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Wahlen und Gremien in Iran

Von Experte zu Experte

Analyse
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Foto: Hamed Kolahchian Hamed Kolahchian

Mit gut besuchten Wahlveranstaltungen und dem versierten Einsatz sozialer Medien vermittelten die iranischen Präsidentschaftswahlen 2017 den Eindruck eines modernen und professionell inszenierten Wahlkampfes. Oder ist Irans Demokratie nur Fassade?

Obwohl Irans Machthaber die von ihnen geschaffene politische Ordnung klar vom offenen Wettbewerb in liberalen Demokratien abgrenzen, erleben Wahlen in der Regel eine hohe Beteiligung – 77,3 Prozent etwa bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017. Es entzünden sich an ihnen aber auch immer wieder Fragen über den Einfluss von Wahlprozessen auf die politische Ausrichtung Irans. Dies ist vor allem auf die komplexe Interaktion zwischen den Wächterorganen des Systems und den vom Volk gewählten Institutionen zurückzuführen.

Die erste Wahl zu einem Abgeordnetenhaus in Iran erfolgte im Rahmen der konstitutionellen Revolution bereits im Jahr 1906. Seitdem sind Wahlen Teil der parlamentarischen Tradition des Landes. Im verfassungsgebenden Prozess nach der Islamischen Revolution von 1979 konnten sich einst die Islamisten unter der Führung Ayatollah Ruhollah Khomeinis gegen ihre säkularen und liberal-islamischen Ko-Revolutionäre schlussendlich durchsetzen.

So wurde das von Khomeini ausgearbeitete Modell der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten (velayat-e faqih) als über den gewählten Staatsorganen stehend im neuen System verankert. Kern dieses Herrschaftsmodells ist, dass in Erwartung auf den verheißenen Erlöser der Schiiten, den im Verborgenen weilenden Imam Mahdi, die zentrale politische Gewalt von Gott ausgeht. Dem Einfluss liberalerer Stimmen zu Beginn des Prozesses ist es jedoch geschuldet, dass das Endergebnis letztendlich einen Kompromiss in Form einer Wächterrepublik darstellt. Der Revolutionsführer als Staatsoberhaupt und weitere nicht gewählte Staatsorgane unter seiner Kontrolle bestimmen die allgemeinen Richtlinien der Politik und setzen dem politischen Wettbewerb festgelegte Grenzen. Diese Organe sind von Geistlichen dominiert oder diesen exklusiv vorbehalten.

Eine Anfechtung der politischen Ordnung über einen Marsch durch die Institutionen kann dadurch unterbunden werden. Das Maß an politischer Inklusion wird somit begrenzt und der Status quo des Systems als wichtigste Errungenschaft der Revolution zementiert. Damit verbunden ist aber auch die Kontinuität der politischen Elite, die ihren Aufstieg einst im Zuge der Revolution begründet hat. So stützt sich das politische Gebilde in seiner Konstruktion auf das Prinzip einer dualen Souveränität. Daraus ergibt sich aber seither ein Spannungsverhältnis, bei dem sich Gottes und Volkssouveränität trotz des Anspruchs der Vereinbarkeit beider Konzepte gegenüberstehen.

Dem Volk steht es gemäß der Verfassung zu, folgende Institutionen durch ein Votum zu besetzen: das Amt des Präsidenten, das 290 Abgeordnete zählende Parlament, den Expertenrat, der für die Ernennung des Revolutionsführers zuständig ist, sowie die Gemeinde und Stadträte. Mit Ausnahme der Wahlen zu den Gemeinde und Stadträten unterliegen alle jedoch der Aufsicht des mächtigen Wächterrats. Die sechs Geistlichen des zwölf Mitglieder zählenden Rats werden vom Revolutionsführer direkt bestimmt. Sechs islamische Juristen bilden die zweite Hälfte des Gremiums. Diese werden vom Parlament auf Vorschlag des Obersten Richters, der selbst vom Revolutionsführer ernannt wird, gewählt.


Anhaenger von Hassan Ruhani feiern auf den Straßen von Maschhad die Wiederwahl des iranischen Praesidenten im Mai 2017.
Anhänger von Hassan Ruhani feiern auf den Straßen von Maschhad die Wiederwahl des iranischen Präsidenten im Mai 2017. Foto: Hamed Kolahchian

Bei Wahlen obliegt dem Rat die zentrale Aufgabe, Kandidaten auf ihre Systemtreue zu prüfen. Vor diesem Hintergrund besitzt der Wächterrat auch die gesetzliche Autorität zur rigorosen Kandidatenauslese. Dabei sah sich der Rat immer wieder dem Vorwurf besonders vonseiten der Reformer ausgesetzt, Mitglieder ihres Lagers zu disqualifizieren, womit der politische Wettbewerb verzerrt werde.

Das Spannungsverhältnis zwischen beiden Souveränitätsprinzipien wird vor allem bei der Frage nach Wahlen als Legitimationsinstrument deutlich. Somit ist hohe Wahlbeteiligung ein zentrales Ziel, da dies als fortwährende Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit zur Staatsform gedeutet werden kann. Zu diesem Zweck warb Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei sogar wiederholt unter denjenigen, die die Islamische Republik ablehnen, am Wahlprozess teilzunehmen. Obwohl Wahlen damit eine legitimierende Funktion für das System als Ganzes erfüllen, ist die Autorität des Staatsoberhaupts davon entkoppelt. Dessen Ernennung erfolgt durch den Expertenrat als Ausdruck einer göttlichen Bestimmung – und unterliegt daher ausdrücklich nicht dem Votum durch das Volk.

Mit der Wahl des Rats wird dem Volk so nur ein Mindestmaß an Einflussnahme auf diesen Prozess eingeräumt. Ein hoher Wahlsieg bedeutet daher für einen Präsidentschaftskandidaten auch keinesfalls
 ein besonders starkes 
Mandat, dem sich der Revolutionsführer zu beugen
 hätte. Da Regierung und Parlament die wesentlichen Organe zur gesetzgeberischen Gestaltung der Alltagspolitik bilden, befeuern Wahlen trotz aller Beschränkungen des Wettbewerbs die Konkurrenz zwischen den politischen Lagern. Im Verlauf ihrer 38-
 jährigen Geschichte erlebte die Islamische Republik
 einen Wandel der politischen Landschaft mit
 wechselnden Koalitionen.
 Für die politische Elite sowie die Bevölkerung zog
 dies in rund 40 Wahlgängen seit 1979 auch einen stetigen Lernprozess über den politischen Nutzen und die möglichen Effekte von Wahlen nach sich.

Mit dem Sieg des Reformers Mohammad Khatami im Jahr 1997 zeigte sich, dass Ergebnisse auch für die Machthaber schwer vorhersehbar sein können. Eine weitere wichtige Erfahrung lehrten die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2005. Teile der Wählerschaft boykottierten damals aus Enttäuschung über das Scheitern der Reformpolitik Khatamis den Wahlkampf und ebneten damit dem Populisten Mahmud Ahmadinedschad den Weg zum Erfolg. Daraus wuchs die Erkenntnis, dass eine niedrige Wahlbeteiligung Hardlinern und Populisten eine Chance auf den Wahlsieg bieten kann. Wahlverlierer erhoben auch immer wieder Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten und Manipulationsversuche. Die Endresultate wurden letztendlich dann doch meist akzeptiert – mit Ausnahme der kontroversen Wiederwahl Ahmadinedschads im Jahr 2009. Die folgende politische Krise prägt die Atmosphäre aller seitdem erfolgten Wahlgänge.

Bei Präsidentschaftswahlkämpfen ist in der Regel eine vorübergehende Öffnung der politischen Debatte für die Kandidaten zu beobachten. Das Aufgreifen der Sorgen der Gesellschaft ermöglicht so eine stabilisierende Wirkung gleichsam einem Ventil. Zentrale Themen wie Arbeitslosigkeit, die Wirtschaftslage, Außenpolitik oder neuerdings auch Umweltfragen werden im Zuge der Wahlen verstärkt öffentlich debattiert.

Zusätzlich fördert der Wahlkampf die existierenden Bruchlinien innerhalb der politischen Elite zutage. Besonders die Fernsehdebatten zwischen den Kandidaten tragen hierzu bei. Gegenseitig erhobene Korruptionsvorwürfe sowie Präsident Hassan Ruhanis Spitzen gegen die einflussreichen Revolutionsgarden waren für den diesjährigen Wahlkampf exemplarisch.
 Wahlergebnisse können jedoch auch eine Blockadehaltung der Wächterorgane auslösen. Mittels ihrer Vetorechte können sie so Vorhaben einer unliebsamen Regierung oder des Parlaments ausbremsen. Die Nichterfüllung von Erwartungen der Wählerschaft schürt dabei Frustration und Unzufriedenheit. Dass trotz weitverbreiteter politischer Apathie die letzten Wahlen dennoch eine hohe Beteiligung verzeichneten, liegt wohl am sichtbarsten Effekt der Präsidentschaftswahlen: der Einfluss auf Ton und Stil der Politik mit weitreichenden Konsequenzen für den Lebensalltag. Gerade bei jungen Iranern mag dies unabhängig von der politischen Programmatik ihre Entscheidung für Hassan Ruhani und gegen seinen konservativ-populistischen Hauptkonkurrenten Ebrahim Raisi mitbestimmt haben. Dass diese Erkenntnis allein moderaten Kräften auch in Zukunft den Wahlsieg sichern dürfte, ist jedoch keinesfalls garantiert. Von Ruhanis wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Bilanz wird es daher wesentlich abhängen, ob die Wahlhistorie der Islamischen Republik ein zyklisches Bild annehmen wird. Die Populisten werden auf ihre nächste Chance warten.


Christian Ebert ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps-Universität Marburg.

Von: 
Christian Ebert
Fotografien von: 
Hamed Kolahchian

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