Veraltete Flugzeuge, improvisierte Ersatzteile: Aufgrund der internationalen Sanktionen ist die Flugsicherheit iranischer Airlines miserabel. Die Entspannung im Atomstreit verspricht Besserung – und westlichen Firmen lukrative Aufträge.
Am 15. Juli 2009 – dem Tag, an dem der Anruf in der Polizeiwache einging – saß Mohsen Kazemi gerade mit ein paar Kollegen zusammen. Sie hatten Tee getrunken, geredet und gelacht, erinnert er sich über vier Jahre später. »Jemand sagte: Da ist ein Flugzeug abgestürzt. Ihr müsst sofort hin.« Flug 7908 der iranischen Caspian Airlines war kurz nach dem Start nahe der Stadt Qazvin im Nordwesten Irans abgestürzt. Alle 168 Insassen an Bord der über 20 Jahre alten Tupolew Tu-154M waren sofort tot.
Kazemi und seine Kollegen waren die ersten Helfer, die den Krater erreichten. »Überall waren Flammen und Körperteile«, sagt Kazemi. Die Wucht des Aufpralls hatte die Passagiere buchstäblich zerfetzt; der größte Fleischfetzen sei nicht größer als eine Visitenkarte gewesen. »Wir haben die Stücke in Plastiktüten getan.« Sie hätten etwa zehn Tüten mit den winzigen Leichenteilen gefüllt. »So viele Menschen in so wenig Tüten.«
Danach konnte Kazemi tagelang nicht schlafen, die Erinnerungen schlichen sich in seine Träume, immer wieder schüttelten ihn Heulkrämpfe. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Warum? Warum ist das Flugzeug abgestürzt?« Er habe gehört, dass das Flugzeug veraltet war. Aber ob das der Grund für den Absturz war? Kazemi zuckt die Schultern: Er wisse es einfach nicht. In den Zeitungen habe das nie gestanden. Nur so viel: »Alle haben Angst, wenn sie in Iran fliegen: Es ist einfach gefährlich.«
Seit 1979 haben die USA zusammen mit den Europäern ein immer engmaschigeres Netz von Sanktionen über das Land gespannt: Sie betreffen heute nicht nur das Nuklearprogramm, sondern auch iranische Banken und Auslandskonten, Ölexporte – und die zivile Luftfahrt. Die Sanktionen verbieten den Verkauf neuer Flugzeuge an Iran. Daher ist die Flotte des Landes völlig überaltert: Viele Maschinen sind bis zu 30 Jahre alt oder aber notorisch unsichere russische Flugzeuge.
Zwar kann Iran auch Airbus- oder Boeing-Maschinen aus Drittländern kaufen, etwa der Ukraine oder der Türkei, doch die müssen ein bestimmtes Alter haben. Sonst fallen sie aufgrund ihrer US-amerikanischen Komponenten unter das US-Embargo. Länder, die gegen die Auflagen verstoßen, riskieren, vom US-Markt ausgeschlossen zu werden. Allerdings sei nicht allein das Alter eines Flugzeuges ausschlaggebend für die Sicherheit, sondern die Wartung, sagt Harro Ranter vom Aviation Safety Network, das Flugzeugabstürze dokumentiert und untersucht.
»Manche Gesellschaften fliegen noch ältere Flugzeuge.« Bei den regelmäßigen Kontrollen der Internationalen Luftfahrbehörde erreiche Iran in fast allen Bereichen gute Werte. »Theoretisch haben sie also viele Bereiche im Griff.« Viele, aber nicht alle: Vor allem an Ersatzteilen mangelt es. Auch sie fallen unter die Sanktionen. Das sei das eigentliche Sicherheitsproblem, sagt Ranter.
Manchmal warten Ingenieure in Iran jahrelang auf Ersatzteile
Manchmal müsse er Monate oder sogar Jahre auf Ersatzteile warten, erzählt ein Ingenieur, der bei Iran Air in der Flugzeugwartung arbeitet. Wenige Tage zuvor habe die Gesellschaft gebrauchte Motoren aus der Türkei bestellt. »Wir haben bezahlt, aber als die Motoren geliefert werden sollten, haben die USA das verboten.« Die bezahlten Motoren blieben jetzt auf unbestimmte Zeit in der Türkei. Besonders schwierig sei es derzeit, an Bremsen und Reifen zu kommen, sagt der Ingenieur, dessen Name nicht genannt werden soll.
Manchmal flicke er die Flugzeuge mit gebrauchten Teilen aus alten Maschinen zusammen, die nicht mehr fliegen können und im Hangar stehen. Das sei natürlich problematisch für die Sicherheit der Flugzeuge. »Aber was sollen wir machen?« Seit dem Inkrafttreten der Sanktionen haben sich Flugzeugabstürze in Iran gehäuft: Nach Ranters Informationen sind fast jedes Jahr ein oder zwei, manchmal sogar acht Flugzeuge abgestürzt oder mussten notlanden.
Zwar veröffentlichten die iranischen Behörden die Unfallberichte nicht, deshalb sei es schwer, definitive Aussagen über die tatsächlichen Unfallursachen zu treffen. Aber Ranter ist sich sicher: Hätte man es dem Land ermöglicht, moderne Flugzeuge zu kaufen, wäre die Gefahr von Flugzeugunglücken geringer. Die Zahl der iranischen Airlines, die europäische Flughäfen anfliegen dürfen, nimmt aus diesem Grund auch seit Jahren ab – sie erfüllen die Sicherheitsbestimmungen nicht.
Aber selbst wenn sie in Europa landen dürfen: Betankt werden können sie aufgrund der EU-Sanktionen nicht. Iran Air muss deshalb Umwege über Drittländer fliegen, um die Tanks der Maschinen für den Rückflug aufzufüllen. Dies könnte sich nun aber ändern. Michael Tockuss sieht müde aus: Das Vorstandsmitglied der Deutsch-Iranischen Handelskammer hat den ganzen Tag in Meetings im Auswärtigen Amt und im Wirtschaftsministerium verbracht. Tockuss bestellt einen Kaffee, dann stellt er sein Smartphone leise.
Seit Wochen klingelt es fast ununterbrochen, immer wieder rufen Unternehmer an und fragen nach dem Interimsabkommen, Handelsbestimmungen und Bankenregulierungen. Seit sich der Westen und Iran im Nuklearstreit auf ein Interimsabkommen geeinigt haben, das am 20. Januar 2014 in Kraft trat, hat der Westen einige Sanktionen vorübergehend gelockert – auch für Flugzeugersatzteile. Seitdem kommen Unternehmer auf Tockuss zu, »die bislang Anfragen aus Iran mehr oder weniger abgebügelt haben«.
Als Ruhani im Herbst 2013 vor der UN sprach, trafen Mitglieder seiner Delegation ein paar Meter weiter bereits Vertreter von Boeing
Deutsche Expertise und auch Kontakte sind auf einmal gefragt: Fast 7.000 vor allem mittelständische Firmen, schätzt Tockuss, sind in Iran aktiv. Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner geblieben, trotz der Sanktionen, die in den vergangenen Jahren jegliche Geldtransfers mit iranischen Partnern praktisch unmöglich gemacht hatten. In den wenigen Wochen seit dem Interimsabkommen hat Tockuss bereits eine Handvoll europäischer Firmen gefunden, die bereit sind, legale Geschäfte mit Iran abzuwickeln.
Als Irans Präsident Hassan Ruhani im September 2013 in New York seine Bereitschaft zu Verhandlungen signalisierte, hätten sich ein paar Meter entfernt Mitglieder seiner Delegation mit Vertretern von Boeing getroffen, erzählt Tockuss. Sowohl Airbus als auch Boeing stünden in den Startlöchern: »Bisher haben die mit den Schultern gezuckt und gesagt: Wir dürfen ja nicht.« Offiziell bestätigen weder Airbus noch Boeing, dass parallel zu den politischen Verhandlungen Gespräche stattgefunden hätten.
Tockuss schüttelt den Kopf: Die gesamte Branche positioniere sich, da sei er sich sicher. Denn der iranische Markt, der seit Jahren nach Importen hungert, sei lukrativ. »Wir alle planen zu expandieren«, sagt der Manager einer privaten Fluggesellschaft in Iran. Seit November 2013 versuche jeder in der Branche, neue Kontakte aufzubauen. »Die alten Mittelsmänner, die uns heimlich Teile unter der Hand verkauft haben, brauchen wir bald
nicht mehr.« Dann würden auch die Preise fallen; sein Unternehmen sei vielleicht sogar international konkurrenzfähig, hofft er. Zwar hebt das Interimsabkommen nur die Sanktionen für Ersatzteile auf, nicht aber für Flugzeuge. Doch der Manager hofft auf die weiteren Verhandlungen. Das Ziel ist ein umfassendes Abkommen, das auch das Sanktionsregime endgültig aufhebt. Dann würde er sofort 100 neue Maschinen bestellen, erklärt der Manager, der – trotz aller Hoffnung – anonym bleiben möchte.
Ob man nicht vielleicht ein paar gute Kontakte habe, fragt er zum Abschied höflich: Jemand, der beim Kauf behilflich sein könnte? Unter seinen iranischen Kontakten herrsche eine regelrechte Euphorie, sagt Tockuss. Er versuche diese Aufbruchsstimmung ein wenig zu bremsen. Denn zum einen seien die Sanktionen nur vorübergehend gelockert – hält sich Iran nicht an seine Verpflichtungen, können sie jederzeit wieder verschärft werden.
Außerdem beunruhige ihn die Initiative einiger US-Kongressabgeordneter, neue, verschärfte Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Sollte US-Präsident Barack Obama das nicht verhindern können, würden die Verhandlungen torpediert, fürchtet Tockuss. Er schaltet sein Handy wieder an und entschuldigt sich: Am nächsten Morgen habe er bereits das nächste Gespräch mit Unternehmern in Hamburg.
Ein paar Tage später klingelt das Telefon. Er wolle nicht stören, sagt Mohsen Kazemi. Er habe wieder von dem Absturz geträumt, von den vielen Leichenteilen und dem Feuer. Was er vom Abkommen halte? Er glaube nicht daran, dass es wirklich etwas bringe. Und außerdem, die ganzen Toten werde es auch nicht wieder zum Leben erwecken. Dann legt er auf.