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Muslimische Unternehmer in der Türkei

So sehen Tiger aus

Feature
Muslimische Unternehmer in Zentralanatolien
Für Fahretin Doğru spielt die Religion eine wichtige Rolle im Leben. Dass gleich neben seiner Fabrik eine Moschee steht, sei aber Zufall. Foto: Philipp Mattheis

Wertkonservativ und wirtschaftsliberal: Warum es mehr Sinn macht, von muslimischen Unternehmern, statt islamischer Wirtschaft zu sprechen. Ein Kurzausflug nach Konya in Zentralanatolien.

Für Fahretin Doğru spielt die Religion eine wichtige Rolle im Leben. Dass gleich neben seiner Fabrik eine Moschee steht, sei aber Zufall. »Das hatte stadtplanerische Gründe«, sagt der 52-Jährige. Als das Gewerbegebiet in Konya in der Zentraltürkei konzipiert wurde, waren eben auch fünf Moscheen eingeplant.

 

Praktisch aber ist es allemal, sagt Doğru. Der vierfache Großvater betet fünf Mal am Tag, so wie es sich für praktizierende Muslime gebietet. Freitags geht die Belegschaft nahezu geschlossen in die Moschee und lauscht der Predigt. Verpflichtend sei das nicht. »Aber ich empfehle es meinen Mitarbeitern«, sagt Doğru.

 

Der Familienbetrieb ist ein klassischer »anatolischer Tiger« – konservative Mittelständler, die besonders während der Regierungszeit der AKP zu florieren begannen. Den Betrieb gründete Doğrus älterer Bruder 1979. Erst produzierten sie einfache Metallteile, seit 1989 sind es vor allem Bügelbretter.

 

Heute macht das Unternehmen einen Jahresumsatz von 60 Millionen Lira, rund 15 Millionen Euro, und beschäftigt 200 Mitarbeiter. Auch in Russland betreiben die Doğrus eine Fabrik. 8.000 Bügelbretter produziert das Werk am Tag. Über die Hälfte davon geht in den Export, auch nach Deutschland. Doğrus Bügelbretter gibt es zum Beispiel bei Aldi und Woolworth.

 

Die »anatolischen Tiger« sind das Ergebnis wirtschaftsliberaler Politik einer Partei, deren Aushängeschild der Islam ist. Es war ausgerechnet der heutige Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der das Land – ähnlich wie Malaysia – Anfang des Jahrtausends einem strikten Reformkurs, basierend auf IWF-Empfehlungen, brachte. Der Wechselkurs wurde liberalisiert, Regularien abgeschafft, Sektoren wie Transport, Energie und Logistik geöffnet. Die Privatisierungserlöse wurden konsequent in die Infrastruktur investiert. Überall im Land entstanden neue Straßen, Flughäfen und Krankenhäuser. Der Mann, der 2017 die Evolutionstheorie aus dem Schulunterricht verbannte, erhöhte zwischen 2005 und 2010 die Forschungsausgaben jedes Jahr um zehn Prozent.

 

Davon profitierten die findigen Unternehmer aus Konya. Die »anatolischen Tiger« sind das Produkt einer islamisch-konservativen und gleichzeitig wirtschaftsliberalen Politik. Heute sieht das Gewerbegebiet Konya genauso strukturiert, sauber und monoton aus wie eines in Deutschland oder Japan. »Arbeit ist ein Gebet«, sagt Unternehmer Doğru. Der Islam spielt für Doğru auch im Geschäftsleben eine große Rolle. »Ich versuche privat und geschäftlich den Regeln des Islam zu folgen«, sagt der Herr der Bügelbretter.

 

Fragt man ihn, was das konkret bedeute, bekommt man einen Mix aus sozialdemokratischem Grundsatzprogramm und Max Weber zu hören. »Es geht darum, gerecht zu sein«, sagt er. »Wir zahlen die Gehälter pünktlich und geben 2,5 Prozent unseres Einkommens an die Armen. Im Geschäftsleben müssen wir unser Wort halten, damit wir einander vertrauen können. Ein guter Muslim arbeitet ständig an sich selbst, er sollte stets versuchen, besser zu werden.« Islam, wirtschaftlicher Erfolg und Kapitalismus – das ist zumindest für die anatolischen Tiger kein Widerspruch.

Von: 
Philipp Mattheis

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