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Israel eine neue Regierung

Das Last-Minute-Kabinett

Analyse

Nach zähem Verhandlungsmarathon hat Israel eine neue Regierung – mit einigen alten Bekannten und vielen neuen Gesichtern. Keinen Platz finden indes die Ultra-Orthodoxen, die mit den übrigen Oppositionsparteien bereits zum Angriff blasen.

Barack Obama kommt in der nächsten Woche erstmals als US-Präsident nach Israel, Pessach steht vor der Tür und die Frist für eine Regierungsbildung wäre nach 39 Tagen beinahe abgelaufen – nun steht eine neue Koalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Doch die Last-Minute-Regierung, die eine Mehrheit von 68 Sitzen in der 120 Mandate zählenden Knesset hat, steht von Beginn an auf tönernen Füßen. Denn in der israelischen Politik hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, stand doch erstmals seit Jahrzehnten nicht das Thema Sicherheit im Vordergrund der Koalitionsverhandlungen, sondern innen- und wirtschaftspolitische Fragen.

 

Doch deren Beantwortung scheint beinahe unmöglich, zu unterschiedlich sind die Antworten der vier Regierungsparteien Israel Beitenu, Jesch Atid, HaBeit HaJehudi und HaTnua. Das wurde bereits während des Wahlkampfes offenkundig und nun auch im Zuge des Tauziehens um die Vergabe der Ministerposten, die zur Stunde als abgeschlossen gilt und deren Ergebnis wie folgt lautet: Benjamin Netanjahu wird Ministerpräsident – und zunächst auch das Amt des Außenministers bekleiden, bis ein Urteil in der Causa Avigdor Lieberman gesprochen sein wird, der wegen Betrugs und Untreue angeklagt ist.

 

Für den Likud-Beitenu-Block sprang außerdem der Verteidigungsministerposten heraus, den fortan Mosche »Boogie« Jaalon begleiten wird. Der 62-Jährige ist gelernter Fallschirmjäger, war Kommandeur der Eliteeinheit »Sajeret Matkal« und von 2002 bis 2005 Generalstabschef.

 

Der selbsternannte Robin Hood der säkularen Mittelklasse hat sich das Finanzministerium gesichert

 

Gideon Saar wird ebenfalls Minister werden. Der 46-Jährige Likud-Mann, der in seiner Partei hohes Ansehen genießt, war in der vorherigen Regierung Bildungsminister und übernimmt nun das Innenressort. Auch Gilad Erdan vom Likud wird sein Portfolio wechseln: der 42-Jährige Familienvater zweier Kinder aus Aschkelon wird nicht mehr Minister für Umweltschutz sondern Energieminister oder Kommunikationsminister sein; der bisherige Transportminister Jisrael Katz, 57, wird hingegen weiterhin im Amt bleiben und somit das vierte Likud-Mitglied sein, das Regierungsverantwortung übernimmt.

 

Daneben haben drei weitere Likud-Abgeordnete den Sprung in die Koalition geschafft: der gebürtige Tunesier Silvan Schalom, der mit der Talkshowmoderatorin Judy Schalom Nir-Mozes und fünf Kindern in Ramat Gan lebt, wird Avi Dichter als Heimatschutzminister ablösen, gegebenenfalls könnte aber auch Gilad Erdan diesen Posten übernehmen und Schalom stattdessen sein Amt als Minister für die Entwicklung Galiläas und des Negevs behalten – erweitert durch das Energieministerium. Der vormalige Finanzminister Juval Steinitz, 54, übernimmt das Amt des Ministers für Strategische Angelegenheiten – und die 62-jährige Limor Livnat wird wie in den Jahren zuvor das Ministerin für Kultur und Sport leiten.

 

Ebenfalls Regierungsverantwortung wird Tzipi Livni übernehmen. Die ehemalige Außenministerin hatte mit ihrer eigenen Partei HaTnua zuerst den Koalitionsvertrag unterschrieben und wird künftig Justizministerin sein. Zudem soll sie den Friedensprozess aktiv voranbringen, wobei Benjamin Netanjahu in allen Fragen das letzte Wort haben wird. Der 54-Jährigen ist es zudem gelungen, ihren Parteifreund Amir Peretz in Amt und Würden zu bringen. Der ehemalige Verteidigungsminister mit marokkanischen Wurzeln und imposantem Schnurrbart wird künftig Minister für Umweltschutz sein. Keinerlei Regierungserfahrung bringt indes Yair Lapid mit. Der selbsternannte Robin Hood der säkularen Mittelklasse hat es geschafft, sich das Finanzministerium zu sichern.

 

Aber auch für seine Parteimitglieder hat der 48-Jährige einige wichtige Posten aushandeln können. So wird der Rabbiner Schai Piron, ein 48-jähriger verheirateter Vater von sechs Kindern, künftig Bildungsminister sein, Jael German, die ehemalige Bürgermeisterin von Herzlija, übernimmt voraussichtlich das Gesundheitsministerium und ihr ehemaliger Amtskollege aus der Wüstenstadt Dimona, Meir Kohen, der im marokkanischen Essaouira geboren wurde, wird Minister für Soziale Angelegenheiten; außerdem hat der einstige Schin-Bet-Chef Jaakov Peri, 69, künftig den Posten als Wissenschaftsminister inne.

 

Künftig soll für den Einzug in die Knesset die Vier-Prozenthürde gelten

 

Die Partei Avigdor Liebermans, Israel Beitenu, war zwar im Verbund mit dem Likud bei den Wahlen angetreten, gleichwohl eine selbstständige Partei geblieben. Und so stellt man nun vier Minister: Der 62-jährige Jitzchak Aharonovitch lenkte früher den Bus-Konzern »Dan«. Nun wird er Minister für Öffentliche Sicherheit, ein Amt, das er bereits in der vergangenen Wahlperiode inne gehabt hatte; der Sohn des verstorbenen Ministerpräsidenten Jitzchak Schamir, Jair Schamir, wird im Alter von 67 Jahren und nach zahlreichen Erfolgen in der Privatwirtschaft das Amt des Landwirtschaftsministers antreten.

 

Uzi Landau, das 69-jährige Urgestein der israelischen Rechten, der bereits in zahlreichen Regierungen als Minister gedient hat, wird künftig für das Tourismus-Ministerium verantwortlich sein, wenngleich die gelernte Krankenschwester Faina Kirschenbaum ebenfalls noch Chancen auf dieses Amt hat und die 1949 in Leningrad geborene Sofa Landver sich um das Thema Einwanderung kümmern soll. Die letzte Partei, die mit im Kabinett vertreten sein wird, ist HaBeit HaJehudi von Naftali Bennett.

 

Der ehemalige Elitesoldat und Multimillionär wird künftig als Minister für Handel, Industrie und Beschäftigung arbeiten, sein Parteifreund Uri Orbach – der mit Frau und vier Kindern in Modiin lebt und als Journalist landesweit bekannt ist, nicht zuletzt aufgrund der von ihm gegründeten Kindermagazine Otiot und Sukariot sowie seiner Kolumnen in der Tageszeitung Jediot Ahronot – soll sich um Senioren kümmern und Uri Ariel, der eng mit der Siedlerbewegung verbunden ist und sich erst jüngst gegen den Dienst Homosexueller in den israelischen Streitkräften ausgesprochen hat, wird Minister für Wohnungsbau werden.

 

Außerdem soll der Rabbiner und neunfache Vater Eli Ben-Dahan stellvertretender Minister für Religiöse Angelegenheiten, wodurch er für das Oberrabbinat, die Jeschivot und Fragen der Konvertierung zuständig sein wird. Das Ergebnis des zähen Verhandlungsmarathons birgt jedoch nicht nur in personeller Hinsicht einige Überraschungen. So wurde nach Angaben von Channel 2 außerdem festgelegt, dass die Prozenthürde für den Einzug in die Knesset nicht mehr wie bisher bei zwei Prozent, sondern künftig bei vier Prozent liegen soll – ein historischer Schritt, der durch die Regierungsmehrheit Realität werden könnte.

 

Zudem werden neben der Kadima-Partei von Schaul Mofaz, der linken Meretz und den arabischen Parteien sowie der altehrwürdigen Avoda unter Shelly Jachimovitch sämtliche ultra-orthodoxen Parteien auf der Oppositionsbank Platz nehmen müssen. Zwar kam das in der parlamentarischen Geschichte Israels bereits vor, das letzte Mal allerdings unter der Ägide von Schimon Peres, der nach dem Ermordung Jitzchak Rabins vom November 1995 bis Mai 1996 gemeinsam mit der Meretz-Partei, Avoda sowie der Splittergruppe Ji’ud die Regierungsmannschaft gestellt hatte.

 

»Ein Schandfleck, der niemals vergessen werden wird«

 

Die Reaktionen der Oppositionsparteien auf die nun geformte Regierung sind eindeutig. Nach Angaben der Tageszeitung Haaretz erklärte Dov Khenin von der Hadasch-Partei: »Es gibt keinen Grund, viel Glück zu wünschen, schließlich handelt es sich um eine gefährliche Regierung. Es wurde eine neue Allianz zwischen den Siedlern und Wohlhabenden gegründet.« Der gleichen Ansicht ist die Meretz-Führerin Zahava Gal-On, die erklärte, die Siedler würden das Zentrum der Macht innerhalb der Regierung stellen.

 

Mit reichlich Pathos zieht hingegen die Arbeiterpartei gegen die Regierung zu Felde. »Wir gehen mit Stolz in die Opposition und werden dort die Nation vertreten«, verkündete Jachimovitch. Vollkommen aufgebracht zeigte sich indes der scheidende Innenminister Eli Jischai von der Schas-Partei. Er sprach von einem »Boykott der Haredim«, der ein »Schandfleck ist, der niemals vergessen werden wird«. Doch ob es überhaupt einer kampfbereiten Opposition bedarf, um diese neue Regierung ins Wanken zu bringen, ist nicht ausgemacht.

 

Denn sollten Jair Lapid und Naftali Bennett, die Benjamin Netanjahu eindeutig die Grenzen seiner Macht aufgezeigt und geschickt wichtige Ministerämter ausgehandelt haben, tatsächlich versuchen, Reformen in puncto Wehrdienst und bei der Verteilung der Steuerlast zwischen Ultra-Orthodoxen und dem Rest der Bevölkerung anzustoßen, könnte die Regierungskoalition auseinanderfallen wie ein Kartenhaus. Das Gleiche gilt für Fragen der Umstrukturierung der Lehrpläne in religiösen Schulen, in denen nach dem Willen Lapids künftig auch Mathematik, Englisch und andere Fächer auf dem Lehrplan stehen sollen.

 

Sobald die Regierung – voraussichtlich – am Montag ihren Eid geschworen hat, wird jedoch zunächst der Besuch Barack Obamas im Vordergrund stehen. Die Organisation seines Aufenthaltes läuft bei den israelischen Behörden unter dem Codenamen »Unzerbrechliche Allianz« – ob das auch für Bibi, Boogie und Co. gilt, ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch fraglich.

Von: 
Dominik Peters

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