippinischen Streitkräfte im Kampf gegen die islamistischen Guerillas unterstützt.

Die Maute-Gruppe verstand es, Missstände aufzugreifen, die schon lange Jahre zuvor immer wieder für Aufstände im Autonomiegebiet im Westen Mindanaos und auf den Inselgruppen in der angrenzenden Sulu-See geführt hatten.

Die Muslime in der »Autonomen Region Muslimisches Mindanao« (ARMM) fühlen sich diskriminiert – von der Regierung in Manila, ebenso wie von der christlichen Mehrheit in den Philippinen. Doch oft fangen die Probleme schon vor Ort an. In der ARMM ist die Korruption bis tief in alle Ebenen der Autonomieregierung verwurzelt, Clans dominieren dort die Gesellschaft. Gelder, die in die Infrastruktur und Entwicklung der wirtschaftlich rückständigen Region fließen sollten, enden in den Taschen unredlicher Bürgermeister, Gouverneure oder Bezirksvorsitzender. Wer nicht Teil der mächtigen Clans ist, bekommt oft trotz bester Qualifikationen keinen Arbeitsplatz und bleibt perspektiv- und chancenlos. Der Mangel an Chancen im Arbeitsmarkt bringe viele junge Menschen zur Verzweiflung – und treibe sie in die Arme der Extremisten. Aber auch die Regierung in Manila hat ihren Teil zur Radikalisierung der Muslime auf Mindanao beigetragen:

Jahrelang bekämpfte das Militär muslimische Aufständische auf der Insel, bis die Regierung schließlich Verhandlungen mit der dominanten Rebellengruppe initiierte, der »Islamischen Befreiungsfront der Moros« (MILF). Im Januar 2014 unterzeichneten beide Seiten ein Friedensabkommen.

Aus diesem Abkommen entstand das »Grundgesetz für Bangasamoro«, das eine noch weiter reichende Autonomie für das ARMM-­Territorium vorsah.

Das Parlament hat das Gesetz zur Gründung von Bangsamoro allerdings bislang nicht verabschiedet. Diese Verzögerung hat in der muslimischen Bevölkerung für Verbitterung gesorgt – und den militanten Widerstand befeuert. »Weil das Gesetz nicht vorankommt, entschieden sie sich für den Weg der Gewalt«, sagt Agakhan Sharief, ein prominenter religiöse Führer in Marawi, der an den Friedensverhandlungen als Vermittler teilnahm und die Maute-Brüder persönlich kennt. Solange das Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist, stärkt die Regierung damit den Dschihadisten auf Mindanao den Rücken, meint auch Richmond. »Dieses Gesetz ist mehr als nur ein Schritt im Friedensprozess. Es bedeutet die Anerkennung der Identität von Bangsamoro und der muslimischen Identität der Region«, sagt der Berater.

Philippinische Marines
Philippinische Marines auf dem Weg zu den Frontlinien in der Innenstadt von Marawi. Foto: Florian Neuhof

Bangsamoro, ein malayo-polynesisch-spanisches Mischwort, heißt so viel wie »muslimische Nation«, als Teil dessen sich die Einheimischen im Autonomiegebiet sehen. Die Einwohner Marawis und der Umgebung bezeichnen sich auch als Maranao, ein Begriff, der sich auf den Lanao-See bezieht, an dessen Ufer die Stadt liegt.

Ungefähr eine Viertel Million Maranao sind wegen der Kämpfe in Marawi in das Umland geflüchtet. Sie hausen nun in Zelten in notdürftigen Dschungellagern oder dicht gedrängt in zweckentfremdeten Gebäuden in nahegelegenen Städten. Manche Familien schlafen noch auf den Pritschen der LKW, die sie im Mai in Sicherheit brachten und die nun auf Hinterhöfen abgestellt sind. Nahrungsmittel und Medizin sind chronisch knapp.

Das zähe Ringen um Marawi hielt die Flüchtlinge in dieser Misere gefangen. Mit Ärger im Bauch verfolgten sie, wie die Luftwaffe mit einem schier unendlichen Arsenal die Stadt immer weiter in Schutt und Asche legte, während die Regierung die humanitäre Notlage der Flüchtlinge hintenanstellte.

»Die Menschen empfanden diese Strategie als Beweis dafür, dass sich die Regierung nicht um sie kümmert«, sagt Aslani Montila, ein ehrenamtlicher Nothelfer, der ein überfülltes Flüchtlingsheim in einem Schulgebäude in Marawis Nachbarstadt Iligan betreibt.

Die größte Rebellengruppe auf Mindanao unterstützt das Friedensabkommen, kann ihren Anhängern aber keinen Erfolg präsentieren – das Autonomiegesetz versackt im Parlament

Die Mautes kanalisierten diesen Ärger und machten die Zerstörung der Armee-Offensive zum Hauptthema ihrer Propagandavideos. Laut Sharief, der in engem Kontakt zu den Flüchtlingen aus Marawi steht, haben sich seit Mai etliche junge Männer aus Marawi der Maute-Gruppe angeschlossen.

Neben den Mautes machen weitere bewaffnete islamistische Gruppen der Regierung zu schaffen. Darunter sind die »Islamischen Freiheitskämpfer von Bangsamoro« (BIFF), eine Splittergruppe der MILF. Die BIFF, die sich im unwegsamen Sumpfgebiet im Südwesten Mindanaos versteckt, genießt große Unterstützung in der Bevölkerung und ist noch schlagkräftiger als die Mautes, meint Richmond. Auch von Abu Sayyaf gehe trotz des Todes von Anführer Hapilons weiter Gefahr aus.

Dass die Regierung den im Zuge der Friedensverhandlungen versprochenen Ausbau der Autonomie nicht vorantreibt, schwächt die Stellung der moderaten MILF gegenüber diesen Gruppen.
»Die MILF kann ihren Anhängern keine Erfolge präsentieren«, erklärt Richmond.

Viele der jüngeren Kämpfer haben sich deswegen enttäuscht von der Gruppe abgewandt und sich den Mautes oder der BIFF angeschlossen. Auch Omar und Abdullah Maute begannen ihre militante Laufbahn bei der MILF, setzten sich aber schon vor Abschluss der Friedensverhandlungen ab.

Als die Maute-Gruppe Marawi einnahm, bot die MILF der Regierung ihre Unterstützung an. Sharief, der im Auftrag der Gruppe während der Belagerung Marawis als Unterhändler in die Stadt ent­sandt wurde, erkannte bei seinen Besuchen unter den Aufständischen viele Gesichter wieder. Es waren Kämpfer, die früher der MILF angehörten.

Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte hatte bei seinem Amtsantritt 2016 das Autonomiegesetz für die ARMM zur Priorität erklärt. Wenn er es nicht schafft, das Gesetz im Parlament ratifizieren zu lassen, wird die MILF den bewaffneten Kampf gegen die Regierung wohl früher oder später wieder aufnehmen. Manche in der Organisation seien bereits jetzt gewillt, wieder zu den Waffen zu greifen, so Sharief. »Ich habe mit MILF-Kommandeuren gesprochen. Die argumentieren, dass sie nicht die Reihen des IS füllen wollen, aber wohl einen neuen Krieg vom Zaun brechen könnten, da sie das Gefühl haben, dass die Regierung es mit dem Abkommen nicht ernst meint.«

Der Unruheherd Mindanao bereitet nicht nur den Philippinen Kopfschmerzen. Der dichte Dschungel, der sich über weite Teile der Insel zieht, und die wachsende Zahl an Sym­pathisanten verwandeln Mindanao zu einem Hort des Terrors, der in die ganze Region ausstrahlen könnte.

Wenn es der Regierung nicht gelingt, den Aufstand einzudämmen, wird die Insel zur Ausbildungsstätte für Extremisten aus den Nachbarländern reifen, die als gestählte Dschihadisten zurück in ihre Heimat kehren.

An Rekruten mangelt es nicht. Am anderen Ende der Sulu-See liegt Indonesien, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit. Auch die meisten Malaysier sind Muslime. Selbst aus Bangladesch könnte es angehende Gotteskrieger nach Mindanao ziehen.

»Wer Kampferfahrung sammeln will und in Südostasien lebt, für den wird Mindanao die erste Wahl sein«, so Richmond.

Von: 
Florian Neuhof
Fotografien von: 
Florian Neuhof

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.