Terror bekämpfen, Seilschaften pflegen, heikle Themen meiden: Hillary Clintons Nahost-Politik wird im Guten wie im Schlechten die Handschrift ihres Vorgängers tragen. Überraschungen könnten aber auf Russland und Europa warten.
Gehen wir davon aus, dass das Erwartbare auch eintritt: Hillary Clinton gewinnt die US-Präsidentschaftswahl am 8. November. Natürlich sind Wahlkampfversprechen nicht der perfekte Indikator für spätere Politik und zudem äußerten sich Clinton und ihre Berater in der heißen Wahlkampfphase auffällig vage zum Nahen Osten. Das liegt aber wesentlich auch daran, dass die USA zuletzt oft gezwungen waren zu reagieren, statt gestalten zu können. So wurden in den vergangenen fünf Jahren US-amerikanische Nachrichtendienste und Spitzenpolitiker regelmäßig von den Ereignissen in Nahost überrollt, vom Arabischen Frühling über die Entstehung des »Islamischen Staates« (IS) bis hin zu Russlands Militärintervention in Syrien.
Clintons Worst-Case-Szenarien:
• Das abrupte Ableben einer wichtigen Führungsperson.
• Politische Instabilität in einem strategisch wichtigen Land, der militärische Alleingang eines regionalen oder extraregionalen Akteurs.
• Ein Terroranschlag.
• Eine Erschütterung der internationalen Energiemärkte.
• Eine unvorhergesehene Verlagerung der vielzähligen und unbeständigen informellen Allianzen.
Einmal abgesehen von derlei Unwägbarkeiten (siehe Infokasten) lässt sich der grundsätzliche Ansatz von Clintons künftiger Nahostpolitik aber gut erkennen – zumindest für den Anfang. Einerseits hat sie gezeigt, dass sie eine aktivere Rolle als Präsident Obama einnehmen wird und Interventionen offener gegenübersteht. Ein Hinweis darauf ist ihr deutliches Plädoyer für den Militäreinsatz 2011 gegen Gaddafi in Libyen, dem Obama nur widerwillig und in letzter Minute zugestimmt hatte. Und sie gehörte zu den führenden Politikern, die sich, – im Gegensatz zum Weißen Haus – 2012 für intensivere militärische Unterstützung der Opposition in Syrien einsetzten.
Seitdem hat Clinton sich öffentlich auch für »sichere Zonen« für Regimegegner und Vertriebene innerhalb Syriens stark gemacht. Diese Haltung hat sie nach Beginn des russischen Militäreinsatzes im September 2015 sogar noch einmal bekräftigt. Der militärische Vorstoß der Türkei in Syrien in diesen Sommer könnte den Weg bereiten, diese Zone zu schaffen. Dennoch lässt sich aufgrund des hohen Risikos nur schwer sagen, ob Clinton an diesem Ziel festhalten wird, auch wenn einige ihrer wichtigsten Berater sich öffentlich dafür eingesetzt haben – darunter Michele Flournoy, vormals Chefberaterin von Obamas Verteidigungsministern Robert Gates und Leo Panetta.
Den USA wird es weiterhin an Aufmerksamkeit und Willen fehlen, eine kohärentere Strategie zu entwickeln
Was uns zur nächsten Frage bringt: Was wissen wir eigentlich über Clintons potentielles Nahost-Team? Als mögliche Verteidigungsministerin ist Flournoys Name bereits gefallen. Als Nationaler Sicherheitsberater wird der 39-jährige Jake Sullivan gehandelt, einst Clintons Chefplaner im Außenministerium. Als Außenminister sind ebenfalls renommierte Kandidaten im Spiel, etwa Bill Burns, ehemaliger Vizeaußenminister und jetziger Vorsitzender der Carnegie-Stiftung. Als kalkulierte Annäherung an den innenpolitischen Kontrahenten heraus könnte es auch einer der vielen hochrangingen Republikaner werden, die sich lautstark gegen Donald Trump ausgesprochen haben. Alles in allem stehen die Zeichen in Sachen Personal eher auf Kontinuität als auf Veränderung.
Clintons Best-Case-Szenarien:
• Eine Friedensinitiative zwischen Arabern und Israelis, wie Sadats Israel-Besuch 1977 oder das Oslo-Abkommen von 1993.
• Eine innerhalb der Türkei angestoßene positive Wendung des türkisch-kurdischen Konflikts.
• Eine Annäherung zwischen Teheran und Riad.
• Ernsthafte russische Bemühungen, Syriens Diktator Assad aus dem Amt zu zwingen.
Kommen wir zum schwierigeren Part, nämlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Politik. Terrorismusbekämpfung wird auch unter Hillary Clinton höchste Priorität haben. Ebenso wie unter Obama werden der Kampf gegen den IS und Al-Qaida wohl auch Clintons Auseinandersetzung mit der Region definieren. Konkret heißt das: Drohnenangriffe, ein taktisch geprägter Fokus und begrenzte, aber operativ relevante Militäreinsätze in Afghanistan, im Irak, Syrien und Libyen. Als Reaktion auf eine Bedrohung kann man diesen Ansatz zwar nachvollziehen, aber er hat seinen Preis. Und so wird es den USA weiterhin an Aufmerksamkeit, Ressourcen und politischem Willen fehlen, eine kohärentere politische Strategie für die Region zu entwickeln.
Außerdem wird Clinton bestrebt sein, angespannte Beziehungen zu regionalen Partnern zu verbessern und »rote Linien« zu verdeutlichen. Als Präsidentin wird sie auf einen rechtzeitigen Austausch auf hoher Ebene sowie Gipfeltreffen mit Israel, Saudi-Arabien, der Türkei, Ägypten, Jordanien und dem Irak setzen. Clinton wird so versuchen, die positiven Aspekte dieser Allianzen zu betonen. Es ist zu erwarten, dass auch europäische Partner bei regionalen und die USA indirekt betreffenden Themen systematischer umworben werden – von Flüchtlings- und Migrantenströme bis zur Radikalisierungsprävention und der Stabilisierung Nordafrikas. Clinton wird sich gemeinsam mit ihren EU-Partnern für den Aufbau eines effektiveren internationalen Mechanismus einzusetzen, um den strategischen Küstenabschnitt des Mittelmeers zu kontrollieren. Insbesondere mit Blick auf Libyen könnte Clinton so auch etwas für ihren Ruf tun, ist ihr Name in der öffentlichen Debatte in den USA noch immer mit der Erstürmung des US-Konsulats in Benghazi 2012 verbunden.
Clinton wird sich mit ihren EU-Partnern für den Aufbau eines effektiveren Mechanismus zur Kontrolle des Mittelmeers einsetzen
Gegenüber Amerikas Rivalen in der Region wird Clinton eine härtere Gangart fahren. So soll etwa Iran eindringlicher auf die Einhaltung des Nuklearabkommens verpflichtet und Teherans regionale Ambitionen eingehegt werden. Dennoch wird sich die Regierung zum Atomabkommen bekennen – schließlich haben Clinton und ihre wichtigsten Berater jahrelang an dessen Ausgestaltung mitgearbeitet. Möglich ist, dass sie, ohne eine offene Konfrontation zu riskieren, eine härtere Haltung gegenüber Russlands Versuch einnimmt, einen Keil zwischen die USA und ihre traditionellen Verbündeten – die Türkei, Ägypten und die Golfstaaten – zu treiben.
Die mögliche Kehrseite dieser Kurskorrektur: Vorstöße, die die Verbündeten der USA verärgern könnten, würden wohl auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Anders als Obama in seiner ersten Amtszeit, scheint Clinton nicht die Absicht zu haben, dem israelisch-palästinensischen Friedensprozess Schwung zu verleihen. Vielmehr wird ihre Regierung eher unauffällig die aussichtsreicheren, wenn auch schmalen Wege erkunden, die zu mehr Konsens in der Region führen könnten. Dabei wird sie besonders auf das wachsende, vermeintlich geteilte, arabisch-israelische Interesse setzen, Iran und anderen extremistischen Herausforderungen Einhalt zu gebieten.
Wildcard Obama – Der scheidende Präsident Barack Obama könnte seiner Nachfolgerin in letzter Minute eine Wende in der Nahostpolitik vermachen. Denkbar wären:
• Eine unilaterale oder von der UN unterstützte Erklärung zum israelisch-palästinensischen Friedensprozess,
• die Wiederaufnahme formeller diplomatischer Beziehungen zu Iran
• ein neues, pragmatischeres Rahmenwerk für die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Russland, um dem syrischen Bürgerkrieg ein Ende zu setzen.
• Der lang geplante Sturm auf die IS-Hochburgen Mossul im Irak oder Raqqa in Syrien – oder auf beide.
Trotz der Haltung einiger Parteikollegen und in ihrem eigenen Umfeld wird Clinton eher vorsichtig mit den Themen Demokratisierung und Reform in der Region umgehen, um Amerikas Partner nicht gegen sich aufzubringen oder zu destabilisieren. Die Militärallianzen mit den Kurden im Irak und Syrien stellen das Bündnissystem bereits auf die Probe. Umso mehr wird Clinton etwa Vorsicht beim Umgang mit dem Kurdenkonflikt in Türkei walten lassen. Es ist beachtlich, dass keines dieser drei zentralen Themen – Palästina, Demokratie und die Kurden – auch nur ansatzweise in dem Essay über die außenpolitische Bilanz der Regierung Obama auftaucht, den Vizepräsident Joe Biden für die September-Ausgabe des Magazins Foreign Affairs verfasst hat.
Das komplizierteste Feld der Außenpolitik in der Region bleibt aber Syrien. Kurzfristig böte es sich für Präsidentin Clinton an, sich auf kleine, pragmatische Schritte zu konzentrieren, in enger Zusammenarbeit mit den – zugegebenermaßen störrischen – Partnern in der Region, um die humanitäre Situation im Land zu lindern – selbst wenn die Kämpfe dort andauern. In gewisser Hinsicht wäre das ein Zeichen für die Kursänderung ihrer Nahost-Politik im Vergleich zu Obama. Die würde größtenteils in den gewohnten Bahnen weiterlaufen, aber die Ziele wären weniger ambitioniert, die Mittel pro-aktiver, nachdrücklicher und kooperativer.