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Sisi und der Rechtsstaat in Ägypten

Und er tut es doch

Analyse

Abdelfatah El Sisi sieht sich nach den Reaktionen auf die Todesurteile gegen 529 Muslimbrüder bestätigt. Selbstinszenierung, hörige Medien und die schiere Hoffnung der Menschen auf bessere Zeiten spielen seiner Kandidatur in die Hände.

Nach monatelangem Hin und Her erklärt Ägyptens neuer starker Mann Abdelfatah El Sisi nun doch seine Absicht, für die kommenden Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Gleichzeitig erreicht die politische Polarisierung des Landes durch die Verurteilung von über 500 Muslimbrüdern zum Tode eine neue Qualität. Trotz der immer erschreckendere Maße annehmenden Polarisierung der ägyptischen Politik war dieses Urteil ein Paukenschlag.

 

Am 24. März verhängte der Strafgerichtshof in der südägyptischen Stadt Minya 529 Todesurteile gegen Anhänger der Muslimbruderschaft. Ihnen wird ein terroristischer Anschlag auf eine Polizeistation in Minya im August 2013 zur Last gelegt, bei dem ein Polizist getötet wurde. Die Anklage lautete also auf Mord. Damals erschütterten mehrere Vergeltungsanschläge auf Polizeistationen und Militäreinrichtungen das Land, nachdem das Militär Mitte August zwei Protestcamps der Anhänger des abgesetzten Präsidenten Muhammad Mursi gewaltsam aufgelöst hatte, wobei mehr als 1.000 Muslimbrüder ihr Leben ließen.

 

Die Todesurteile in Minya wurden überraschend nach nur drei Prozesstagen vehängt. Die Mehrheit der Angeklagten wurde in Abwesenheit verurteilt. Die Verteidiger der Angeklagten und mehrere Menschenrechtsorganisationen beklagten die mangelnde Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Unter anderem wurde der Verteidigung kein Plädoyer gestattet. Nasser Amin vom »Nationalen Menschenrechtsrat« konstatierte daher auf Twitter, dass das Urteil in der nächsten Instanz aufgehoben werde.

 

Auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen zeigten sich schockiert, viele sprachen von einer Schande, das historisch einmalige Urteil in Ägypten markiere den historischen Tiefpunkt der Rechtsstaatlichkeit. Amnesty International kritisierte die Urteile scharf als »lächerlich«.

 

Ägyptens Probleme sind Nahrung für den grotesken Personenkult um Sisi

 

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Erst muss Ägyptens Großmufti Shawki Ibrahim Abdel-Karim Allam seine Empfehlung abgeben, dann geht das Verfahren in die zweite Instanz. Die Anwälte der Angeklagten haben bereits Revision eingelegt. Doch selbst wenn das Urteil aufgehoben werden würde, so verdeutlicht es doch das Ausmaß der politischen Verfemung in Ägypten. Nach der Medienhetze gegen die Muslimbrüder, der Propaganda des »Krieges gegen den Terror« und dem offiziellen Verbot der Muslimbrüder stellen die Todesurteile von Minya eine neue Stufe der Marginalisierung und Verfolgung der Muslimbrüder dar.

 

Unklar ist, ob das offensichtlich politisch motivierte Urteil dem zuständigen Richter zuzuschreiben ist oder ob dieser Weisungen von oben erhielt. So kann das Urteil als Schauprozess oder Warnung an die Muslimbrüder verstanden werden. Es könnte jedoch auch Teil der Machtlegitimation der neuen Machthaber sein, die darin besteht, den inneren Feind in Gestalt der Muslimbrüder zu dramatisieren, um sich dann als Retter der Nation zu inszenieren.

 

Auch wenn viele Ägypter die Todesurteile kritisch sehen und für übertrieben halten, so spiegeln sie dennoch die Stimmung der Bevölkerung wieder. Nachdem sich die Terroranschläge auf Polizeistationen im ganzen Land, besonders auf dem Sinai, in den vergangenen Monaten häuften, halten viele Ägypter die Armee für die einzige Institution, die die Sicherheit wiederherstellen kann. Die Sehnsucht nach dem starken Mann, der die Probleme der brachliegenden Wirtschaft und der angespannten Sicherheitslage im Handumdrehen löst, gibt so der Propaganda der Medien Nahrung und führt zu einem grotesken Personenkult um die Person des Feldmarschalls.

 

Gradmesser ist nicht der der Wahlausgang sondern ein fairer Wahlkampf

 

Abdelfatah El Sisi ist ein klassischer Machtmensch im Sinne Macchiavellis, der damit zu spielen weiß. Seit Monaten arbeitet er als Verteidigungsminister an seiner Selbstinszenierung, mal als starker Mann des Militärs, der hart durchgreift, mal im Sportanzug zu Besuch bei Putins Spielen in Sotschi. Monatelang spekulierte ganz Ägypten, ob der Mann, der im Juli 2013 die Absetzung Mursis verkündete, nun selbst nach der Macht greift und als Präsident kandidiert. Doch Sisi, der Mann mit der Sonnenbrille, dementierte und hielt sich bedeckt.

 

Die Gerüchteküche brodelte, viele flehten Sisi förmlich an zu kandidieren. An jedem Kiosk hing Sisis Konterfei, Burger wurden nach ihm benannt, Songs für ihn geschrieben. Am 26. März dann schuf er selbst endlich Klarheit. Sisi reichte sein Rücktrittsgesuch als Verteidigerminister ein und machte somit den Weg für seine Kandidatur frei, da in Ägypten laut Verfassung nur Zivilisten, keine Militärangehörigen, kandidieren dürfen.

 

Nach dem Verkünden seiner Kandidatur unterbrachen die Fernsehsender ihr Programm für Sondersendungen und zeigten die begeisterten Reaktionen anderer Staaten. Die Kandidatur Sisis überrascht nicht wirklich. Sie ist auch nicht das Problem. Entscheidend ist, ob Sisi im Alleingang gekrönt wird und die Präsidentschaftswahl zu einer Farce wird oder ob ihm eine ernstzunehmende Opposition gegenüber steht, die gewisse Kontrollfunktionen ausüben kann.

 

Bisher hat der linke Politiker Hamdeen Sabbahi seine Kandidatur angekündigt. Obwohl es in diesen Zeiten der »Sisi-Mania« unwahrscheinlich scheint, dürfte der bei den letzten Präsidentschaftswahlen Drittplatzierte ein würdiger Gegenkandidat sein. Spannend bleibt, ob der Wahlkampf annähernd demokratische Züge trägt, oder die Medien weiterhin der Militärpropaganda verfallen.

Von: 
Victoria Tiemeier

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