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Afrikanische Flüchtlinge und Abschiebungen in Israel

Letzte Hoffnung Abschiebeknast

Feature

Musa aus der Elfenbeinküste riskierte sein Leben, um sich in Israel ein besseres Leben zu ermöglichen. Er hatte einen Job in Tel Aviv und hätte auch in der Armee gedient. Wie tausende Afrikaner schützte ihn das nicht vor der Abschiebung.

»Mo'adim Lesimkha. äh... tov.« »Nein, Chena Tova. Sag's nochmal!« »Mo'adim Lesim... äh... chena tova“.« Ich weiß nicht, wie Musa ausgerechnet auf die Idee kam, mir hebräische Feiertagsfloskeln beibringen zu wollen. Aber wenn man 23 Stunden am Tag miteinander in einer israelischen Gefängniszelle eingesperrt ist, freut man sich wahrscheinlich über jede Beschäftigung. Ich hätte Musa wohl nie kennengelernt, hätte uns nicht der Zufall – oder besser der israelische Grenzschutz – zusammengebracht. Als Journalist wollte ich nach Israel einreisen, um über den Krieg in Gaza zu berichten.

 

Der Versuch endete in einem Verhörzimmer des Tel Aviver Flughafen Ben Gurion. Der Trip war zu kurzfristig, um mir einen neuen Pass zu besorgen. Nun wollte der Grenzbeamte schreiend wissen, was ich ich denn nun wirklich in Iran, Syrien, Ägypten gemacht habe. Aber dies soll nicht die Geschichte eines deutschen Journalisten sein, den der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet für ein »Sicherheitsrisiko« hält und der letztendlich doch drei Tage später wieder sicher in Berlin landete.

 

Dies ist die Geschichte von Musa, der sich vor fünf Jahren von der Elfenbeinküste nach Israel aufmachte und dessen größte Hoffnung nun 5.000 Euro sind – und in seine Heimat abgeschoben zu werden. »Alles, was ich noch von denen will, ist mein Geld wiederzubekommen«, beendet Musa unseren Hebräisch-Kurs. Irgendwann gegen Mitternacht ist es. Eine Uhr gibt es hier nicht, auch sonst haben wir beide nur die Sachen dabei, mit denen man uns in den Knast gesteckt hat. Rund 20 Quadratmeter ist unsere 6-Mann-Zelle groß. Es ist überraschend sauber. Sogar bequem schlafen ließe es sich – würden zwei Bulgaren nicht den ganzen Tag an der Tür hämmernd nach der nächsten Zigarettenpause verlangen.

 

Fünf Jahre ist es her, als Musa die Elfenbeinküste verließ. Sein Vater tot, seine Mutter arm, sein Bruder noch zu jung. »Es war meine Pflicht, für die Familie zu sorgen. Und in der Elfenbeinküste gibt es keine Arbeit«, erzählt er, als wir auf den türkisfarbenen Spannbeatlagen der israelischen Migrationsbehörde liegen. Ein Bus und 50 Dollar brachten ihn ins benachbarte Mali. »Dort habe ich ein Jahr gearbeitet, um die Fahrt nach Niger bezahlen zu können«, erzählt er so beiläufig, als habe er sich beim Ferienjob eine neue Stereoanlage zusammengespart.

 

Neben uns baumelt zwischen zwei Doppelstockbetten der bulgarische Bodybuilder Milo, nur mit einem Schlüpfer bekleidet. »Ich frage mich, wie viel Leid, in einen Menschen hinein passt«, stöhnt er zwischen zwei Trizepsdips. Er kennt Musas Geschichte schon. »Ich wollte einfach nur nach Europa«, erzählt Musa. Auf der Fahrt durch den Niger wäre er fast verdurstet, als das Auto seines Schleppers in der Wüste liegen blieb. In Libyen stürmten Polizisten ein Grenzdorf, in der hunderte Flüchtlinge auf die Weiterfahrt warteten. »Sie haben uns im Schlaf eingekesselt.

 

Sie haben sich Zeit genommen, für jeden von uns.« Viele starben in dieser Nacht, erzählt Musa. Jetzt solle ich aber erst einmal zeigen, wie viele einarmige Liegestütze ich schaffe, fordert Milo. Am nächsten Morgen reist uns das Heulen der Sirenen aus den Betten. Die schwere Eisentür öffnet sich. Zwei Wärter schreien uns und die anderen Gefangen in den Keller. Mal wieder Raketenalarm. Anschließend Hofgang auf einem Platz halb so groß wie ein Volleyballfeld.

 

Umgeben von fünf Meter hohen Zäunen. Musa verteilt seine Zigaretten an die eingeschüchterten Neuzugänge: Ein weißrussischer Touristenführer, dessen Reiseveranstalter vergessen hatte, ein Visum zu beantragen. Ein äthiopischer Flüchtling, den Israel nach Kuba und Kuba direkt wieder nach Israel ausgewiesen hatte. »Ich hätte mich auch der israelischen Armee angeschlossen, hätten sie mich gelassen«, erzählt Musa. Er könne seinen Anruf jetzt machen, sagt einer der Wärter.

 

Musas israelischer Anwalt ist am Telefon. »Sie geben mir immer noch nicht mein Geld«, trottet er frustriert zurück in unsere Zelle. Musa erreichte nie Europa. Seine Hoffnung auf ein besseres Leben erfüllte sich blutverschmiert im Stacheldraht eines israelischen Grenzzauns. In Ägypten sparte er schließlich die nächsten 500 Dollar zusammen, um die Schmuggler bezahlen zu können, die ihn durch die Sinai-Wüste bis zur israelischen Grenze bringen sollten.

 

Was folgte, erzählt Musa, war die Wahl zwischen »erschossen werden und erschossen werden«. Denn während wenige Meter vor dem israelischen Grenzzaun ägyptische Soldaten das Feuer auf die Flüchtlinge eröffneten, drohten die Schlepper Musa, sollte er zu ihnen zurückkehren, ihn ebenso zu erschießen. »Einem somalischen Freund haben die Soldaten in den Kopf geschossen. Ich bekam nur einen Streifschuss in den Arm«, grinst er und zeigt mir stolz seine Narbe. Ein israelischer Soldat zog ihm schließlich blutend aus dem Stacheldraht, brachte ihn nach Tel Aviv. 

 

»In Israel hatte ich die beste Zeit meines Lebens«

 

»In Israel hatte ich die beste Zeit meines Lebens.« In Tel Aviv bekam er Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Umgerechnet 1.300 Euro verdiente er im Monat als Küchenhilfe. 14 Stunden täglich, 6 Tage die Woche arbeitete er dafür. Ausbeutung für israelische Verhältnisse. »Ich hatte noch sie so viel Geld in meinem Leben«, sagt Musa. Unsere Zelle hat sich mittlerweile in einen Fitnessparcours verwandelt. Der weißrussische Reiseleiter stellt sich als ehemaliger Kung-Fu-Lehrer heraus und misst sich mit dem bulgarischen Bodybuilder Igor im Liegestützen. »Jetzt du!«, fordern die beiden Musa heraus.

 

»Ich war ein Jahr in der Wüste, ich schaffe nicht einmal Kniebeuge«, grinst er. Vier Jahre lebte Musa in Tel Aviv. Dann wurde die beste Zeit seines Lebens zur Schlimmsten. Das Anti-Infiltrationsgesetz, mit dem israelische Behörden tausendfach afrikanische Flüchtlinge zurück schicken, traf auch Musa. Holot heißt das riesige Wüstenlager für über 1.000 Menschen. »Es sah aus wie ein Lager in Libyen, nur dort verbrachte ich eine Woche und nicht ein halbes Jahr.« Es ist Israels Endstation vor der Abschiebung: Baracken, Stacheldraht, nicht genug Essen, keine medizinische Versorgung.

 

»Im Winter ist es unerträglich kalt, im Sommer unerträglich heiß«, erzählt Musa. Theoretisch dürften Flüchtlinge das Lager sogar für wenige Stunden verlassen. »Aber wohin? Ringsherum ist nur Wüste!« Ein halbes Jahr dauerte es, dann willigte Musa in seine Abschiebung ein. »Ich wollte einfach nur noch nach Hause«. 3.000 US-Dollar wurden ihm dafür versprochen. 2.000 US-Dollar schuldet ihm sein Arbeitgeber noch. »Ja, ja, später« und »Nerv nicht schon wieder« sind die einzigen Antworten des Wärters, als Musa am Abend zum gefühlt hundertsten Mal danach fragt.

 

Irgendwann in der Nacht geht die Zellentür auf. »Elfenbeinküste« ruft eine tiefe Stimme aus dem Zellengang. In einer Stunde geht der Flieger, heißt das. In ein paar Stunden wird er zurück an dem Ort sein, aus dem er vor fünf Jahren flüchtete. »Meine letzte Hoffnung«, nennt er nun die Elfenbeinküste und verschwindet im Gefangenentransporter.

Von: 
Fabian Köhler

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