Der israelisch-palästinensische Friedensaktivist Thabet Abu Rass erklärt im Interview, welche Ziele Donald Trump und seine Gastgeber am Golf auf seiner Nahostreise verfolgten – und wo er mit Netanyahu über Kreuz liegt.
zenith: Donald Trump möchte seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus mit einem Friedensschluss in Nahost in Verbindung gebracht werden – die Waffenpause im Gaza-Krieg im Januar fiel etwa mit seiner Amtseinführung zusammen. Steckt dahinter ein bestimmtes Kalkül?
Thabet Abu Rass: Dieses Verhaltensmuster des Präsidenten zeigt sich auch in anderen Konflikten. Etwa bei den Bemühungen, Wladimir Putin und Wolodymyr Zelenskyi gemeinsam an den Verhandlungstisch zu bringen oder ein Nuklearabkommen mit Iran auszuhandeln. Sein Ziel ist es, sich prestigeträchtig als eine Art globaler Friedensbringer zu präsentieren, aber auch – und das in erster Linie – Stabilität in der Region zugunsten eigener ökonomischer Interessen zu schaffen. Er hat ja bereits Bestrebungen zum Ausdruck gebracht, eine »Riviera des Nahen Ostens« in Gaza aus dem Boden zu stampfen. Auch seine jüngste Ankündigung, er wolle die Sanktionen für Syrien aufheben, passt in das Muster. Es geht dabei nicht um den ethischen Anspruch, für Frieden zu sorgen. All das ist Ausdruck seines Vorhabens, strategisch wichtige Staaten mit großem wirtschaftlichem Potenzial durch Diplomatie an sich zu binden.
Welche Akteure stehen hinter der amerikanischen Agenda in der Region?
Selbst auf Seiten der Republikaner finden sich einige, die in Netanyahus Kriegskurs ein Hindernis sehen – weil aus ihrer Sicht diese Eskalation ja dem Ziel der Befriedung zuwiderläuft. Aber viele seiner Parteigenossen unterstützen Israels Krieg auch oder sind wenigstens damit einverstanden. Das muss natürlich berücksichtigt werden. Aber im Allgemeinen liegt die größte Gestaltungsmacht in der Region bei Trump selbst. Daneben spielt Trumps enger Freund und Berater Steve Witkoff eine wichtige Rolle. Er ist Verhandlungsführer für den Ukraine-Krieg und den Nahen Osten. Und weil auch er Geschäftsbeziehungen in der Region pflegt, vertritt er dieselbe Position wie Trump: Stabilität in der Region zugunsten persönlicher wirtschaftlicher Interessen.
Unterscheiden sich Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien in ihren Motiven für eine engere Kooperation mit Trump?
In Bezug auf die Interessen der Golfstaaten besteht ein zugrundeliegender Konsens in der Region: Die Voraussetzung für einen stabilen, sicheren und wachstumsfähigen Nahen Osten ist eine Lösung des Nahostkonflikts. Ihre Motive unterscheiden sich insofern, dass etwa Saudi-Arabien durchaus auch auf den Druck aus der eigenen Bevölkerung Rücksicht nehmen muss und sich deshalb deshalb stärker in die Verhandlungen im Gaza-Krieg einbringt. Vielen Saudis ist ein Ende des Leids der palästinensischen Bevölkerung immer noch ein wichtiges Anliegen. Außerdem sind alle drei Golfstaaten interessiert an Partnerschaften, die ihre strategische Position in der Region verbessern. Das versuchen sie beispielsweise mithilfe von Technologietransfers zu erreichen. Nicht zuletzt in Bereichen wie Atomkraft oder Künstlicher Intelligenz.
Washington und Riad wollen sich jeweils Investitionen der Gegenseite in ihrem Land sichern. Ergibt sich daraus nicht ein Interessenkonflikt?
Natürlich möchte Saudi-Arabien durch Akquise ausländischer Investitionen sein Wirtschaft diversifizieren. Aber im Verhältnis mit den Vereinigten Staaten bleibt das saudische Hauptinteresse die strategische Partnerschaft.
»Vor dem Hintergrund der israelischen Blockade in Gaza ist eine Annäherung vorerst wieder in weite Ferne gerückt«
Inwiefern haben sich die Verhandlungspositionen der Golfstaaten gegenüber den USA seit Trumps erster Amtszeit verändert?
Aktuell vollzieht sich auf globaler Ebene ein Wandel zwischenstaatlicher Ordnungen. Saudi-Arabien etwa hat seine Beziehungen zu China, Russland und anderen Staaten intensiviert. Die Vereinigten Staaten bleiben trotz allem der wichtigste Partner, ökonomisch und sicherheitsstrategisch. In absehbarer Zeit wird sich das nicht ändern. Und auch wenn sich das Verhältnis zu Iran verbessert hat, stellt die Islamische Republik nach wie vor eine Bedrohung für den saudischen Hegemonieanspruch in der Region dar.
Washington drängt weiter darauf, dass Saudi-Arabien im Rahmen der Abraham-Abkommen diplomatische Beziehungen mit Israel aufnimmt. Ist das angesichts der anhaltenden Kriegsführung in Gaza überhaupt realistisch?
Solange Israel sich nicht einem konkreten Fahrplan zur Befriedung der Situation verpflichtet oder zumindest die katastrophale humanitäre Lage zumindest verbessert, bleibt die Normalisierung sehr unwahrscheinlich. Im Gegenteil, vor dem Hintergrund der israelischen Blockade in Gaza ist eine Annäherung vorerst wieder in weite Ferne gerückt. Israel zeigt sich allerdings wenig interessiert an einem Frieden.
Anders als 2017 machte Trump auf seiner ersten Nahostreise in dieser Amtszeit nicht Halt in Israel und hat unterdes an der Regierung Netanyahu vorbei eine Geiselfreilassung mit der Hamas ausgehandelt. Ist das Misstrauen zwischen Trump und Netanyahu gewachsen?
Definitiv. Die USA sind und bleiben ein starker und enger Partner Israels. Nichtsdestotrotz lassen sich zunehmende Spannungen insbesondere zwischen Netanyahu und Trump ausmachen. Das liegt vor allem daran, dass Trump, wenn auch aus geschäftlichem Kalkül, einen Frieden in der Region anstrebt, während Netanyahu den Konflikt kontinuierlich eskaliert, weil es eben in seinem Interesse liegt.
Thabet Abu Rass