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Die Golfstaaten und das Assad-Regime

Annähern oder auf Abstand halten?

Analyse
Die Golfstaaten und das Assad-Regime
Baschar Al-Assad zu Gast im März 2022 bei Muhammad Bin Zayed (MBZ), dem Kronprinzen von Abu Dhabi Präsidialamt Syrien

Die Normalisierung mit dem Assad-Regime passt zum Ansatz der Golfstaaten, Konflikte in der Region zu managen. In ihrer Syrien-Politik sind sie sich aber uneins – und vorzeigbare Erfolge bislang ausgeblieben.

Nur wenige Tage nach den schweren Erdbeben im Februar 2023 in der Südtürkei und im Norden Syriens landeten die ersten Flugzeuge aus den Golfstaaten mit Hilfsgütern in Damaskus. Unter ihnen auch Maschinen aus Saudi-Arabien, beladen mit Kisten voller Nahrungsmittel und medizinischer Güter, auf denen das grüne Logo des »King Salman Center« prangte – der Hilfsorganisation, die nach dem saudischen König benannt ist. Anders als man es vom einstigen Feind erwarten würde, verteilte Saudi-Arabien seine Hilfslieferungen nicht nur in von Rebellen kontrollierten Landesteilen Syriens, sondern auch dort, wo Machthaber Baschar Al-Assad seit 2011 mit Gewalt und Unterdrückung seine Kontrolle behauptet.

 

Einst versuchte das Königreich hier mittels von Riad unterstützter Milizen, Assad zu Fall zu bringen. Nun aber waren die humanitären Hilfen Vorboten einer politischen Normalisierung mit Syrien, wie sie noch vor Jahren undenkbar gewesen wäre.

 

Was Saudi-Arabien mit seiner »Erdbeben-Diplomatie« bereits andeutete, wurde im Mai 2023 schließlich besiegelt: Ausgerechnet beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Saudi-Arabien kehrte Assad nach fast zwölf Jahren Isolation an den Tisch der arabischen Bruderstaaten zurück. Riad selbst war treibende Kraft hinter der Wiederaufnahme und hatte bereits Wochen zuvor erstmals seit Ausbruch des Syrien-Kriegs eigene diplomatische Beziehungen zu Damaskus aufgenommen.

 

Die Normalisierung zu Syrien zeigt die knallharte Pragmatik, mit der Saudi-Arabien schon seit einiger Zeit eine regionale Entspannungspolitik vorantreibt und seine Rivalitäten im Nahen Osten zu managen versucht. Gleichzeitig ist die Wiederannäherung an Damaskus eine Facette einer allgemeinen außenpolitischen Diversifizierungsstrategie am Golf, die aus Enttäuschung mit den USA auf neue Partnerschaften setzt.

 

Die Normalisierung mit Syrien ist keine Liebesheirat – am Golf bleibt das Vertrauen in Assad gering

 

Einst hatte sich vor allem Riad einseitig auf Sicherheitszusagen aus Washington verlassen, doch schon seit Längerem dämmert es dem Königshaus inmitten US-amerikanischer Rückzugsrhetorik, dass die USA ihr Engagement im Nahen Osten zurückschrauben – auch auf Kosten der Golfstaaten.

 

Risse im saudisch-amerikanischen Verhältnis zeigten sich bereits 2013, als Washington keine militärische Reaktion auf die Giftgasangriffe im syrischen Ghuta zustande brachte, obwohl Präsident Barack Obama dies zuvor noch als »rote Linie« ausgerufen hatte. Der Tropfen, der letztendlich das Fass zum Überlaufen brachte, waren Irans Angriffe 2019, als unter dem Deckmantel der von Teheran unterstützten Huthi-Miliz aus dem Jemen Ölanlagen in Saudi-Arabiens Ostprovinz attackiert wurden – während die USA aus Sicht des Partners vom Golf einfach tatenlos zusahen.

 

Von dieser Enttäuschung angetrieben, lancierte das Königreich eine Détente-Politik, die zuerst den Konflikt mit dem unter Blockade stehenden Nachbarn Katar beilegte, sich dann aber schnell dem iranischen Frontbogen von Syrien bis nach Jemen zuwandte. Erst schloss Riad einen Waffenstillstand mit den Huthis – Riads Gegnern im jemenitischen Bürgerkrieg –, dann folgte der Paukenschlag in Beijing: eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Iran.

 

Dass Syrien im Windschatten dieser Entspannungspolitik bald folgte, war nur folgerichtig. Die Annäherung mit Damaskus ist dennoch ein vergleichsweise kleiner Baustein der regionalen Détente-Strategie Saudi-Arabiens – das Kernstück wäre hingegen ein möglicher Deal mit Israel, der angesichts aktueller Entwicklungen rund um den Gazastreifen aber vorerst auf Eis liegt.

 

Zudem ist die Normalisierung mit Syrien keine Liebesheirat – am Golf bleibt das Vertrauen in Assad gering, und die Stärkung eines iranischen Klienten liegt weiterhin nicht im eigenen Interesse. Doch Saudi-Arabien geht mit der Situation vorerst pragmatisch um und wittert auch Chancen in den neuen Beziehungen zu Damaskus: Im Kontext einer unübersichtlichen geopolitischen Großwetterlage werden am Golf längst die Beziehungen zu Russland und vor allem China gestärkt, mit Beijing sind die Golfstaaten wirtschaftlich besonders eng verflochten. Eine Annäherung an deren regionale Partner – Iran und Syrien – stabilisiert aus Sicht der Golfmonarchien die eigene Nachbarschaft und schafft Raum, um sich auf die wirtschaftliche Modernisierung und Diversifizierung daheim zu konzentrieren.

 

Heute sind die Emirate bereits der drittgrößte Importpartner für Syrien

 

In Saudi-Arabien sieht man darüber hinaus triftige Gründe in der Unterbindung des Drogenschmuggels aus Syrien – der im Königreich als Hauptabsatzmarkt eine Suchtkrise ausgelöst hat –, um mit den Machthabern in Damaskus zu kooperieren. Es bleibt fraglich, ob Riad damit nicht den Bock zum Gärtner macht: Herstellung und Schmuggel der synthetischen Droge Captagon sind fest in der Hand des Präsidentenbruders Maher Al-Assad und die geschätzten fünf Milliarden US-Dollar Einnahmen eine finanzielle Rettungsleine für den sanktionierten Staat, die er höchstens für Gegenleistungen aufgeben dürfte.

 

Saudi-Arabien sieht wie andere Golfstaaten außerdem ökonomische Chancen in einer Normalisierung mit Syrien. Der brachliegende Energiesektor des Landes könnte ein Ziel von Direktinvestitionen werden, und auch in Infrastruktur könnte der finanzstarke Golf investieren. Hier nehmen vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eine Pionierrolle mit ihren regionalen Logistikprojekten ein, wie die zahlreichen vom emiratischen Flaggschiff DP World betriebenen Häfen und Sonderwirtschaftszonen von Ostafrika bis zum indischen Subkontinent veranschaulichen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die VAE auch Vorreiter im Normalisierungsprozess mit Syrien waren und bereits 2018 ihre Botschaft wiedereröffneten, um sich in eine wirtschaftliche Pole Position zu manövrieren. Heute sind die Emirate bereits der drittgrößte Importpartner für Syrien.

 

Doch am Golf findet sich auch eine konträre Position von Staaten, die sich der Annäherung seitens Saudi-Arabien, den VAE und Bahrain zwar nicht entgegenstellen, doch selbst weiter einen großen Bogen um Assad machen. Allen voran positioniert sich Katar – wie auch schon in den frühen Phasen des Syrien-Konfliktes – in Abgrenzung zu Saudi-Arabien und besteht auf Zugeständnissen des syrischen Regimes gegenüber der Opposition, bevor eine Normalisierung in Betracht gezogen wird. Emir Tamim Bin Hamad blieb Assads erster Rede nach Wiederaufnahme in die Arabische Liga demonstrativ fern. Umgekehrt hat Katar aber anders als Saudi-Arabien auch weniger direkte Sicherheitsinteressen, die eine Koordinierung mit Syrien erfordern würden.

 

Auch Kuwait verhielt sich lange in puncto Normalisierung vorsichtig. Anders als seine Nachbarn Saudi-Arabien und Katar griff das Emirat damals nicht direkt in den Syrien-Krieg ein. Ebenso übt es sich jetzt mit Blick auf eine Annäherung in Zurückhaltung und war Berichten zufolge sogar gegen eine Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga. Der Oman wiederum hatte seine Beziehungen zu Assad nie gekappt, die das Sultanat gemäß seines traditionellen Ansatzes zu allen Seiten unterhält, und sich als Mittler positioniert. Damit fungierte Maskat vor der Annäherung anderer Golfstaaten bereits als Brücke zum syrischen Regime und sprach sich früh für eine Wiederaufnahme in die Arabische Liga aus.

 

Gut möglich, dass sich die Golfstaaten angesichts dieser Risiken in Syrien nicht zu weit aus dem Fenster lehnen

 

Diese Komplexitäten verdeutlichen auch die ungewissen Aussichten der Annäherung zwischen dem Golf und Syrien. Die momentane Initiative verdankt Syrien vor allem Saudi-Arabien, das den Vorstoß als regionales Zugpferd anführt. Allerdings es ist nicht ausgemacht, dass sich die Hoffnungen, die Riad in sein Projekt setzt, auch tatsächlich erfüllen.

 

Handfeste Fortschritte im Kampf gegen den Drogenschmuggel sind bislang ausgeblieben, und auch dem Grad, zu dem Saudi-Arabien und die VAE Profit aus der engeren Wirtschafskooperation mit Syrien schlagen können, wird durch internationale Sanktionen gegen Syrien – wie dem amerikanischen »Caesar Act« – enge Grenzen gesetzt. Sollte die Annäherung nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, könnten die derzeitigen Schritte schnell im Sande verlaufen – und am Golf das Lager der Assad-Kritiker um Katar stärken.

 

Außerdem könnte sich der anziehende Wettbewerb der Golfstaaten untereinander auch auf den Umgang mit Syrien auswirken. Zwischen Dschidda, Dubai und Doha verfolgen die Golfstaaten allesamt ein ähnliches Geschäftsmodell, das die wirtschaftliche Zukunft nach dem Öl in einem Mix aus Tourismus, Logistik, Großevents und Wasserstoff sieht. Dass dies früher oder später zu regionaler Konkurrenz führen muss, ist logisch und bereits an dem zunehmend angespannten Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und den VAE erkennbar. Syrien könnte vom Wettbewerb zwar profitieren, sollte dieser aber auch zu politischen Konflikten führen, würde das der regionalen Wirtschaftskooperation schaden.

 

Zuletzt ist die Eskalation der Gewalt nach Hamas-Angriffen auf Israel Grund zur Sorge, dass nach Jahren der beständig und pragmatisch herbeigeführten Entspannung und Stabilisierung des Nahen Ostens ein regionaler Flächenbrand diese Errungenschaften wieder in Schutt und Asche legen könnte. Dass mit der Hizbullah und dem Assad-Regime zwei Erzfeinde Israels Syrien im Griff haben, bringt die Golfstaaten in eine verzwickte Lage – insbesondere Manama und Abu Dhabi, die ihr Verhältnis zu Tel Aviv bereits normalisiert haben. Es ist gut möglich, dass sich die Golfstaaten angesichts dieser Risiken in Syrien nicht zu weit aus dem Fenster lehnen werden und ihre politische Aufmerksamkeit künftig stärker auf den Nahostkonflikt verlagern.


Philipp Dienstbier ist seit 2023 der Leiter des Regionalprogramms Golfstaaten der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) mit Sitz in Amman.

Von: 
Philipp Dienstbier

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