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Fremdenfeindlichkeit und Misstrauen in Ägypten

Überall Feinde

Analyse

Die Militärregierung erklärt im selbst ausgerufenen »Kampf gegen den Terrorismus« alle Widersacher zu Muslimbrüdern – und damit zu Staatsfeinden. Warum Fremdenfeindlichkeit und Misstrauen in Ägypten auf fruchtbaren Boden fallen.

Am 25. Januar 2014, dem dritten Jahrestag der Revolution, die Hosni Mubarak zum Sturz brachte, lauern Sicherheitskräfte des Innenministeriums der linken Aktivistin Nazly Hussein an einer Metrostation auf und verhafteten sie. Die Anklage lautet: Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern. Nazly Hussein trägt offenes Haar und war im November 2012 vor dem Präsidentenpalast bei den Demonstrationen gegen die Selbstermächtigungsdekrete des ehemaligen Präsidenten Muhammad Mursi dabei – auf Seiten der Demonstranten gegen die Regierung der Muslimbrüder.

 

Derzeit sitzt sie im Gefängnis und wartet darauf, dass das Innenministerium sie von der Anklage freispricht, Mitglied bei den Muslimbrüdern zu sein. Es bedarf längst keiner real existierenden Verbindung zu der mittlerweile verbotenen islamistischen Organisation mehr, um dieser Tage in Ägypten als Mitglied oder Sympathisant der Muslimbrüder diffamiert, angegriffen oder verhaftet zu werden.

 

Muslimbruder zu sein, ist nach der Definition der herrschenden Militärregierung zum Synonym für Staatsfeind geworden. Und in der aufgepeitschten Stimmungslage, in dem sich das Land in dem vor der Militärregierung proklamierten »Kampf gegen den Terrorismus« befindet, droht nahezu ausnahmslos allen Widersachern der Militärregierung als Unterstützer der Muslimbrüder – und demnach als Staatsfeind – beschuldigt zu werden.

 

Ausländer als Verbündete der Muslimbrüder

 

Der Vorwurf, im Bunde mit dem Muslimbrüdern zu stehen, trifft nicht mehr nur Islamisten oder nicht-islamistische Gegner des Regimes wie Nazly Hussein, sondern auch in Ägypten lebende Ausländer. Im Sommer, nach den Massendemonstrationen gegen Mursis Regierung und der darauffolgenden Machtübernahme des Militärs, schlug die gegenwärtige Xenophobie ihre ersten Wellen.

 

Da westliche Medien und Politiker die Machtübernahme des Militärs kritisch beurteilten und teils von einem Militärputsch sprachen, stieg die Feindseligkeit gegenüber westlichen Ausländern außerhalb der Touristenorte stark an. Doch weitaus härter traf es die oft ohne rechtliche Sicherheit in Ägypten lebenden Syrer. Ultranationalistische Fernsehmoderatoren wie der bekennende Ancien-Régime-Anhänger Tawfiq Okasha drohten offen mit Gewalt, der Tenor war der Gleiche: Die Syrer seien mit den Muslimbrüdern im Bunde und nach Ägypten gekommen, um das Land zu destabilisieren.

 

Während der Sommermonate folgten oft willkürliche Festnahmen von Syrern durch die Polizei. Vielen willkürlich verhafteten Syrern boten die ägyptischen Behörden als einzige Möglichkeit die Ausreise aus dem Land an. Mittlerweile hat ein Großteil der Syrer, die es sich leisten konnten, Ägypten wegen der steigenden fremdenfeindlichen Stimmung wieder verlassen. Jene Syrer, welche nach wie vor mit ihren Pässen in der Hand an den Metrostationen Kairos betteln, zählen zu den Ärmsten der Armen.

 

Neuankömmlinge aus Syrien gibt es seit diesem Sommer nicht mehr, seitdem die ägyptischen Behörden Syrern kategorisch die Einreise verweigern. In der jüngeren Vergangenheit sind auch ägyptische Menschenrechtler ins Visier des  Sicherheitsapparates geraten, die seit der Xenophobie-Welle des Sommers versuchen, syrischen Opfern von Staatwillkür ein Maß an rechtlichem Schutz zu bieten.

 

Regimenahe Medien schüren das Misstrauen gegenüber Fremden

 

Ein Großteil der ägyptischen Medien wirkte in der aufgeheizten Stimmungslage nicht als Moderator, sondern spielte das bipolare Spiel der Militärregierung mit. In manchen Zeitungen wird General Abdelfattah Al-Sisi in einem Maße gepriesen, wie es nur in totalitären Regimen üblich ist. Auf der anderen Seite der Gleichung steht die Dämonisierung der Muslimbrüder und das Schüren von Misstrauen gegenüber allem Fremden.

 

In einem solchen Klima konnte selbst ein Fernsehteam der ARD zum Opfer eines gewalttätigen Mobs werden, wie dies am 24. Januar in Kairo geschah. Als das dreiköpfige Kamerateam am Schauplatz der Explosion vor einer Polizeiwache nahe des Stadtzentrums eintraf, wurde es von einem aggressiven Mob angegriffen und als »Verräter« und »Unterstützer der Muslimbrüder« beschuldigt. Letztendlich kam das Team mit leichten Verletzungen und dem Schrecken davon, weil ein ägyptischer Zivilpolizist in die Luft schoss und die drei Reporter auf einem Motorrad retten konnte.

 

Etliche ausländische Journalisten wurden zudem in der jüngeren Vergangenheit verhaftet und unter den vagen Vorwürfen der Spionage und der »Gefährdung der inneren Sicherheit Ägyptens« vorübergehend festgehalten, wie zuletzt der amerikanische Übersetzer und freie Journalist Jeremy Hodge. Sein aus dem Nordsinai stammender Mitbewohner, der Dokumentarfilmer Hossam Meneai, ist nach wie vor in Polizeigewahrsam.

 

Die historischen Wurzeln der Fremdenfeindlichkeit

 

Die Geschwindigkeit, mit dem sich Misstrauen gegenüber Fremden und xenophobe Ressentiments in der Bevölkerung verbreiteten, ist nur scheinbar überraschend. Ägyptische Medien und Politiker können in ihren Ausführungen über Intrigen spinnende ausländische Kräfte auf einen weiten Fundus geschichtlich verwurzelter Propaganda-Elemente zurück greifen. Vor der endgültigen Unabhängigkeit Ägyptens 1952 war dieses definierende Kernelement des modernen ägyptischen Nationalismus vor allem gegen Großbritannien gerichtet, dessen Kolonialregierung dem Land 1922 zwar ein parlamentarisches System gewährte, aber dennoch eine Militärpräsenz und die Kontrolle über den Suez-Kanal behielt.

 

Während der Nasser-Jahre wurde im post-kolonialen Geiste vieler gerade unabhängig gewordener Ex-Kolonien ein beträchtlicher Teil der Sowjetpropaganda übernommen – in Opposition zum imperialistischen und als intrigant wahrgenommenen Westen. Ein historisches Schlüsselereignis, das diese Sichtweise verfestigte war die Suezkrise 1956 – im Arabischen noch heute als »Drei-Parteien-Aggression« bekannt.

 

Auch wenn die Akteure aus sehr unterschiedlichen Beweggründen handelten – Großbritannien und Frankreich vor allem, um Ägyptens Verstaatlichung des Suez-Kanals rückgängig zu machen und Israel primär, um Nassers militärische Aufrüstung zurückzustutzen – wurde er vom Nasser-Regime als Parade-Beispiel für die Bedrohung Ägyptens durch missgünstige äußere Mächte genutzt.

 

»Eine bewusst geschürte Schmutzkampagne«

 

Auch nach dem historischen Schwenk Richtung Westen und dem Friedensvertrag mit Israel unter Anwar Al-Sadat blieben derlei Propaganda-Elemente in den folgenden Mubarak-Jahre Teil der Populärkultur. So konnte beispielsweise im Jahre 2000 ein Lied mit unmissverständlichem Inhalt die ägyptische Zensoren passieren. »Ich hasse Israel!«, singt Shaban Abdel Rahim darin im Refrain.

 

Obwohl das Mubarak-Regime allen Bedingungen des Friedensvertrages mit Israel nachkam, ließ es Hasspropaganda gegenüber Israel ebenso gewähren, wie die wachsende kulturelle Präsenz der Islamisten. Auch das Florieren von Verschwörungstheorien kam dem Mubarak-Regime letztendlich gelegen – in der Kalkulation der Machthaber lenkte all dies Kritik am Machtanspruch und den Verfehlungen des eigenen Regimes ab. 

 

Vor diesem Hintergrund treffen die Verdächtigungen und xenophoben Ressentiments in einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung auf fruchtbaren Nährboden, so absurd sie außenstehenden Beobachtern und den gebildeteren Bevölkerungsschichten in Ägypten erscheinen mögen. Der Journalist und Blogger Wael Eskander sieht in den derzeit von Medien und Politikern der Militärregierung produzierten Feindbildern eine bewusst geschürte Schmutzkampagne – mit dem Ziel die Willkür und Korruption des gegenwärtigen Regimes zu verschleiern.

 

Die gebetsmühlenartig vorgetragenen Kernforderungen des Aufstands von 2011, »Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit« – seien aufgegeben worden. »Weniger Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit – es stört die Menschen nicht mehr. Der Konsens scheint verloren gegangen zu sein und die Schmutzkampagne des Regimes gegen eine Revolution, welche versuchte, dessen Korruption ein Ende zu setzen, ist so effektiv wie nie zuvor.«

Von: 
Martin Hoffmann

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