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Proteste im Südjemen

Aden probt die Unabhängigkeit im Stillen

Analyse

Die öffentliche Wahrnehmung der Proteste im Südjemen ist recht gering. Zudem gelten Separationstendenzen in der Region vielen arabischen Ländern als Affront. Doch die Realitäten vor Ort lassen sich kaum mehr leugnen.

Als die »Konferenz des Nationalen Dialogs« am 18. März 2013 in Sanaa begann, lenkten Vertreter aus dem Süden des Landes die Aufmerksamkeit auf sich, als sie die Flagge der ehemaligen Volksdemokratischen Republik Jemen hissten. Sie wurden des Tagungssaals verwiesen. Während seit März der kostspielige Nationale Dialog unter Beteiligung zahlreicher politischer Akteure und Vertreter der Zivilgesellschaft im Jemen über das zukünftige politische System des Landes bis Herbst 2013 diskutiert, wird im Südjemen weiterhin für die Loslösung »Südarabiens« vom Jemen demonstriert.

 

Gerade weil die einflussreichsten Vertreter der »Bewegung des Südens«, genannt »Hirak«, sich nicht am Dialog beteiligen, werden mögliche Entscheidungen kaum zu einer Lösung der »Südfrage« im Jemen beitragen können. Die Mehrheit der Hirak lehnt den Dialog ab, weil das Recht der Südjemeniten auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit vor Beginn des Dialogs nicht anerkannt wurde. Einzelne Stimmen gehen davon aus, dass ein Scheitern des Dialogs zum Ausbruch eines Bürgerkriegs führen könnte.

 

Die Hirak, ein Sammelbecken von Aktivisten des gesamten südjemenitischen Gesellschaftsspektrums, entstand als eine soziale Bewegung von ehemaligen südjemenitischen Militärs, Beamten und jungen Studenten im Jahr 2007 mit der Forderung, die Marginalisierung von Südjemeniten im Einheitsstaat zu beenden. Als jedoch die Proteste von Sicherheitskräften immer brutaler niedergeschlagen wurden, wurden Rufe nach Unabhängigkeit vom Nordjemen und erneuter Eigenstaatlichkeit des Südens wie vor der Einheit von 1990 lauter. Im Jahr 2010 wurde bei einer Umfrage des »Yemeni Center for Civil Rights« festgestellt, dass circa 70 Prozent der Südjemeniten die Unabhängigkeit vom Norden befürworteten.

 

Der Krieg im Süden hat die Region Abyan nachhaltig zerstört

 

Im Zuge des »Jemenitischen Frühlings« gewann allerdings die pro-sezessionistische Strömung innerhalb der Hirak an Zuwachs, sodass heute von mehr als 90 prozentiger Zustimmung zur Unabhängigkeit im Südjemen ausgegangen wird. Die Sezessionisten innerhalb der Hirak stehen für eine sofortige Abspaltung vom Nordjemen. Ein Grund für diesen enormen Wandel von 2007 bis heute liegt in der zunehmend schlechter werdenden sozio-ökonomischen Lage im Jemen, die durch Kämpfe, Ausschreitungen und bürgerkriegsähnliche Zustände in verschiedenen Landesteilen verschärft wurde.

 

Speziell für den Südjemen lässt sich am Beispiel der Region Abyan, die circa 50 Kilometer östlich von Aden beginnt, erkennen, wie sich die Lebensumstände breiter Bevölkerungsschichten während des Jemenitischen Frühlings verschlechtert haben. Die ländlich-geprägte Region wurde im Frühjahr 2011 von Islamisten, die sich dem Al-Qaida-Netzwerk zugehörig fühlen, eingenommen. Die Eroberung wurde durch den Abzug von Sicherheitskräften im Zuge der Proteste und Elitenkämpfe in Sanaa im Frühjahr 2011 ermöglicht.

 

Die Gruppe Ansar al-Scharia baute ihr »Emirat Waqar« auf und kämpfte gegen Teile der jemenitischen Armee und gegen die Volkskomitees, örtliche Milizen, die wiederum US-Unterstützung durch Drohnen- und Raketenangriffe erhielten. Zahlreiche Zivilisten kamen in diesem Zeitraum ums Leben, Hundertausende flohen in das benachbarte Aden. Menschrechtsverletzungen seitens Ansar al-Scharia und des jemenitischen Militärs genauso wie das amerikanische und saudische Eingreifen zerstörten die Region nachhaltig.

 

Die Dschihadisten zogen – freiwillig oder ungewollt – im Juni 2012 ab. Danach nahmen Anschläge auf staatliche Sicherheitseinrichtungen und hohe Offiziere zu, offiziell wurden die Anhänger Ansar al-Scharias dahinter vermutet. Seitdem Turkish Airlines im Sommer 2012 eine Verbindung von Aden nach Istanbul eingerichtet hat, mutmaßten türkische wie jemenitische Medien, dass die zahlreichen internationalen Kämpfer, die noch vor einem Jahr in Abyan aktiv waren, nun im Bürgerkrieg in Syrien tätig seien und über die türkische Fluglinie aus dem Land geschafft wurden.

 

Die Behauptungen bleiben jedoch vage, genauso wie die Frage, wer hinter dem Abyan-Krieg und der Errichtung des Islamischen Emirates wirklich steckte. Vor Ort werden zumeist die Machenschaften des Saleh-Regimes und der nordjemenitischen Eliten als Drahtzieher vermutet, um die Schaffung eines unabhängigen südarabischen Staates zu verhindern. Der Wiederaufbau Abyans geht nur schleppend voran und würde wohl ohne internationale Hilfe gar nicht möglich sein. Nicht alle Abyanis konnten bisher in ihre Heimat zurückkehren. Mittlerweile sind viele Minen beseitigt worden, jedoch fühlen sich die Menschen noch nicht sicher. Bislang fehlt es auch noch an einer grundlegenden Versorgung, insbesondere auch im Bereich der Schulbildung.

 

Der Ex-Präsident der ehemaligen Volksdemokratischen Republik Jemen bringt sich in Stellung

 

Die Hirak ist im Südjemen in erster Linie eine soziale Bewegung. Jedoch haben sich in den vergangenen Jahren, besonders nach 2011, eine Vielzahl von südjemenitischen Exilanten zu der Bewegung bekannt. An der Spitze der Bewegung haben sich mittlerweile ehemalige sozialistische Staatsmänner wie Ali Salim al-Beidh und Ali Nasir Muhammad gesetzt. Gerade Ali Salim al-Beidh spielt heute gerne das offizielle Sprachrohr für die Bewegung im Ausland und stellt für die internationale Gemeinschaft eher einen unliebsamen Gesprächspartner dar.

 

Auf Protesten in Aden werden Bilder von ihm auf Plakaten in die Höhe gehalten, da er für viele immer noch als offizieller Präsident des Südens nach dem verlorenen Bürgerkrieg von 1994 gilt. Nach langjährigem Exil in Österreich lebt er heute in Beirut, wo auch der südarabische Fernsehsender Aden Live von Exilanten und südjemenitischen Studenten, die in Beirut studieren, produziert wird. Finanziell wird der Fernsehsender von im Exil lebenden Südjemeniten beziehungsweise wohlhabenden Arbeitsmigranten in den Golfstaaten finanziert.

 

Die vielen Demonstranten der Hirak im Inland entstammen meist den ärmeren Bevölkerungsschichten und sind in erster Linie an einer deutlichen Verbesserung ihrer sozio-ökonomischen Verhältnisse interessiert, die sie von der Unabhängigkeit vom Nordjemen erwarten. Einflussreiche Akteure, wie ehemalige sozialistische Staatsmänner, zeigen Interesse, ihren ehemaligen Einflussbereich und ihre Positionen wieder zu erlangen.

 

Die vor-sozialistischen Kräfte, wie ehemalige Sultane, streben ebenfalls eine Neuerrichtung ihrer Einflusssphäre an – mit Ideen wie etwa der Etablierung einer Monarchie in einem freien Südarabien. Anhand solcher Vorstellungen wird der Interessengegensatz südjemenitischer Exilanten und der örtlichen Bevölkerung deutlich. Die realen Bedürfnisse der Südjemeniten im Jemen werden zumeist von einflussreichen Exilanten verkannt, die teils seit Jahrzehnten nicht mehr in den Südjemen reisen konnten.

 

Noch können sich alle Akteure hinter dem Banner der geforderten Unabhängigkeit zusammenfinden. Welche Probleme nach einer möglichen Loslösung des Südens auftreten könnten, lässt das weite politische Spektrum von Sozialisten, Monarchisten, Islamisten und Demokraten aber bereits erahnen.

 

Die ehemaligen Straßenpolizisten regeln den Verkehr in Aden in ihren alten Uniformen

 

Da sich die Führer der Hirak mehrheitlich einem Dialog mit den verschiedenen politischen Akteuren im Jemen verweigern, jedoch selbst keine gewinnbringenden Ideen für die Zukunft des Südjemen vorweisen können und zudem untereinander verstritten sind, werden wohl weiterhin Demonstranten im Südjemen zu Grabe getragen werden. Ebenso scheint die südarabische Unabhängigkeit mit der Schaffung eines föderalen Staatsgebildes als mögliches Resultat des Nationalen Dialogs– und damit mit dem Verbleib des Südjemens im Einheitsstaat – in weite Ferne zu rücken.

 

Im Südjemen, vornehmlich in den großen Städten Aden und al-Mukalla, demonstrieren die Menschen trotzdem unbeirrt weiter. Im Adener Stadtteil al-Muallah etwa werden die Kundgebungen jeden Freitag nach dem Freitagsgebet und jeweils an den großen Eckdaten der südarabisch-südjemenitischen Geschichte – etwa anlässlich der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht – abgehalten.

 

Zu den zahlreichen Jubiläums- und Gedenkdemonstrationen strömen Hunderttausende auf Adens Straßen, in der ganzen Stadt wehen die Flaggen der ehemaligen Volksdemokratischen Republik Jemen. Mittlerweile kontrollieren ehemalige südjemenitische Polizisten in alten Uniformen den Straßenverkehr in Aden – sehr zum Unmut des Innenministeriums in Sanaa. Der jemenitische Staat ist derzeit zu geschwächt, als dass er Kontrolle über das ganze Land ausüben, geschweige denn seinen Bürgern Sicherheit und grundlegende Versorgung zu sichern könnte. Die Bevölkerung im Südjemen versucht somit schrittweise ihre Unabhängigkeit zu erlangen, sei es mit zivilem Ungehorsam oder indem einfach Fakten geschaffen werden.

Von: 
Anne-Linda Amira Augustin

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