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Ultraorthodoxe und Linke in Israel

Gegensätze ziehen sich an

Feature

Ultraorthodoxe und Linke raufen sich in Israels Opposition zusammen – und entdecken immer mehr gemeinsame Positionen. Die israelische Parteienlandschaft ist bekannt für derlei überraschende Politpaarungen.

Trifft sich ein ultraorthodoxer Knesset-Abgeordneter mit linken Tel Avivern. Was klingt wie ein Witz unter Nahost-Experten, ist nur eine Ausprägung verrückt anmutender politischer Paare, die auf den ersten Blick (und auch noch auf den zweiten) an ziemlich gegenseitigen Extremen des politischen Spektrums stehen, in der Realität aber doch meist ein Element finden, das sie zusammenführt und verbindet.

 

In Israel ist das Erstaunen in Israel zuletzt sehr groß gewesen, dass Ultraorthodoxe urplötzlich Gemeinsamkeiten mit den linken Parteien für sich entdeckt haben. Nahezu alle Anhänger der Yahadut HaTorah-Partei (»Vereinigtes Thora-Judentum«, UTJ) haben ihre Bildung in den Yeshivot, den religiösen Schulen, erhalten und widmen ihr Leben dem Studium der heiligen Schrift. Obwohl die Partei offiziell keine Position zum Siedlungsbau bezieht, ist es ein offenes Geheimnis, dass sich ein Großteil der Anhängerschaft aus den Siedlern jenseits der Grünen Linie speist.

 

Ausgerechnet im für die Ultraorthodoxen als verkommener Sumpf der Sittenlosigkeit verpönten Tel Aviv gab einer der bekanntesten Knesset-Abgeordneten der UTJ, Moshe Gafni, im Juli eine gemeinsame Pressekonferenz mit der Vorsitzenden der weit links stehenden Meretz-Partei, Zahava Gal-On. Ihre Anhänger sind in der Regel höchst besatzungskritische und vor allem äußerst säkulare Juden. Die fortwährende Kritik am Staat Israel trägt Meretz indes auch die eine oder andere Stimme der arabischen Bevölkerung Israels bei Wahlen ein.

 

Gemeinsame Ablehnung des Wehrdienstes

 

Doch seitdem Premierminister Netanjahu eine Regierung ohne die Beteiligung der ultraorthodoxen UTJ und Schas gebildet hat, sitzen säkular-links und orthodox-rechts zusammen auf der harten Oppositionsbank und machen hier und da gemeinsame Sache, um wirkungsvoll gegen die Regierung wettern zu können. Beispielsweise beim Thema Haushalt. Bei besagter Pressekonferenz präsentierten Gafni und Gal-On mit einem »alternativen Budget« einen gemeinsamen sozio-ökonomischen Masterplan, der besonders die ärmeren Schichten, die von Staatshilfe leben, entlasten soll.

 

Und die gegenseitigen Sympathiebekundungen reißen nicht ab: Gafni äußerte öffentlich, dass er sich die Beteiligung seiner Partei an einer linken Koalition vorstellen kann. Denn die Gemeinsamkeiten hören nicht bei den Finanzen auf: Selbst beim sensiblem Thema Wehrpflicht sind sich die beiden Parteien nicht spinnefeind. Während die Religiösen selbst nicht eingezogen werden möchten, was ihnen bisher gesetzlich möglich war, finden die Linken, dass Wehrdienstverweigerung ein durchaus legitimer Protest gegen die Besatzung sei.

 

Beide Parteien stehen der Armee also kritisch gegenüber. Man stelle sich vor, hierzulande würden sich Christdemokraten und die Linke plötzlich über die Verdammung von Rüstungsexporten einig sein. Doch wer sich ob dieser eigentümlichen Verbindung die Augen reibt, der hat noch nicht verstanden, dass das Klischee »Zwei Juden, drei Meinungen« nicht von ungefähr kommt. Bestes Beispiel ist Neturei Karta.

 

Die Gruppierung, die von vielen als Sekte gesehen wird, steht noch weiter rechts als der ultraorthodoxe Mainstream. Im Grunde stehen »die Wächter der Stadt«, wie sie übersetzt heißen, aber schon außerhalb das etablierten Systems. Gottgläubig wie sie sind, sei der Zionismus als politisches Instrument zur Errichtung eines Staates Israel schlichtweg Blasphemie und daher abzulehnen.

 

Auch auf arabischer und muslimischer Seite finden sich unvermutete Israel-Freunde

 

Mit antizionistischen Tönen findet man in nah- und mittelöstlicher Gesellschaft durchaus schnell Freunde und so erklärt sich auch die abstruse Anekdote von Moshe Hirsch vom noch radikaleren Arm Neturei Kartas, der einst in Yassir Arafats Kabinett Minister für Jüdische Angelegenheiten war. Seitdem Holocaust-Leugner und Neturei-Mitglied Moshe Friedman 2006 an einer Holocaust-Konferenz in Teheran teilnahm, sind die Beziehungen zum iranischen Regime ebenfalls hervorragend.

 

Schätzungen zufolge leben etwa 5.000 Anhänger Neturei Kartas allein in Jerusalem. Auch weil sich ihr Einfluss nicht bloß auf einige Dutzend beschränkt, gibt es in Israel Stimmen, die Gruppierung rechtlich als terroristische Organisation einzustufen. Doch nicht alle seltsamen Paarungen richten sich gegen die Regierung oder gleich gegen den ganzen Staat Israel. Auch auf arabischer und muslimischer Seite gibt es immer wieder Ausreißer vom üblichen Mantra.

 

Angefangen beim ersten irakischen König Faisal I., der im Großen und Ganzen die Balfour-Erklärung, die die »Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina« wohlwollend befürwortete, gibt es auch heute einige muslimische Unterstützer Israel. Besonders die Drusen, die vorwiegend in den einst syrischen und seit 1967 israelisch annektierten Golanhöhen angesiedelt sind, tun sich hervor, wenn es darum geht, Israel zur Seite zu stehen.

 

Der »Zionistische Drusen-Kreis« beispielsweise setzt sich dafür ein, dass sich die Glaubensgemeinschaft uneingeschränkt hinter Israel stellen sollte. Ein besonders »bemühtes« Mitglied der Drusen, Ayoub Kara, hat es für die Likud-Partei, die traditionell außenpolitisch einen harten Kurs fährt, mehrmals ins israelische Parlament geschafft. Dort war er ein Vertreter der umstrittenen Drei-Staaten-Lösung, nach welcher das Westjordanland an Jordanien und der Gaza-Streifen an Ägypten gehen sollten, und propagierte den jüdischen Siedlungsbau.

 

Auf diese Weise brachte Kara es immerhin bis zur Position eines stellvertretenden Ministers. Letztlich bleibt von den seltsamen Paaren nur die Erkenntnis, dass es gesellschaftlich und politisch in Israel nichts gibt, was es nicht gibt. Lediglich die israelischen und palästinensischen Friedensbedingungen ließen sich auf politischer Ebene noch nicht zufriedenstellend zusammenführen.

Von: 
Robert Friebe

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