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Theaterstück »Letters Home«

Briefe in die Heimat

Feature

Nicht nur in ihren Heimatländern, auch in Deutschland haben Flüchtlinge alltäglich mit lebenseinschneidenden Problemen zu kämpfen. Im Theaterstück »Letters Home« lautet ihre Botschaft: »Kein Mitleid, mehr Solidarität!«

»Die Unbeliebtheit der Flüchtlinge hat wenig mit ihrem Verhalten und viel mit dem zweideutigen legalen Status zu tun, unter dem sie, aber nicht nur sie leiden.« Eine große Leinwand zeigt dieses Zitat der Polittheoretikerin und Publizistin Hannah Arendt dem Publikum des Theaterstücks »Letters Home«. Wo politische Theorie auf die harte Realität trifft, dort setzt »Letters Home« an. Im Theaterstück der Gruppe »Refugee Club Impulse« (RCI) werden keine fiktiven Geschichten erzählt, sondern die Emotionen der Schauspieler in kreativen Szenen umgesetzt.

 

Flüchtlinge aus der Erstaufnahmeeinrichtung in der Motardstraße in Berlin-Spandau stellen ihren »Brief nach Hause« dar, in dem sie von ihren Eindrücken von der Stadt und ihrem neuen Leben hier erzählen. Auf dem Jugend-Theater-Festival FESTIWALLA führten sie Ende November 2014 das Stück zum ersten Mal auf. Mittlerweile wurde unter anderem der 26-jährige Syrer Ridwan aus der Theatergruppe nach Ungarn abgeschoben. Der Grund hierfür ist ein notorisch umstrittenes Gesetz: die Dublin-III-Verordnung. Ein Flüchtling muss seinen Asylantrag in dem europäischen Land stellen, in das er als Erstes eingereist ist.

 

Dieses Gesetz wird vor allem wegen der oft großen Unterschiede in den Asyl- und Sozialstandards innerhalb Europas, sowie der Tatsache, dass dadurch meist nur südeuropäische Länder betroffen sind, kritisiert. Aber selbst wer in Deutschland bleiben darf, hat mit scheinbar unüberwindbaren Hürden zu kämpfen. So zum Beispiel der Pakistaner Sami Shah. »Dublin III« betrifft ihn nicht, da er direkt nach Deutschland geflogen ist.

 

Dafür plagen ihn andere Sorgen: »Ich fühle mich wie ein Sklave. Betet für mich, dass ich irgendwann eine Arbeitserlaubnis bekomme«. Diese Zeilen liest er aus seinem fiktiven Brief an seine Familie während des Stücks in einem Einspieler vor. In Wahrheit weiß seine Mutter aber nichts von seinen Problemen in Deutschland. »Wenn ich sie mal länger nicht angerufen habe, sage ich ihr, dass ich abends immer erst so spät aus dem Büro gekommen bin«, erzählt er.

 

»Ich fühle mich wie ein Sklave. Betet für mich, dass ich irgendwann eine Arbeitserlaubnis bekomme«

 

Von einem Bürojob kann Sami momentan nur träumen. Der 31-Jährige hatte Aeronautik an der Schule der pakistanischen Luftwaffe studiert. Aktuell hat er immer nur eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate, die er ständig erneuern muss, und bekommt einen Job nur dann, wenn kein Deutscher oder jemand mit einer unbeschränkten Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit ihn haben möchte. Sami hat schon oft Zusagen von Arbeitgebern für Jobs erhalten, die allerdings weit unter seinen Qualifikationen liegen.

 

Ob als Reinigungskraft oder Tellerwäscher mit einer Arbeitszeit von 48 Stunden die Woche für 1.300 Euro Brutto. »Ich war sicher, diesen Job möchte kein Deutscher haben und ich erhalte endlich meine Arbeitserlaubnis«, sagt er. Aber auch hier wurde ihm diese Möglichkeit von den Behörden verwehrt. »Es ist frustrierend«, sagt Sami. »Ich versuche alles, aber ich weiß gar nicht mehr so genau, wo ich meine Energie hinstecken soll. Mir bleibt nichts anderes übrig, als weiterzusuchen.« 

 

In Pakistan führte er ein solides mittelständiges Leben. Nach seiner Anstellung als Flugzeugmechaniker stieg Sami in Pakistan ins Immobiliengeschäft ein, um mehr Geld zu verdienen – eine Entscheidung, die ihm später noch zum Verhängnis werden sollte. Eines seiner Objekte sei von der pakistanischen Mafia belagert worden. Vor Gericht erhielt er Recht, aber die Polizei habe den richterlichen Beschluss nicht umgesetzt, da sie von seinen Gegnern bestochen worden sei. »Pakistan politisches System ist von oben bis unten korrupt«, sagt er.

 

Als die Presse über seinen Fall berichtete, wurde er zusammengeschlagen – doch die Polizei stellte einen gefälschten Bericht aus. Ihm blieb aus Sicherheitsgründen keine andere Wahl mehr, als Pakistan zu verlassen. Im Juli 2013 kam er dann durch einen Deal mit einem Schlepper von Dubai aus direkt nach Deutschland – mit im Gepäck die Hoffnung, in dem wirtschaftsstarken Land mit seinen Fähigkeiten als Flugzeugmechaniker gebraucht zu werden. »Ich hätte nie gedacht, bei allem was ich mir aufgebaut habe, dass ich noch einmal so tief fallen werde«, sagt er. Samis größte Angst ist nicht die Abschiebung, sondern dass er trotz aller Anstrengungen nicht vorwärts kommen wird.

 

Ein Lichtblick bietet für ihn ist die Schauspielerei. »Für mich ist der Refugee Club alles«, sagt er. Durch den RCI kommt er mit anderen Menschen in Kontakt, kann über seine Probleme reden und auf eine künstlerische Art und Weise verarbeiten. Das hilft ihm, Anschluss an die Gesellschaft finden. »Wir wollen kein Mitleid erregen, sondern wünschen uns wachsende Solidarität«, sagt Maryam Grassmann, Sozialarbeiterin in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Motardstraße und pädagogische Leiterin des »Impulse«-Projekts, über das Stück. Ihr geht es darum, auf die Probleme der Flüchtlinge hinzuweisen, vor die sie hier in Deutschland gestellt sind: Amtsgänge, keine Bewegungsfreiheit, Sprachprobleme und keine Arbeitserlaubnis.

 

»Ich möchte nicht ständig daran erinnert werden, dass ich aus Krieg und Elend komme«

 

Doch auch mit Arbeitserlaubnis und Bleiberecht hat man es als Flüchtling nicht unbedingt leicht. Batoul Sedawi, Samis Schauspielkollegin aus »Letters Home«, ist 2012 mit ihrer Familie aus Syrien geflohen. »Überall waren Assads Truppen«, erzählt sie. »Man konnte kaum das Haus verlassen. Es war zu gefährlich.« Ihre Mutter erkannte schnell, dass es keine Zukunft mehr in Syrien für die Familie gab. Über den Libanon nach Italien bis nach Schweden führte ihre Reise, da hier einer ihrer Onkel wohnt. Doch die schwedischen Behörden wollten sie zurück nach Italien schicken.

 

Mithilfe eines Anwalts bekam die Familie in Deutschland ein Bleiberecht für drei Jahre. Ihr Syrien hatte Batoul Bildhauerei an der Fakultät der bildenden Künste an der Universität Damaskus studiert, sonst aber kaum Verpflichtungen. Hier in Deutschland ist das anders. Da ihre Eltern und jüngeren Geschwister weder Deutsch noch Englisch sprechen, muss sie ihre Familie bei den kleinsten alltäglichen Aufgaben unterstützen. »Ich fühle mich oft ausgelaugt und erschöpft, weil ich mich um alle kümmern muss«, sagt sie.

 

Auch das Leben im Flüchtlingsheim belastet sie. Die Möbel sind im Boden verankert. Man kann nicht einfach Gäste empfangen und ab 22 Uhr gilt eine Sperrfrist. »Es fühlt sich nicht wie ein Zuhause an«, stellt sie bitter fest. Auch für sie bietet der RCI eine willkommene Ablenkung. »Das Theater hat mir sehr geholfen«, sagt sie. Hier kann sie neue Menschen kennenlernen und leichter Freunde finden, mit denen Sie sich über ihre Probleme austauschen kann: »Ich möchte nicht ständig daran erinnert werden, dass ich aus dem Krieg und Elend komme«, schreibt sie in ihrem Brief, den sie in »Letters Home« vorträgt.

 

Sie hat das Gefühl, als wäre ihre komplette Identität nur noch dadurch bestimmt, ein Flüchtling aus Syrien zu sein. »Ich möchte mich endlich wieder normal fühlen«, sagt sie. Ihr größter Wunsch bleibt derselbe wie der von Sami und so vielen weiteren Flüchtlingen: Wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. »Meine Seele ist immer noch in Syrien«, sagt Bati.


Im »Refugee Club Impulse« (RCI) treffen sich jede Woche Flüchtlinge im Jugendtheaterbüro (JTB) in Moabit, um zusammen Theater zu spielen, zu tanzen, gemeinsam zu essen, miteinander auf Augenhöhe zu reden und sich auszutauschen. Der RCI entstand 2013 aus dem Tanz- und Theaterprojekt »Impulse« in der Spandauer Motardstraße. In Zusammenarbeit mit dem internationalen Jugend Kunst- und Kulturhaus »Schlesische27« und dem JTB entstand 2014 das Theaterstück »Letters Home«. www.impulse-projekt.de

Von: 
Isabelle Büchner

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