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Saudi-Arabien, Ägypten und die Muslimbrüder

Neue alte Freunde

Analyse

Die engen Beziehungen zwischen Ägypten unter Mubarak und Saudi-Arabien wurden durch den Aufstieg der Muslimbrüder belastet. Das saudische Königshaus sah in der islamistischen Bewegung auch eine Gefahr für den eigenen Machtanspruch.

Ägyptens Präsident Adly Mansour betrat kein Neuland, als er Anfang der Woche zu seiner ersten Auslandsreise nach Saudi-Arabien aufbrach. Im Königreich ist er ein alter Bekannter, seitdem er in den 1980er Jahren für sechs Jahre dem Wirtschaftsministerium als Berater diente. Das Ziel seiner ersten Auslandsreise überraschte kaum. Saudi-Arabien hatte als erstes Land unmittelbar nach dem Sturz von Muhammad Mursi Kredite für die Übergangsregierung unter der Schirmherrschaft des Militärs zugesagt.

 

Entsprechend freundschaftlich fielen die Worte des ägyptischen Präsidenten aus. Er sei vor allem gekommen, um sich bei Saudi-Arabien für die »standhafte Unterstützung Ägyptens« zu bedanken. Dank des Königreichs »ist der ägyptische Demokratie-Zug nun losgefahren«, sagte er in einem Interview mit der saudischen Zeitung Al-Sharq al-Awsat.

 

Der Geldhahn am Golf ist wieder aufgedreht

 

Während in westlichen Hauptstädten und Medien von Putsch gesprochen wurde und der türkische Premier Erdogan Mursi noch »seinen Präsidenten« nannte, hatte das saudische Königshaus bereits finanzielle Unterstützung über 5 Milliarden US-Dollar zugesagt. Das war am 10. Juli, zwei Tage nachdem die Armee das erste Massaker an Anhängern der Muslimbrüder beging. 51 Menschen starben im Morgengrauen vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde im Osten Kairos im Feuer der Sicherheitskräfte.

 

Kurz darauf schlossen sich auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait der Front der Unterstützer der neuen Regierung an. Die zugesagte Finanzhilfe für den maroden ägyptischen Staatshaushalt wuchs auf 12 Milliarden US-Dollar. Das erlaubte Ägypten nicht nur seine seit dem Sturz Mubaraks drastisch gesunkenen Devisenreserven wieder aufzustocken. Auch unliebsame Gläubiger konnte man abschütteln: Mitte Juli wurde ein Kredit in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar an Katar zurückgezahlt, nachdem Verhandlungen gescheiter waren, den Kredit in 3-jährige Anleihen umzuwandeln.

 

Der Zwergstaat und Finanzriese Katar war mit seiner Unterstützung für Mursi und die Muslimbrüder das schwarze Schaf unter den Golfstaaten. In Doha bereitete der Mursis Sturz Kopfzerbrechen – wie viele westliche Analysten hatte man den Aufstieg der Muslimbrüder in der Region als unaufhaltsam angesehen und glaubte, strategisch auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. In Riad hingegen rieb man sich die Hände. Der Aufstieg der Muslimbrüder hatte die Jahrzehnte alte strategische Partnerschaft zwischen Ägypten und Saudi-Arabien belastet.

 

Diese Partnerschaft zwischen dem bevölkerungsreichsten und dem finanzstärksten arabischen Land belief sich im Kern auf einen simplen Deal: Investitionen und billige Rohstofflieferungen gegen diplomatische und politische Unterstützung. Für Ägypten waren die Direktinvestitionen aus Saudi-Arabien und den Emiraten maßgeblich für das hohe nominale Wirtschaftswachstum in den Jahren vor dem Sturz Mubaraks – auch wenn sie nichts an der weiteren Verarmung weiter Teile der Bevölkerung änderten.

 

 

Ende der außenpolitischen Experimente

 

Viele Ägypter zog es zudem an den Golf um dort für ein Vielfaches der einheimischen Löhne zu arbeiten. In den Vereinigten Arabischen Emiraten leben fast 400.000 Ägypter, in Kuwait 300.000, in Saudi-Arabien sollen es bis zu eine Million sein. Die Regierung Mubarak erfüllte in dieser Partnerschaft ihren Teil der Verpflichtung, indem sie Saudi-Arabien und den Golfstaaten politisch und diplomatisch zur Seite stand, vor allem wenn es um die Stärkung der mit dem Westen alliierten sunnitischen Achse gegenüber dem Iran ging.

 

Diese klaren geostrategischen Allianzen weichten auf, als die Regierung Mursi die Annäherung an den Iran suchte. Mursi besuchte im Zuge des Gipfels der Blockfreien Staaten 2012 als erster ägyptischer Regierungschef seit 1979 die iranische Hauptstadt. Im Gegenzug kam sein Amtskollege Mahmud Ahmadinejad auf Staatsbesuch nach Ägypten. Mursis Regierung dachte zudem darüber nach, wieder Direktflüge zwischen Iran und Ägypten zuzulassen.

 

Iraner sollten sich in den Tross der vornehmlich westlichen Touristen in Ägypten einreihen. Doch außenpolitisch scheiterte der Versuch, neue strategische Allianzen auszuloten an der gegensätzlichen Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg – noch kurz vor seinem Sturz versuchte Mursi mit dem Abbruch aller diplomatischen Beziehungen zum syrischen Regime seiner geschwundenen innenpolitischen Popularität einen Schub zu verleihen.

 

Die ägyptischen Salafisten als Partner Saudi-Arabiens

 

Innenpolitisch standen dem Annäherungsversuch der Muslimbrüder an den Iran die Salafisten entgegen. Viele der selbsternannten Vertreter der puristischen sunnitischen Lehre betrachten Schiiten als Abtrünnige. Eben diese salafistischen Gruppierungen waren in Ägypten neben der Regierung Mubarak für lange Zeit der bevorzugte Empfänger von finanzieller Unterstützung aus Saudi-Arabien.

 

Für das Königshaus in Riad waren die Salafisten das ideale Steckenpferd in Ägypten: Sie bildeten ein gesellschaftliches Gegengewicht zu den ägyptischen Liberalen und Linken, von denen viele Saudi-Arabien als Bastion ultrakonservativer Dominanz verachten. Doch im Vergleich zu den Muslimbrüdern mangelte es ihnen am strategischen Kalkül und dem Willen zur Macht. Viele von ihnen glaubten nicht an eine Teilnahme am politischen Prozess oder einen Marsch durch die Institutionen wie die Muslimbrüder.

 

In ihrem Radikalismus galten sie lange als eigentlich nicht politikfähig, nicht wenige Salafisten verwarfen politische Parteinahme sogar als »unislamisch«. Ihre Rolle in Ägypten unter Mubarak ähnelte stark jener der konservativen Kleriker in Saudi-Arabien: Ultrakonservativ in sozialen und kulturellen Fragen, aber loyal gegenüber dem Königshaus.

 

Die meisten saudischen Imame halten sich zurück mit Kritik an den Al Saud, auch wenn die Korruptionsexzesse und der Sextourismus saudischer Prinzen im Libanon kaum dem Verständnis eines »anständigen Islams« entsprachen. Der Deal zwischen Königshaus und konservativen Klerikern lautete: Ihr stellt unseren Machtanspruch nicht in Frage – und dürft dafür euer konservatives Islamverständnis auf die Bevölkerung übertragen.

 

Der Aufstieg der Muslimbruderschaft: Ein gefährlicher Präzedenzfall für das saudische Königshaus

 

Der Aufstieg der Muslimbrüder in Ägypten drohte diesen alten Deal beidseitiger Machterhaltung zu erschüttern. Eine islamistische Bewegung, die durch demokratische Wahlen an die Macht kam und in fast jedem Land der Region Ableger hat, war ein gefährlicher Präzedenzfall für die Machthaber am Golf. Muslimische Identität als Gesinnung zu tragen und politisch aktiv zu sein, waren keine unvereinbaren Gegenpole mehr.

 

Die Ausbreitung dieses Gedankens wurde zum Schreckensszenario für das saudische Königshaus, denn frei von sozialen Spannungen und sozioökonomischem Druck ist auch das reiche Saudi-Arabien nicht mehr. Nicht mehr jedem jungen Saudi kann ein gut bezahlter Job im Staatssektor angeboten werden. Die Arbeitslosigkeit wächst, und ebenso die Selbstmordrate im Königreich.

 

Widerspruch ist auch immer deutlicher von den saudischen Frauen zu hören. Viele sind nicht mehr gewillt, ihren Ausschluss aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen hinzunehmen. Nachdem nach König Abdullahs Amtsantritt im Jahre 2005 graduell mehr Berufszweige für Frauen geöffnet wurden, steigt ihr Anteil in fast allen Branchen beständig. Erst kürzlich wurde eine erneute Kampagne gegen das Fahrverbot für Frauen ausgerufen. Drei weibliche Mitglieder des Schura-Rates hatten sich zudem explizit gegen das Fahrverbot ausgesprochen.

 

Sie erfuhren Unterstützung von gänzlich unerwarteter Seite: Der Chef der saudischen Religionspolizei erklärte, dass sich im Koran keine stichhaltigen Forderungen finden lassen, welche das Fahrverbot für Frauen rechtfertigen. Im März erhoben sich die Studentinnen der Universität Abha. Sie protestierten gegen die schlechten hygienischen Zustände vor Ort und forderten den Rücktritt der Universitätsleitung. Gegen das Aufbegehren wurde mit Härte vorgegangen, doch dem gestiegenen Trend zum Dissens in Saudi-Arabien bot es keinen Einhalt.

 

Auch in Saudi-Arabien wächst der gesellschaftliche Druck

 

Es wächst eine internetaffine Generation heran, die vom politischen Aktivismus der arabischen Revolten beeinflusst ist. Auf zahlreichen Facebook-Seiten wird über die Korruptionsfälle und Machtkämpfe innerhalb des Königshauses diskutiert. Der saudische Blogger Mujtahid, der mittlerweile fast 400.000 Leser erreichen soll, veröffentlicht regelmäßig kritische Einträge über das Königshaus. Auch im ultrakonservativen Königreich sind die Dinge in Bewegung geraten. Der weitere Aufstieg der Muslimbrüder hätte diesen Prozess beschleunigen können.

 

Eine  islamistische Bewegung, die auf Mitbestimmung setzt, hätte im immer noch sehr konservativen Land wohl mehr Chancen gehabt als die linken und liberalen Bewegungen der arabischen Welt. Mit dem Sturz Mursis und der Machtübernahme des Militärs in Ägypten ist diesem Szenario erst einmal Einhalt geboten. Die Freude darüber war in Riad unverhohlen: König Abdallah gratulierte dem ägyptischen Präsidenten Adly Mansour bei Amtsantritt mit den Worten: »Ägypten ist aus einem dunklen Tunnel emporgekommen.«  Doch auch wenn die Bedrohung durch die Muslimbruderschaft für das Königshaus erst einmal der Vergangenheit angehört: Der soziale Druck durch die eigenen Untertanen wird bleiben.

Von: 
Martin Hoffmann

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