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US-Strategie im Irak gegen den IS

Hoffen auf Erlösung aus dem Würgegriff

Feature

Weiten die USA die Luftschläge gegen den »Islamischen Staat« auch auf Mosul aus? Während gerade viele Vertriebene auf eine Befreiung hoffen, befürchten die in der Stadt Zurückgebliebenen die Rache von irakischer Armee und Peschmerga.

Fast jeder, der in Mossul lebt, ist gegen die Bombenangriffe der irakischen Luftwaffe. Sie seien wahllos, willkürlich und erreichten keine erkennbaren strategischen Ziele. Mögliche Luftschläge der US-Armee sind da schon eine andere Sache: Einige in der Stadt unterstützen den Ansatz, andere halten ihn für falsch. Ahmed, Jalal und Abdullah kommen aus Mossul, momentan können sich die drei Freunde aber nur via Facebook treffen. Die Einnahme der Stadt durch die Extremisten vom »Islamischen Staat« (IS) hat sie gezwungen, getrennte Wege zu gehen.

 

Ahmed ist in Mossul geblieben. Jalal, ein irakischer Kurde, hat seine Familie in relative Sicherheit in die angrenzende Autonome Region Kurdistan gebracht. Abdullah hat Mossul ebenfalls verlassen, nachdem 30 seiner Angehörigen, schiitische Schabak, entführt worden waren. Alle drei haben unterschiedliche Ansichten zur Entscheidung von US-Präsident Barack Obama, mit Luftschlägen gegen IS vorzugehen. Ihre Argumente geben einen exemplarischen Einblick in die Gespräche und die Gemütslage der Einwohner von Mossul in diesen Tagen.

 

Alle Durchgangsstationen, die es den Menschen bis vor kurzem noch ermöglicht hatten, nach Irakisch-Kurdistan auszureisen, sind nun geschlossen, nachdem IS im August seine Offensive gegen die Kurden gestartet hat. Laut Ahmed gleicht Mossul den etwa eine Million Einwohnern, die sich noch in der Stadt aufhalten, deshalb eher einem großen Gefängnis.

 

Seine größte Sorge, die viele der einfachen Leute in Mossul teilen, ist dass die US-Luftschläge der Rückkehr der irakischen Armee – und der kurdischen Kämpfer – in die Stadt den Boden bereiten. Ahmed befürchtet, dass die Soldaten dann Rache an den Einwohnern nehmen werden, weil diese den Einmarsch der IS-Kämpfer anfangs begrüßt hatten. Viele Menschen in Mossul glauben zudem, dass durch die Luftschläge die Grenzen der sunnitisch bewohnten Gebiete im Irak neu gezogen werden sollen.

 

Ahmeds kurdischer Freund Jalal ist da anderer Meinung. Er hofft, dass die Peschmerga die IS-Kämpfer aus seiner Heimatstadt vertreiben werden. Dementsprechend enttäuscht war er, dass die kurdischen Soldaten zunächst an mehreren Fronten in die Defensive gerieten und sich zurückziehen mussten. Aus diesem Grund unterstützt er die US-Luftschläge. Sie kämen zur rechten Zeit, hätten die Moral der Peschmerga gestärkt und es ihnen ermöglicht, das Ruder im Kampf gegen IS herumzureißen. Jalal unterstützt die Luftschläge, solange sie nicht die Zivilbevölkerung treffen.

 

»Statt den Terroristen Schaden zuzufügen, töteten sie Zivilisten und zerstörten die Infrastruktur in Mossul«, beschwert er sich über die bisherige Kampagne der irakischen Luftwaffe. »Ein einziges Mal brachten es die irakischen Flieger zustande, ein Ziel direkt zu treffen, nämlich das Jugendarrestzentrum westlich von Mossul. Die Ironie ist, dass dabei 50 Zivilisten, aber nur 20 Extremisten getötet wurden.« Abdullah, der der Minderheit der Schabak angehört, glaubt, dass es richtig sei, gegen die IS-Extremisten zurückzuschlagen, die so viele aus seiner Volksgruppe ermordet haben und zudem Tausende vertrieben und zuvor deren Besitz konfisziert hatten.

 

Er unterstützt jeden militärischen Vorstoß gegen die »Kriminellen«, wie er die IS-Kämpfer nennt, ganz egal ob dieser von Christen, Jesiden oder sunnitischen Muslime ausgehe. Viele Flüchtlinge aus Mossul haben die Hoffnung nicht aufgegeben, in die Stadt und zu ihren Freunden zurückzukehren – doch sie wissen, dass das ohne den Einsatz von Gewalt gegen die IS-Kämpfer wohl nicht möglich sein wird. Die IS-Propagandakanäle scheinen die US-Schläge als »neuen Kreuzzug gegen den Islam« darstellen zu wollen, um sich die Sympathien der sunnitischen Lokalbevölkerung zu sichern – und insbesondere jener Sunniten, die in Milizen schon während der Besatzung gegen die Amerikaner gekämpft hatten.

 

In der Tat fragen sich viele Einwohner Mossuls, ob sie als sunnitische Muslime gezielt ins Fadenkreuz der Luftschläge rücken. Der frühere Verkehrspolizist Nabil Jassim schrieb seinen Freunden, wie sehr ihn die Lage betrübt: »Die Welt schert sich nicht um die Zivilisten in Mossul, die auf der einen Seite willkürlich aus der Luft bombardiert, und auf der anderen Seite von radikalen Militanten verfolgt werden. Mächtige Staaten verteidigen nur die Rechte von bestimmten Gruppen, und wir sind inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, dass uns niemand aus dieser verzweifelten Situation erlösen kann.«


Übersetzung und Übernahme mit freundlicher Genehmigung von niqash.org. Seit 2005 berichtet das Netzwerk irakischer Korrespondenten auf Englisch, Arabisch und Kurdisch über Politik, Gesellschaft und Kultur im Irak. Niqash ist ein Projekt der NGO Media in Cooperation and Transition (MICT).

Von: 
Khales Joumah

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