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Häusliche Gewalt im Libanon

Knapp daneben ist auch vorbei

Feature

Nach sieben Jahren wird das Gesetz zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt im Libanon ratifiziert. Doch Aktivisten bemängeln, dass diverse Textänderungen den ursprünglichen Entwurf verwässern – und das Gesetz seinen Zweck verfehle.

Ursprünglich von der Nichtregierungsorganisation »Enough Violence and Exploitation«, bekannter unter dem Namen KAFA – Arabisch für »genug« –, vorgelegt, konzentrierte sich die ursprüngliche Gesetzesvorlage explizit auf den Schutz von Frauen. Dass dieser spezifische Fokus durch mehrere Abänderungen des Entwurfs im Rahmen des legislativen Prozesses einer weiter gefassten Zielvorstellung wich, zeichnet sich bereits am Titel ab. Beinhaltete dieser zunächst den »Schutz von Frauen vor familiärer Gewalt«, wurde er bereits 2012 umformuliert, so dass er seither den »Schutz von Frauen und Familienmitgliedern vor häuslicher Gewalt« umfasst.

 

Begründet worden war dies von dem zuständigen parlamentarischem Unterausschuss unter anderem mit dem Argument, auch Männer könnten häuslicher Gewalt zum Opfer fallen. Der erste Entwurf sei somit diskriminierend gewesen. Was auf den ersten Blick als ein Akt der Inklusion und der Gleichstellung vor dem Gesetz erscheint, betrachten Skeptiker mit Besorgnis. Die Rechte Aller gleichermaßen zu wahren, sei lediglich ein Vorwand, schrieb Menschenrechtsanwalt und Aktivist Nizar Saghieh 2013.

 

Tatsächlich habe man unter Verwendung der Gleichstellungsrhetorik insbesondere all jene Paragraphen aus dem Gesetzesentwurf entfernt, welche geschlechtsspezifische Formen von Gewalt gegen Frauen kriminalisierten. In diesem Zusammenhang die wohl größte Enttäuschung für alle Aktivisten gleichermaßen: Ein zentraler Paragraph, der explizit Vergewaltigung durch den Ehepartner kriminalisieren sollte, wurde gestrichen.

 

»Durch den jetzt allgemeinen Charakter des Gesetzes versäumt man anzuerkennen, dass Gewalt gegen Frauen innerhalb der Familien überhaupt existiert«, sagt Maya Ammar, die Öffentlichkeitsreferentin von KAFA, im Gespräch mit zenith. »Man vernachlässigt all die Hürden, denen sich Frauen gegenüber sehen, wenn sie eine Anklage erheben wollen.« Doch nicht nur die Streichungen und Versäumnisse bieten Anlass zur Sorge.

 

An die Stelle des Paragrafen zur Kriminalisierung ehelicher Vergewaltigung ist eine allgemeinere Formulierung getreten, die die Androhung und Ausführung von Gewalt »zur Einforderung des ehelichen Rechts auf Beischlaf« verbietet. Damit sei in beunruhigender Weise, so Saghieh, erstmalig ein eheliches Recht auf Beischlaf in einem libanesischen zivilrechtlichen Text verankert worden. Der ursprünglich angedachte Schutz der Frau könnte so in sein Gegenteil verkehrt werden, befürchtet Saghieh.

 

Schutz der Frau nur im Titel, nicht aber im Gesetzestext selbst

 

Nicht nur könne ein Ehemann nun erst recht Druck auf seine Frau ausüben, um sein Recht einzufordern, sondern »(...) es könnte dazu führen, dass das Abwehren eines Vergewaltigungsversuchs des Ehemanns durch die Ehefrau, bei der dieser zu Schaden kommt, als Gewaltakt an sich gewertet wird. (...) Ein Ehemann, der seine Ehefrau vergewaltigt, könnte rechtliche Schritte gegen sie einleiten, indem er sich auf ein Gesetz stützt, welches sie ursprünglich vor ihm beschützen sollte.«

 

Denn »nicht Vergewaltigung in der Ehe an sich, sondern nur der der Frau zugefügte Schaden während eines Akts der Nötigung ist demnach jetzt strafbar«, fügt Ammar hinzu. Was der abgeänderte Titel des nun verabschiedeten Gesetzes zum »Schutz von Frauen und Familienmitgliedern vor häusliche Gewalt« außerdem verschleiert: Ein expliziter Bezug zum Schutz der Frau taucht nur im Titel auf, nicht aber im Gesetzestext selbst. Das Gesetz sei aber im Schnelldurchlauf und ohne die in Aussicht gestellten Änderungsvorschläge von KAFA durchgewinkt worden, berichtet Ammar.

 

Darüber hinaus sorgen bei den Aktivisten die Vorkehrungen im Zusammenhang mit dem Erwirken von einstweiligen Verfügungen für Unmut. Zwar gilt nach wie vor das ursprünglich angedachte Recht eines Gewaltopfers, eine einstweilige Verfügung für sich und die Kinder in Obhut zu erwirken, jedoch versetzt nun ein Zusatz religiöse Rechtsprechung in die Position, zu entscheiden, welche der Kinder etwa der Obhut der Mutter zuzurechnen sind.

 

Dies ist vor allem von dem jeweiligen Alter der Kinder abhängig. Die Hürde für eine Ehefrau, gesetzlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, wird damit umso höher, muss sie doch damit rechnen, dass eines oder mehrere ihrer Kinder bei einem gewalttätigen Ehemann verbleiben müssen. Hinzu kommt, so Ammar, dass Rechtsinstanzen das Schutzgesuch übernehmen, welche im Gegensatz zum Staatsanwalt nicht ständig erreichbar beziehungsweise anrufbar sind oder sein müssen.

 

Ein rot gefärbter Daumen als Symbol für den Protest gegen häusliche Gewalt

 

Bereits im Vorfeld der Gesetzesabstimmung waren es neben Protestmärschen vor allem Social-Media-Kampagnen, die Lobbyarbeit leisteten. Besonders einflussreich war die »Roter-Daumen-Kampagne«, bei der etliche Privatpersonen, Prominente und Organisationen unter dem Hashtag #NoLawNoVote Fotos von sich auf Facebook und Twitter posteten, auf denen ihre Daumen mit roter Tinte gefärbt waren. Eine klare Botschaft an die Parlamentarier: Stimmt für uns, damit wir bei den Wahlen für euch stimmen! Auch nach der Enttäuschung geben sich die Aktivisten nicht geschlagen.

 

Aus dem Hashtag #NoLawNoVote wurde #NoProperLawNoVote, also: kein vernünftiges Gesetz, keine Stimme für euch Politiker! Auch zeigt jetzt das Symbol der Kampagne, der rot gefärbte Daumen, in einer »Dislike«-Geste nach unten. Dabei sind die Forderungen der Aktivisten simpel. Die Politikwissenschaftlerin und Aktivistin Rita Chemaly fasst sie zusammen: »Wir wollen ein Gesetz für Frauen, das eheliche Vergewaltigung kriminalisiert, ein Gesetz, dass das Recht der Frauen schützt, die Unversehrtheit ihrer Kinder zu gewährleisten und sie mit sich zu nehmen.«

 

Doch dem stehen im konfessionalistisch organisierten Libanon etlichen Hürden gegenüber. Die Änderungen am Gesetzesentwurf hatte der zuständige parlamentarische Unterausschuss immer wieder damit begründet, dass man religiösen Widerstand gegen das Gesetz beschwichtigen müsse – insbesondere von Seiten islamischer Verbände, die das Gesetz als Eingriff in die religiöse Gerichtsbarkeit und im Konflikt zu den Vorkehrungen der Scharia in Bezug auf Familienangelegenheiten sahen.

 

»Wir werden weitere Schritte unternehmen«, versichert Ammar, »bis das Gesetz in seiner besten Form, mit unseren Zusätzen, verabschiedet wird. Wir werden die Politiker bei den nächsten Wahlen dafür zur Rechenschaft ziehen, dass sie den Frauen keinen Schutz gewähren.« Der nächste Schritt auf KAFAs Agenda: Eine kürzlich veröffentliche Online-Petition richtet sich an den libanesischen Präsidenten mit der Forderung, das Gesetz nicht zu unterzeichnen und es stattdessen erneut dem Parlament zur Überarbeitung vorzulegen.

Von: 
Tahereh Matejko

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