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Deutschland, Diplomatie und Nahostkonflikt

Gazas Zukunft und eine Rolle für Deutschland

Essay
Deutschland, Diplomatie und Nahostkonflikt
Außenminister Johann Wadephul (l.) zu Besuch bei Muhammad Mustafa (r.), dem Premierminister der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah

Wie die Bundesrepublik ihre Sichtbarkeit in Gaza erhöhen und den Vertrauensverlust in die deutsche Politik abmildern kann.

Es gibt gute Gründe für die Bundesregierung, sich beim Wiederaufbau in Gaza prominent einzubringen. Denn Deutschland trägt nicht nur historische Verantwortung für Jüdinnen und Juden, sondern aufgrund der Verkettungen der Konfliktgeschichte ebenso für die Menschen in Palästina und damit auch in Gaza. Zudem kann eine Stabilisierung des europäischen Nachbarschaftsraums – als Interesse Deutschlands, um negative Ausstrahlungseffekte zu verhindern – kaum gelingen, ohne dass der israelisch-palästinensische Konflikt geregelt wird. Nicht zuletzt bietet ein Engagement beim Wiederaufbau Gazas die Chance, die beschädigte Glaubwürdigkeit Deutschlands wiederherzustellen.

 

Denn der Vertrauensverlust in die deutsche Politik – vor allem, aber keineswegs ausschließlich – im Globalen Süden aufgrund einer als extrem einseitig wahrgenommenen Positionierung zugunsten Israels und zulasten der regelbasierten Weltordnung seit dem 7. Oktober 2023 kommt angesichts der internationalen Lage zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Ohne enge und vertrauensvolle Beziehungen zu Gleichgesinnten, Verbündeten und fallbezogenen Kooperationspartnern dürfte es für die Bundesregierung schwer werden, ihre wirtschaftlichen, politischen und sicherheitsrelevanten Interessen in einer zunehmend multipolaren Welt zu verfolgen.

 

Deutschland hat zusammen mit Italien, dem Vereinigten Königreich und Frankreich den Wiederaufbauplan der arabischen Staaten begrüßt. Diese Unterstützung ist vor allem eine deutliche Absage an US-Präsident Donald Trumps Idee einer »Riviera in Gaza«, die die gewaltsame Vertreibung von rund zwei Millionen Palästinensern mit sich bringen würde.

 

Ein Fokus, der lediglich auf mehr Effizienz des Regierungshandelns und die Ausbildung von Sicherheitskräften abhebt, greift zu kurz

 

Allerdings ist der Plan der arabischen Staaten bislang weder politisch noch materiell unterfüttert worden. Vier Leitlinien sollten das deutsche Engagement beim Wiederaufbau bestimmen: Erstens sollte das Engagement mit gleichgesinnten europäischen und internationalen Partnern (insbesondere den Nachbarn Israels und den arabischen Golfmonarchien) abgestimmt werden.

 

Zweitens sollte es in einen politischen Prozess der Konfliktregelung eingebettet sein, der die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts beider Völker zum Ziel hat. Es sollte drittens auf die »Wiedervereinigung« des Westjordanlands einschließlich Ostjerusalems und des Gazastreifens als Territorium eines palästinensischen Staates ausgerichtet sein.

 

Und viertens sollte es palästinensische Expertise in die Planung einbeziehen und bei der Umsetzung palästinensische Firmen und Arbeitskräfte bevorzugen, wo immer dies möglich ist. Es geht darum, die Bedürfnisse der palästinensischen Bevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen, die am Boden liegende Wirtschaft wiederzubeleben und den Menschen eine wirtschaftliche Perspektive zu geben.

 

Die Finanzierung des Wiederaufbaus durch einen internationalen Fonds wäre sinnvoll. Dieser könnte auf der von Ägypten gemeinsam mit den Vereinten Nationen und in Abstimmung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) geplanten Geberkonferenz mit der ägyptischen Regierung und den arabischen Golfmonarchien, insbesondere Saudi-Arabien, aufgelegt werden. Angesichts eines Gesamtbedarfs von umgerechnet rund 49 Milliarden Euro wäre auch ein signifikanter Beitrag der Bundesregierung wünschenswert.

 

Ein Fonds hätte den Vorteil, dass die Mittel und damit die Maßnahmen besser koordiniert und transparenter vergeben werden könnten. Entscheidend bei der Verwaltung des Fonds wäre die Einbeziehung palästinensischer Experten, um eine bedarfsgerechte Umsetzung zu gewährleisten.

 

Bilateral kann Deutschland an sein bisheriges Engagement anknüpfen – etwa bei der Unterstützung von Reformen der PA. Eine Fokussierung allein auf mehr Transparenz und Effizienz des Regierungshandelns und die Ausbildung von Sicherheitskräften greift jedoch zu kurz. Im Kern muss es um die Rückkehr zu einem gewaltenteiligen Regierungssystem und einer durch Wahlen legitimierten politischen Führung gehen. Ohne Rechtssicherheit, politische Verantwortlichkeit und robuste Kontrollmechanismen kann weder die Korruptionsbekämpfung gelingen noch die notwendige Legitimität hergestellt werden, die es braucht, damit die PA mittelfristig die Kontrolle über den Gazastreifen effektiv übernehmen kann.

 

Dies kann nur gelingen, wenn die Bundesregierung nicht immer größere Kreise der Zivilgesellschaft von der Kooperation ausschließt

 

Deutschland kann beim Wiederaufbau auch an seine bisherigen Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit anknüpfen, insbesondere in den Bereichen Wasser/Abwasser und Bildung. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit verfügt in diesen Bereichen über langjährige Erfahrungen im Gazastreifen und könnte so einen entscheidenden Beitrag zur  Wiederherstellung der Lebensgrundlagen und zur Ausbildung der nächsten Generationen leisten.

 

Dies würde auch die Sichtbarkeit Deutschlands in Gaza und darüber hinaus erhöhen und so helfen, den Vertrauensverlust in die deutsche Politik zu überwinden oder zumindest abzumildern. Eine besondere Rolle sollte der palästinensischen Zivilgesellschaft zukommen. Dabei geht es nicht nur um die NGO-Szene, sondern auch die Berufsvereinigungen, Gewerkschaften und Graswurzelorganisationen. Ihre Einbindung in den Wiederaufbauprozess – und nicht nur einmalige Konsultationen – ist von zentraler Bedeutung, um einen bedarfsorientierten Wiederaufbau und Eigenverantwortung der lokalen Bevölkerung zu erreichen, statt sie zu reinen Hilfsempfängern zu degradieren.

 

Die Bundesregierung sollte diese Einbindung aktiv unterstützen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn sie nicht immer größere Teile der palästinensischen Zivilgesellschaft von der Zusammenarbeit ausschließt. Nicht zuletzt wird dem UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) eine herausgehobene Rolle bei lebensrettender Nothilfe und ersten Aufbaumaßnahmen (»early recovery«) sowie mittelfristig insbesondere im Bildungs- und Gesundheitssektor zukommen.

 

Denn nur UNRWA verfügt im Gazastreifen über die notwendigen Einrichtungen, Strukturen, logistischen Kapazitäten und erfahrenen lokalen Arbeitskräfte, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Die Bundesregierung sollte daher das Hilfswerk durch die Unterstützung von Reformvorhaben weiter stärken und gemeinsam mit anderen Gebern den Wegfall der US-Finanzierung kompensieren.


Dr. Muriel Asseburg ist Nahostexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Dr. Konstantin Witschel ist Referent für Israel und Palästina im Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).

Von: 
Muriel Asseburg und Konstantin Witschel

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