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»Bavarian Taliban«

»Jeder hat seinen Faschisten an der Backe«

Interview

Omar und Alois fordern auf der Bühne die »Vereinigung aller Bergvölker« von den Alpen bis zum Hindukusch. Die »Bavarian Taliban« über den schmalen Grat zwischen Kunst, Aufklärung und Provokation.

zenith: Seit Sommer 2012 wandern Sie als »Bavarian Taliban« durch die oberbayerischen und österreichischen Alpen. Verniedlichen Sie damit den Terrorismus?

Hamon Tanin: Dafür müssen wir zuerst über den Begriff Terrorismus diskutieren. Wer definiert Terrorismus und von welcher Art von Terrorismus sprechen wir? Wir gehen vielleicht in unserem Projekt etwas anders mit dem Begriff um, ich würde aber nicht von einer Verniedlichung sprechen. Marcus Hank: Hier geht es nicht um Verniedlichung, sondern um Thematisierung. Es gibt Terrorismus, der mit Bayern und den Alpen zu tun hat. Die Südtiroler Befreiungsarmee führte in den 1960er Jahren terroristische Attentate zur Abspaltung von Italien durch und das Oktoberfestattentat von 1980 ging auf das Konto der neonazistischen »Wehrsportgruppe Hoffmann« und war damit eine bayerische Aktion. Dieser alpenländische Terrorismus steht im Kontrast zur einseitigen Thematisierung des Terrorismus in Verbindung mit Islamismus.

 

Als Requisiten dafür dienen Ihnen Kalaschnikows, Wasserpfeife, Lederhosen und Motorsäge. Alles nur Klamauk?

Hamon Tanin: Man kann es als Klamauk, aber auch als bitteren Ernst betrachten. Die Ernsthaftigkeit liegt in den Gegenständen selbst: Kalaschnikows werden dazu verwendet, Menschen umzubringen. Wir wollen den Gegenständen ihre Ernsthaftigkeit nicht nehmen, wollen sie gleichzeitig aber auch mit Humor behandeln. Marcus Hank: Wir fügen nichts hinzu und überspitzen nichts. Ist es nicht an sich Klamauk, wenn Gotteskrieger jedweder Art in die Luft schießen? Das machen die bayerischen Gebirgsschützen in ihren Lederhosen genauso wie die afghanischen Taliban in ihren traditionellen Gewändern. Wir setzen diese Phänomene, die es in beiden Ländern gibt, einfach nur zusammen. Dadurch wirkt möglicherweise albern, was in der Realität gar nicht albern ist.


Marcus Hank (42) wurde in München geboren, lebt in Salzburg und promoviert mit dem Forschungsprojekt »Bavarian Taliban« in Theaterwissenschaft.
 
 
Hamon Tanin (31) kam mit neun Jahren aus Afghanistan nach Deutschland. Er  lebt in Rosenheim und arbeitet an seiner Doktorarbeit in Politikwissenschaften.

 

Die Bezeichnungen »Bavaristan zendabad« (Bayern lebe hoch), »Zelamse« (Zell am See) und »Scharia-TV Salzburg« (FS1) wirken doch eher wie Verballhornungen afghanischer und bayerisch-österreichischer Kultur.

Marcus Hank: Den Begriff »Zelamse« haben nicht wir erfunden. Die Österreicher selbst nennen die Stadt aufgrund der vielen arabischen Touristen so. Bei unserem Pamphlet der »Vereinigung aller Bergvölker« orientieren wir uns an der Charta der bayerischen Gebirgsschützen. Die fordern tatsächlich eine Vereinigung mit den Südtiroler Gebirgsschützen. Hamon Tanin: Scharia-TV oder Radio Scharia gab es in Afghanistan. Wir spielen also auf Dinge an, die es in der Realität gibt und setzen die Begrifflichkeiten aus dem Alpenland und dem Hindukusch zusammen.

 

Sie verstehen das Theater als Disziplinierungsapparat. Sie als Theater- und Politikwissenschaftler stellen sich damit über Ihr Publikum. Ist das nicht anmaßend?

Marcus Hank: Ganz im Gegenteil. Wir begreifen uns nicht als Theater. Wir wollen aber die Macht- und Hierarchiemechanismen benennen, die im Projekt unweigerlich entstehen und regen so zum Dialog an. Auch weil Hamon und ich aufgrund unserer Fachkompetenz, aber vor allem aufgrund der Tatsache, dass ich einen deutschen Pass habe und klassisch deutsch aussehe, anders wahrgenommen werden.

 

Sie veranstalten die Heimatabende zum Teil in Schulen mit großem Anteil rechtsorientierter Schüler. Wählen Sie Ihre Zielgruppe systematisch aus?

Hamon Tanin: Die Heimatabende sind für Trachtenvereine, CSU-Mitglieder und Bundeswehrangehörige gedacht. In den Schulen sind wir auf Menschen getroffen, die konservative Einstellungen haben. Wir wollen diesen Menschen zeigen, dass das Alpenland zwar eine schöne Gegend ist, man durch deren Schönheit aber schnell in eine weltabgewandte Einstellung abrutschen kann. Marcus Hank: Wir wollen weder vor Linken Gesinnungstheater spielen, noch vor Rechten Provokationstheater. Am liebsten hätten wir alle im Raum. Wenn man bei uns von einem Ziel sprechen kann, dann ist es komplette Verwirrung und Vereinzelung. Normalerweise versuchen die Leute, sich an anderen zu orientieren und festzuhalten.

 

Ein Zuhörer bei Ihrer »Lecture Performance« in Berlin meinte, dass er sich an »Die Welle« erinnert gefühlt habe. Hatten Sie bei der Planung des Projekts derartige psychologische Experimente im Hinterkopf?

Hamon Tanin: Nein, hatten wir nicht. Wir waren selbst überrascht, bei was die Leute alles mitmachen. Wir sehen und merken, dass es in der Gesellschaft bestimmte Tendenzen gibt und gießen Öl ins Feuer.

 

Sind Sie sich über die psychologischen Mechanismen, die Sie auslösen können, bewusst?

Marcus Hank: Wir denken permanent über alles nach, weil wir es wissenschaftlich auswerten. Zuerst sind wir in den öffentlichen Raum gegangen, um zu sehen, wie die Menschen reagieren. Die Heimatabende allein wären feige, da man im geschlossenen Raum einer Theateraufführung alles machen kann.

 

Wie viel ist bei Ihren Aufführungen improvisiert und wie viel geplant?

Hamon Tanin: Wir haben Vorgaben, aber gleichzeitig lebt das Projekt von unserer Spontaneität. Wir lassen nicht nur die Zuschauer stolpern, sondern auch uns selbst.

 

Heimatabende, »Lecture Performances«, inszenierte Videobotschaften, selbstverfasste Zeitungsartikel und Wanderungen durch die Alpen. Warum diese Bandbreite der medialen Selbstinszenierung?

Marcus Hank: Die Idee von Bavaristan wird mit dem Einsatz auf der Straße überbracht, mit Fotos, selbstgeschriebenen Zeitungsartikeln und Videos dokumentiert und im Netz propagiert. Einfach weil wir sehen wollten, wie wir Bavaristan auf unterschiedlichsten medialen Ebenen transportieren können.

 

Zielen Sie mit Ihrem Projekt darauf ab, berühmt zu werden?

Marcus Hank: Berühmtheit ist kein Kriterium für den Erfolg des Projekts. Meine persönliche Motivation liegt bestenfalls darin, Old Shatterhand und Winnetou zu spielen. Hamon Tanin: Flüchtlingen wird von den Medien auch vorgeworfen, durch Hungerstreiks berühmt werden zu wollen. Ich möchte nicht berühmt sein, ich führe einfach nur eine politische Aktion durch.

 

Wäre solch eine Inszenierung in Afghanistan möglich?

Marcus Hank: Es wäre anmaßend von uns, in Afghanistan aufzutreten, da ich keine Ahnung von Afghanistan habe und Hamon, wie ich ihn wahrnehme, mehr Deutscher als Afghane ist. Interessant sind jedoch die Reaktionen von hierlebenden Afghanen. Manche von ihnen waren anfangs aber eher skeptisch. Hamon Tanin: Ich hatte den Eindruck, dass viele junge Exilafghanen für einen humoristischen Umgang mit der Thematik offen sind. Dadurch wird vieles ertragbarer und veränderbar. Die Heimatabende sind aber grundsätzlich für den deutschsprachigen Alpenraum und nicht für Afghanistan konzipiert.

 

Marcus Hank, Sie meinten bei Ihrer Veranstaltung in Berlin, dass Sie sich Ihre Heimat schön spielen müssen. Sind Ihnen Heimatgefühle generell ein Graus?

Marcus Hank: Gerade weil ich Heimatgefühle habe, musste ich dieses Projekt machen. Ich lebe in Salzburg, bin aber Münchner. Es ist vollkommen absurd, wie ich mich gleichgesinnter fühle, sobald ich mich auf die bayerische Seite bewege. Das Projekt ist eine spannende Auseinandersetzung mit der Fremdheit im eigenen Land. Ich könnte die Lederhose nicht anziehen, wenn ich sie nicht mit einem Turban auf dem Kopf verfremde.

 

Und wie ist das bei Ihnen, Hamon? Haben Sie sich an den Wahlen in Afghanistan beteiligt?

Hamon Tanin: Nein, die Wahlen in Afghanistan sind eine Farce. Trotzdem setze ich mich mit meiner Heimat auseinander. Aber ich habe jetzt zwei »Heimaten«. Es ist Quatsch zu sagen, dass man zwischen zwei Stühlen sitzt. Ich versuche auf beiden Stühlen zu sitzen, aber gleichzeitig merke ich, wie diese beiden Stühle mich auseinanderreißen. Wenn ich afghanisches Essen esse oder Bollywood-Lieder höre, dann erinnert mich das positiv an meine Kindheit, aber gleichzeitig merke ich, wie schmerzvoll Afghanistan sein kann.

 

Das klingt alles sehr nostalgisch und erinnert an einen Fernsehbeitrag des Bayerischen Rundfunks, in dem Sie als studierter Migrant als Beispiel für »gelungene Integration« hochstilisiert werden.

Hamin Tanin: Dieser Beitrag ist so gemacht, wie ich es erwartet hab. Die mediale Darstellung von Ausländern und Migranten ist wie sie ist. Gleichzeitig ist es auch ein Spiel, das ich mitgespielt habe. Jetzt weiß ich, was ich das nächste Mal wie sagen werde. Und ich weiß auch, dass dieser Beitrag dann nicht gesendet wird.

 

Sie meinten, dass die Erinnerung an Afghanistan auch viele schmerzvolle Gefühle auslöst. Wie fühlt es sich an, wenn Sie als Omar auf der Bühne stehen?

Hamin Tanin: Ich muss immer mit Omar kämpfen. Er ist natürlich Teil von mir. Aber Omar ist ein Tier. Marcus muss sich nur mit Alois auseinandersetzen. Der ist noch kontrollierbar. Zusätzlich muss ich mich mit meinem Fremdsein in Deutschland auseinandersetzen. Wie es ist, nicht dazuzugehören.

 

Omar ist ein Tier, Alois hingegen kontrollierbar – Eine absichtliche Wertung des bösen Afghanen Omar und des guten Deutschen Alois?

Marcus Hank: Ich finde, dass Alois viel schlimmer ist als Omar. Der demagogische Deutsche instrumentalisiert Omar. Ich würde Alois als mindestens genauso verabscheuenswürdig bezeichnen, wie Hamon seinen Omar. So hat jeder seinen eigenen Faschisten an der Backe.

 

Von: 
Laura Pannasch

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