Keine Heizung, keine warme Kleidung, kein Obdach; syrische Flüchtlinge im Libanon leiden unter dem Wintereinbruch. Die Aktivisten von »Nasawiya« kämpfen mit einer Spendenaktion gegen Kälte, Rassismus und die Untätigkeit ihrer Regierung.
Die libanesische Regierung schwieg lange Zeit zu den Vorwürfen, die prekäre Situation der syrischen Flüchtlingen im Land zu ignorieren. In 22 Monaten blutiger Auseinandersetzungen im Nachbarland flohen über 220.000 Syrer in den Zedernstaat. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Sie geht sogar von einer halben Million aus, da viele bei Verwandten oder Freunden unterkommen und sich nicht registrieren. Im Dezember strömten weitere tausende Flüchtlinge nach Angriffen auf das Palästinenserviertel Yarmuk in Damaskus über die Grenze.
Viele suchten Zuflucht im Camp Ain al-Hilweh, nahe der Hafenstadt Saida, dem größten Palästinenserlager im Libanon. Doch der Platz ist begrenzt, nicht jeder findet eine Bleibe. Syrische Familien sammeln sich im Nord-Libanon und der Bekaa-Ebene nahe der syrischen Grenze. Sie schlagen dort ihre Zelte auf, die meist nur aus Schichten von Planen bestehen. Die guten Beziehungen zu Damaskus beeinflussten in den letzten anderthalb Jahren das Handeln und gleichzeitig die Untätigkeit von staatlicher Seite.
Aber immer wieder projektiert sich der syrische Bürgerkrieg auf libanesisches Territorium. In den Grenzgebieten zu Syrien und in der zweitgrößten Stadt des Landes, Tripoli kam es in der Vergangenheit zu Konflikten zwischen Sunniten und Alawiten. Anfang Januar platzte dann der Knoten. Nach einer Kabinettssitzung rief die libanesische Regierung die internationale Gemeinschaft und die arabische Liga dazu auf, humanitäre Hilfen im Wert von 180 Millionen US-Dollar zu stellen. Sozialminister Wael Abou Faour begründete den Appell damit, dass die Konfrontation mit der sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage für den Libanon alleine nicht zu bewältigen sei.
»Den Menschen helfen, die uns im Juli 2006 aufnahmen«
Die Not der Flüchtlinge wird das nicht lindern, behaupten die Aktivisten des feministischen Kollektivs »Nasawiya«. Dass Gelder wirklich dorthin entsendet werden, wo sie hin sollen, bezweifeln sie. Das ist ihr Libanon. Seit 2009 kämpfen sie gegen Klassendenken und jegliche Form von Diskriminierung, ob sexueller oder rassistischer Natur. Der Rassismus der Libanesen ist ein starkes Argument für die erfahrene Aktivistin Farah.
Da wird über die syrische »Invasion« geflucht, die Grenzen sollten geschlossen werden – der Hass sitzt in Büros, in Bars oder fährt Bus. Für dieses Denken schämt sich Farah, Libanesin zu sein. Denn es sind vielleicht dieselben Menschen, die nun Hilfe benötigen, welche in Kriegszeiten libanesische Flüchtlinge in Syrien empfingen und unterstützten. Als vor zwei Wochen Gewitter- und Schneestürme einigen syrische Familien auch noch ihr letztes Hab und Gut entrissen, rief das Kollektiv auf Facebook zu einer Spendenaktion auf.
Wer warme Klamotten, Decken, Konservendosen oder schlichtweg Geld geben wollte, brachte die Spende in das Café »Nasawiya« im Beiruter Stadtteil Mar Mikhael. »Die Menschen hier sind nur in Krisenzeiten gut im Mitfühlen«, beobachtet Farah. »Wenn ich denen erzählen würde, dass 100.000 Menschen, Syrer und Libanesen, im Nordlibanon kein Essen, keine Schule, gar nichts haben – gibt es dafür kein Mitgefühl – außer wenn das Land durch einen Sturm wachgerüttelt wird.«
Dementsprechend groß war dann die Spendenbereitschaft: Berge von Plastiktüten voller Jacken, Pullovern und Schuhen bedeckten den Boden des Cafés. Jeden Tag teilten Freiwillige an Flüchtlinge, aber auch libanesische Obdachlose in Beirut aus. An zwei Tagen brachten Teams Ladungen von Textilien und Lebensmittel nach Akkar im Nordlibanon und in die Bekaa-Ebene. Am Ende der Aktion blieb nicht eine Socke über.
»Manche hier würden noch einen Sterbenden fragen, welcher Nationalität er angehört«
Farah erinnert sich an ein paar Spender, welche genau wissen wollten, ob ihre Gaben an obdachlose Libanesen oder Syrer gehen. »Manche hier würden noch einen Sterbenden fragen, welcher Nationalität er angehört. Dann entscheiden sie, ob sie helfen. Das ist verrückt, aber die Wahrheit«, ist Farah von der Gefühlskälte schockiert. Energieminister Gebran Bassil dachte vor kurzem noch darüber nach, die Grenzen für Flüchtlinge zu schließen. Nach Kritik aus Regierungskreisen spricht er heute moderater von »Grenzregulierungen«.
»Aber die breite Öffentlichkeit sieht in derartigen Debatten kein Problem. Und die Politiker sprechen im Namen des libanesischen Volkes. In meinem Namen«, und Farah deutet auf sich. »Nasawiya« zeigt mit der Spendenaktion das andere, das fürsorgliche, das gastfreundliche Gesicht des Libanons. Die Kampagne war erstmal ein einmaliges Unterfangen. Das Café bleibt aber Anlaufstelle für syrische Neuankömmlinge und nimmt weiterhin Spenden an.
Farah resümiert: »Wir wollen dieses Land mit solchen Aktionen beeinflussen. Wir zeigen mit dem Finger darauf, wenn was schief läuft.« Dann erhebt sie sich von ihrem Bürostuhl. Vor ein paar Minuten kamen eine syrische Mutter und ihr Sohn zur Tür herein.