Lesezeit: 8 Minuten
Investitionen und Arbeitsmarkt in Ägypten

Von wegen alternativlos

Analyse

Deutsche Investitionen in Ägypten machen Sinn, doch Großaufträge helfen dem Arbeitsmarkt kaum und legitimieren das Geschäftsgebaren alter Seilschaften am Nil. Dabei böte die Ungeduld der Golfländer mit Sisi Chancen für politischen Druck.

Rückblickend betrachtet war der Weg zum roten Teppich, der dem ägyptischen Staatspräsident Abdelfattah El-Sisi bei seinem Staatsbesuch in Berlin Anfang Juni ausgerollt wurde, ziemlich kurz. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war bereits im März in Sharm-Al-Sheikh zu Besuch gewesen, wo die ägyptische Regierung durch eine Investorenkonferenz versuchte, das angeschlagene Image des Landes als Investitionsziel zu verbessern.

 

Im Mai folgte ihm Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der in Kairo nicht nur Präsident Sisi traf, sondern auch den Großscheich der traditionsreichen Al-Azhar-Universität, Ahmad al-Tayyib. Im Zentrum der Gespräche während des Staatsbesuchs soll vor allem die Terrorismusbekämpfung gestanden haben. Die Signale der Bundesregierung, die autoritäre ägyptische Regierung wie vor den arabischen Umstürzen wieder primär als Partner im Kampf gegen den Terrorismus und nicht als anti-demokratischen Dorn im Auge zu sehen, waren eindeutig.

 

Bis dato galt als deutsche Bedingung für einen möglichen Staatsbesuch Sisis in Berlin jedoch noch das Abhalten von Parlamentswahlen, die ursprünglich für den März 2015 angesetzt waren. Letztlich ließ die Bundesregierung auch diese Forderung fallen und rollte dem autoritär herrschenden Ex-General ohne Bedingungen den roten Teppich aus.

 

Wie kam es dazu? Manche Beobachter gehen davon aus, dass abgesehen von den klaren Koordinaten, die Sisi angesichts des Chaos in der Region einer verunsicherten deutschen und europäischen Nahost-Politik anbieten kann, auch ein sehr handfestes Angebot von ägyptischer Seite den Ausschlag gab. Im Rahmen von Sisis Besuch in Berlin, der von einer Delegation ägyptischer Geschäftsleute begleitet wurde, wurde auch ein Rekordauftrag für die Firma Siemens besiegelt. Siemens soll demnach drei Gaskraftwerke und zwölf Windparks in Ägypten errichten; geschätztes Volumen des Deals: 8-10 Milliarden Euro.

 

Aufträge dieser Größe sind für Siemens auf dem europäischen Markt nicht einzuholen, auf dem saturierten deutschen Markt schon gar nicht. Der erste Auftrag an Siemens im Land für ein Gaskraftwerk wurde schon im März während der Investorenkonferenz in Sharm-Al-Sheikh besiegelt. Zu diesem Zeitpunkt soll die ägyptische Regierung bereits die Aussicht auf weitere Großaufträge signalisiert haben, vor allem im Bereich der Energieversorgung. Die Verbesserung der maroden Energieversorgung ist zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik der Regierung Sisi – und ein Feld, bei dem sie bei vielen Bürgern punkten kann.

 

Um dies zu erreichen, hat die ägyptische Regierung unter anderen vor, mit russischer Hilfe am Mittelmeer das erste Atomkraftwerk des Landes zu errichten. Mit deutschem Knowhow sollen Gas- und Windkraftwerke errichtet werden, aber auch bestehende Gaskraftwerke auf den billigeren Brennstoff Kohle umgerüstet werden. Vor allem im Bereich der Solar- und Kraftwerkstechnologie sei auch in der Zukunft mit weiteren Aufträgen für deutsche Firmen zu rechnen, vermuten etwa Wirtschaftsanalysten des Handelsblatt.

 

Taugen Megaprojekte in Ägypten als Wirtschaftsmotor?

 

In ihrer Wirtschaftspolitik setzt die ägyptische Regierung zudem auf symbolträchtige Großbauprojekte. Dazu zählen eine zweite Fahrtrinne für den Suezkanal, das erste Atomkraftwerk des Landes und eine neue Verwaltungshauptstadt, die in der Wüste zwischen Kairo und Suez entstehen soll. Die Geldgeber aus den Golfstaaten signalisierten bereits ihre Bereitschaft zu investieren – und hoffen auf lukrative Immobiliengeschäfte nach der Fertigstellung. 

 

Der Drang der Herrschenden nach Großbauprojekten genießt eine gewisse Tradition am Nil; und bei dem Pyramidenbau der Pharaonen muss man noch nicht einmal beginnen, um die Linie nachzuzeichnen. Ex-Präsident Gamal Abdel-Nasser ließ Anfang der 1960er Jahre den damals größten Staudamm der Welt am Oberlauf des Nils errichten, unter Anwar Al-Sadat folgte nach dem Krieg gegen Israel im Jahr 1973 die erste große Satellitenstadt außerhalb der damaligen Kairoer Stadtgrenzen: »Medinat Nasr – Stadt des Sieges«.

 

Die Regierung Mubarak versuchte sich im »Wadi-al-Jadid – Neues Tal«-Projekt in der großflächigen Gewinnung von Agrarland durch Bewässerung der südägyptischen Wüste – ein Unterfangen, was nach jetzigem Stand betrachtet als kostspieliger Fehlschlag angesehen werden kann. Aus Kreisen deutscher Unternehmer und von Teilen der Bundesregierung wird heutzutage wieder vermehrt argumentiert, dass deutsche Investitionen zwar durchaus der autoritären Regierung Sisis zu mehr Legitimität verhelfen, aber auch der maroden ägyptischen Wirtschaft auf die Sprünge helfen würden. Damit würde auch die hohe Arbeitslosigkeit und die Armut im Lande zurückgedrängt – und dadurch die Gefahr einer Radikalisierung breiter Bevölkerungsschichten in Grenzen gehalten.

 

Die alte Wirtschaftselite ist inzwischen weitgehend rehabilitiert

 

Doch es lohnt sich, diese These zu hinterfragen. Auch in den späten Mubarak-Jahren war Ägypten nach klassischen ökonomischen Indikatoren mit Wachstumsraten von 5 bis 6 Prozent ein Boomland. Doch die Profite dieser Tage wurden zumeist auf intransparente Weise unter einer kleinen regimenahen Clique von Geschäftsleuten gemacht. Und während die kleine Mittelschicht ihren relativen Wohlstand bestenfalls halten konnte, wurde die Situation für die große Bevölkerungsmehrheit immer prekärer.

 

Nach dem Ersticken des demokratischen Experiments und Sisis politischer Restauration sind es heute mehr oder weniger dieselben Seilschaften aus Militär und Geschäftsleben, welche die Geschicke des Landes bestimmen. Es gibt kaum einen bedeutenden Geschäftsmann, der in den Monaten nach dem Umsturz vorübergehend wegen Korruptionsangelegenheiten verurteilt wurde, der mittlerweile nicht wieder freigesprochen und rehabilitiert ist. Dass dieselben neuen alten Eliten heute auf mehr Partizipation und breitere Teilhabe drängen, scheint mehr als fragwürdig.

 

Auch ein anderer Umstand unterscheidet sich heute nicht von damals: Die Anzahl der jungen Menschen, die in Ägypten jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen, beträgt fast eine Million. Nach aktuellen Schätzungen geht Siemens davon aus, im Rahmen der Errichtung von drei Gaskraftwerken und zwölf Windparks im Land, ungefähr 1.000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Was ein Rekordauftrag für die Firmenbücher von Siemens und ein Imagegewinn für den Ex-General ist, bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein für die zahlreichen jungen Menschen, die überqualifiziert in prekären Jobs arbeiten.

 

Der Tourismus bleibt die Achillesferse der ägyptischen Wirtschaft

 

Ein unberechenbarer Faktor ägyptischer Einnahmen bleibt weiterhin die Tourismusbranche, in der indirekt bis zu 15 Prozent der Bevölkerung beschäftigt sind. Zwar haben sich die Touristenzahlen nach dem Tiefpunkt im Sommer 2013 im vergangenen Jahr wieder erholt, doch den vorrevolutionären Stand haben sie noch lange nicht erreicht. Nur die Touristen aus Russland strömen nach wie vor in großen Mengen ins Land – und die ägyptische Regierung beschloss vor kurzem, ihnen die Visagebühren zu erlassen.

 

Besucher aus Deutschland, die die zweitgrößte Besuchergruppe stellen, sind ebenso wie andere Europäer weniger unerschrocken  als russische Touristen, was Hinweise auf die unberechenbare Sicherheitslage im Lande betrifft. Abgesehen von den verlustreichen Angriffen der Dschihadisten im Nord-Sinai auf die dort stationierte Armee, kommt es auch im ägyptischen Kernland immer wieder zu kleineren Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, meist auf Institutionen des Staates wie Polizeistationen oder Gerichtsgebäude.

 

Touristen waren seit dem Sturz des Ex-Präsidenten Mursi nur einmal Opfer eines Terroranschlags, als ein Selbstmordattentäter sich im Februar 2014 nahe der israelischen Grenze in einem Bus in die Luft sprengte und dabei drei koreanische Touristen tötete. Doch ein vereitelter Anschlag vor dem Karnak-Tempel in Luxor Anfang Juni, bei dem Polizisten einen Angreifer töteten und sich ein zweiter in die Luft sprengte, haben gezeigt, dass die Gefahr eines großen Anschlages auf Touristen nicht auszuschließen ist.

 

Die Attentäter kamen aus dem oberägyptischen Minya, wo ein Gericht Ende 2014 526 Menschen wegen eines Angriffs auf eine Polizeistation im Schnellverfahren zum Tode verurteilte. Zwar wurden nur etwas mehr als 100 der Todesurteile auch in zweiter Instanz bestätigt, doch es bleibt zu vermuten, dass die willkürlichen Urteile auch zur Radikalisierung der Attentäter beitrugen. Ein großer Anschlag auf die ökonomische Achillesferse des Landes und ein massiver Einbruch der Touristenzahlen zählt nicht nur zu den Horrorszenarien im ägyptischen Sicherheitsapparat sondern auch im Wirtschaftsministerium.

 

Die regionale Schwächung der Muslimbrüder könnte für Sisi zur Gefahr werden

 

Doch trotz der realen Terrorgefahr im Land ist ein Rückfall der deutschen Außenpolitik zu »business as usual« nicht so alternativlos, wie er bisweilen dargestellt wird. Zwar sucht Sisis Regierung eine Diversifizierung der Außenbeziehungen – die Annäherung an andere autoritäre Regime wie Russland und die enge Bindung an die Golfstaaten spiegelt das wider – doch Europa und insbesondere Deutschland sind dabei keineswegs aus dem Spiel.

 

Technologien deutscher Firmen werden am Nil traditionell hochgeschätzt; deutsche Waren werden in der Importrangliste nur durch Einfuhren aus China übertroffen. Dass die Regierung Sisi sich in absehbarer Zeit leisten könnte, sich vom Westen loszulösen, ist angesichts der klammen Finanzlage des Landes ein eher unwahrscheinliches Szenario – was auch sein Besuch in Berlin unterstreicht. Die finanzielle Unterstützung der Golfstaaten ist keineswegs langfristig garantiert.

 

Schon heute wird in Regierungskreisen der Vereinten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens darauf gedrängt, der ägyptischen Regierung nicht nur Finanzspritzen zu geben, sondern gewinnbringend im Land zu investieren. Zudem scheint der neue saudische König Salman ein entspannteres Verhältnis zur Muslimbruderschaft zu haben – was auch daran liegen mag, dass die islamistische Vereinigung nach ihrer gewaltsamen Entmachtung in Ägypten nur noch in Tunesien durch die an der regierenden Koalition beteiligte Partei Ennahda an der Machtausübung beteiligt ist.

 

Darüber hinaus deutet manches darauf hin, dass Saudi-Arabien daran arbeitet, die bisherige Schutzmacht der Muslimbrüder, die Türkei, in eine sunnitische Allianz gegen den Iran zu integrieren. Dies könnte die saudische Politik konzilianter gegenüber den weitgehend entmachteten Muslimbrüdern machen und die Unterstützung für General Sisi weniger bedingungslos als bisher. Letztlich könnte der General also doch gezwungen sein, seine Beziehungen zu Europa nicht zu vernachlässigen – und unliebsamen europäischen Forderungen nach Demokratisierung stärker entgegenzukommen.

Von: 
Martin Hoffmann

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.