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Sevdah-Musiker Damir Imamovic

»Kultur ist ein Marathon«

Interview

Sevdah-Musiker Damir Imamovic über neue Inspiration für ein altes Genre und was Künstler und Politiker in seiner Heimat Bosnien-Herzegowina unterscheidet.

zenith: Wie würden Sie Sevdah-Musik jemandem beschreiben, der sie noch nie gehört hat? 

Damir Imamovic: Das Besondere an dieser Musikgattung ist der emotionale Kern – hier kommen die Sehnsüchte unerfüllter Liebe, Schmerzen und Schwermut der Volksseele auf dramatische Weise zum Ausdruck. Deswegen wird der Stil oft mit dem portugiesischen Fado oder mit argentinischem Tango verglichen. Sevdah im engeren Sinne ist zwar die traditionelle Musik aus Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien und der weiteren Umgebung. Für viele Leute aus westlichen Ländern klingt Sevdah aber wohl am ehesten wie iranische oder türkische Musik. Anderseits hören die Leute aus orientalischen Ländern die westlichen Einflüsse klar heraus. Ich sage immer: »Für den Osten sind wir zu westlich. Für den Westen sind wir zu östlich!« Diese Volksmusik ist in einem langen Prozess vorwiegend in urbanen Zentren entstanden. In einer Kombination aus westlichen und östlichen Einflüssen – vermischt mit dem eigenen Rhythmus des Balkans – entstand hier über die Jahrzehnte eine neue Musikrichtung. Ich sehe das als Vorteil und versuche neue Wege zu finden, Sevdah-Musik an andere Welten zuknüpfen. Die Musik wurde in verschiedenen Epochen von unterschiedlichen Völkern und Kulturen, die in die Region kamen, beeinflusst. Die Herrschaft der Osmanen auf dem Balkan hat Sevdah-Musik entscheidend geprägt. Das Saz-Instrument zum Beispiel ist auch ein osmanisches Erbstück, das heute noch eine wichtige Rolle in Sevdah-Musik spielt. Sevdah-Lieder sind aber nicht nur traurig, sondern können auch hell und leicht sein und sogar zum Tanzen einladen.


Damir Imamovic

wurde 1978 in Sarajevo geboren. Der Enkel des berühmten Musikers Zaim Imamovic ist mit mehreren Solo-Projekten und seiner Band »Damir Imamovic Sevdah Takht« regelmäßig auf Tour. Im Rahmen ihrer Skandinavien-Tournee gab die Band Ende November 2012 auch ein Konzert in der Werkstatt der Kulturen in Berlin.


 
Was hat Sie inspiriert, die alten Sevdah-Kompositionen neu zu interpretieren?

Ich stamme aus einer sehr musikalischen Familie. Mein Großvater Zaim Imamovic war ein berühmter Sevdah-Sänger, Komponist und ein Revolutionär des Genres. Auch mein Vater Nedzad ist Musiker, Produzent und Autor. Ich wuchs mit dieser Musik auf, die mein Ohr mitgeformt hat. Aber lange Zeit bin ich davor weggelaufen. Ich habe viele andere Musikarten gehört und schob damit Sevdah irgendwie zur Seite. Aber vor fast 10 Jahren habe ich mich in diese Musik neu verliebt. Ich habe daraufhin meine akademische Karriere aufgegeben und widme mich seitdem der Musik. Für jeden Künstler und jeden Menschen ist es wichtig, seine Bestimmung zu finden. Ich war sehr glücklich, als ich entdeckte, dass meine Bestimmung die ganze Zeit so nah lag. Mein Großvater ist mir bis heute eine Inspiration. Ich studierte sein Musik und versuchte die Veränderungen in seinen Kompositionen zu verstehen, den er hat das Genre mit entscheidenden Veränderungen geprägt. Heute lernen und orientieren sich viele Sevdah-Sänger an seinem Stil. Dennoch kann man meine Musik mit der meines Großvaters kaum vergleichen.

 

Die traditionellen Sevdah- Lieder werden bei Ihnen von modernen Instrumenten wie E-Gitarre begleitet. Ist das ein Weg die alten Lieder der jungen Generation zugänglich zu machen?

Leider interessieren sich die meisten Leute nur dann für traditionelle Musik, wenn es darum geht, ihre politische oder kulturelle Identität hervorzuheben. Sie verstehen die Musik nicht künstlerisch. Veränderungen sind notwendig, damit auch traditionelle Musik überleben kann. Musik und jede andere Form von Kunst muss verändert, aufgewirbelt und neu zusammengesetzt werden. Die Einführung moderner Instrumente ist ein nur ein Schritt in diese Richtung. Aber das moderne Instrument muss an der richtigen Stelle zum Einsatz kommen. Natürlich gibt es auch viele Gegner dieser Art der Modernisierung – insbesondere in Reihen der Konservativen, der Nationalisten und im Allgemeinen bei engstirnigen Leuten in der Gesellschaft. Aber glücklicherweise sind die jungen Leute sehr aufgeschlossen und interessieren sich für die neue Darbietung der Sevdah-Musik. Sevdah wird nicht aussterben.

 

Kann Sevdah-Musik als gemeinsames Erbe helfen, die heutige Spaltung in der bosnisch-kroatischen-serbischen Gesellschaft zu überwinden?

Politik und Kultur sind schwer zu vereinen. Ich habe es satt, dass die Leute die Kultur vorschieben, um den dreckigen Job der Politik zu erledigen. Als Jugoslawien als Staat noch existierte, gab es wenigsten eine offizielle politische Haltung der »Brüderlichkeit« zwischen den verschiedenen Völkern. Dennoch konnte es einige Politiker nicht davon abhalten, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Ich sehe das Problem darin, dass Kultur ein Marathon ist – ein wichtiger Prozess der Annäherung, der jedoch unendlich viel Zeit benötigt, um Früchte zu tragen. Die Politik hingegen ist eine Art Kurzstreckenlauf. Die Sichtweise der Künstler und der Politiker ist also absolut unterschiedlich. Natürlich gibt es auch in der Kultur konservative Strömungen und ethnisch zentrierte Sichtweisen, die dumm sind und nur zur Aufspaltung der Gesellschaft führen. Selbst wenn es uns gelingen würde, diese abzuschütteln, würden unsere Politiker es schaffen, die Gesellschaft aufs Neue zu teilen. Ich befürchte deshalb, dass Kultur der politischen Spaltung der Gesellschaft nicht entgegenwirken kann. Dennoch, auf lange Sicht, ist es immer gut, wenn Kunst und Kultur auf eine bessere Welt hinarbeiten.

Von: 
Samira Sammer

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