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Wahlkampf in Marokko

Benkirane ist nicht Mursi

Analyse

Drei Jahre zu früh beginnt der marokkanische Wahlkampf, nachdem die Dreierkoalition aus PJD, Istiqlal und PPS gescheitert ist. Wer regiert nun künftig in Rabat – und was wird aus Premier Benkirane?

Nicht einmal zwei Jahre nach den Parlamentswahlen im November 2011 verließ die Istiqlal-Partei am 9. Juli 2013 die Regierungskoalition mit der »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« (PJD) und der »Partei für Fortschritt und Sozialismus« (PPS). Das Bündnis war durch die im Kontext des Arabischen Frühlings verabschiedete neue Verfassung im Juni 2011 sowie die Wahlen im November 2011 zustande gekommen, aus denen die PJD als stärkste und die Istiqlal als zweitstärkste Kraft hervorging.

 

Die PJD steht nun vor der Herausforderung, entweder einen neuen Koalitionspartner zu finden oder vorgezogene Neuwahlen abzuhalten, da sie zwar 2011 die meisten Stimmen erhalten hatte, jedoch nicht die erforderliche Mehrheit, um weitgehend allein regieren zu können. Beide Optionen stellen die PJD vor große Probleme, wobei Neuwahlen innerhalb der Partei bislang vehement abgelehnt werden. 

 

Die Istiqlal stellte in der Regierung nicht nur sechs Minister, verantwortlich unter anderem für die Ressorts Finanzen, Bildung und äußere Angelegenheiten, sondern mit Karim Ghellab ebenfalls den Parlamentspräsidenten. Am Abend nach dem Austritt der Istiqlal hatten alle Kabinettsmitglieder der Partei bis auf Bildungsminister Mohamed El-Ouafa ihr Amt niedergelegt. Trotz der Drohung mit Parteiausschluss blieb El-Ouafa weiterhin im Amt und stellte sich gegen den Parteigehorsam.

 

Schon seit Monaten schwelte die Krise zwischen den Koalitionspartnern

 

Bereits seit Monaten schwelte die Krise zwischen den Koalitionspartnern. Der Bürgermeister der Stadt Fes und Istiqlal-Parteichef Hamid Chabat hatte bereits mehrfach Premierminister Abdelilah Benkirane und dessen PJD öffentlich angegriffen und schließlich im Mai erklärt, seine Minister aus der Regierung zurückzuziehen. Auf Einwirken von König Mohammed VI. ruderte er jedoch kurze Zeit später zurück, kritisierte aber weiterhin den Mangel an Regierungstätigkeit und Kommunikation innerhalb der Koalition, für den er die PJD verantwortlich machte.

 

Insbesondere die Tatenlosigkeit angesichts der nach wie vor dramatischen ökonomischen Probleme sowie geplante Sparmaßnahmen sah er für seine Partei als nicht mehr vertretbar an. Einige Beobachter sehen den Konflikt und die Konsequenzen, die die Istiqlal nun am 9. Juli zog, jedoch eher als Ausdruck viel weitreichender Konfliktlinien in der marokkanischen Politik. Die Verfassungsänderungen sowie die Wahlen im Jahr 2011 sind die bislang einzigen Errungenschaften im Nachgang des Arabischen Frühlings – die in Aussicht gestellten Reformen blieb die Regierung bislang schuldig. Vielmehr ist die Politik von einem Kampf um Einfluss zwischen König Mohammed VI. und der von der islamistischen PJD dominierten Regierung zu verstehen.

 

Doch die Spannungslinien verlaufen nicht nur zwischen Islamisten und dem Palast, sondern ebenfalls zwischen der PJD und der Istiqlal als Repräsentanten einer neuen arabischen sowie der alten frankophonen Elite, und schließlich zwischen Reformern und den Befürwortern des Status Quo. Auch regionale Faktoren spielen im innermarokkanischen Machtkampf eine Rolle. In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Stimmen laut, die Regierungschef Benkirane warnend auf die Situation in Ägypten hinwiesen und vor einem ähnlichen Fehltritt warnten, der im Konflikt zwischen islamistischen und säkularen politischen Akteuren Präsident Muhammad Mursi zum Verhängnis wurde.

 

70 Prozent der Marokkaner unterstützen Benkirane

 

Die PJD hat angesichts der kritischen Lage bereits Verhandlungen mit möglichen Koalitionspartnern angeregt. Die Oppositionskräfte »Partei für Authentizität und Modernität« (PAM) und die »Sozialistische Union der Volkskräfte« (USFP) reagierten auf die Avancen äußerst zurückhaltend, als einziger Kandidat kommt daher die »Nationale Sammlung der Unabhängigen« (RNI) in Frage. Einfach dürften die Verhandlungen dennoch kaum werden. Die RNI befindet sich seit dem Wahlsieg der PJD in 2011 in erbitterter Opposition zu den Islamisten.

 

Zudem machte die Partei bereits deutlich, dass sie auf keinen Fall als Lückenbüßer für die Istiqlal einspringen werde. Als Mehrheitsbeschaffer vieler früherer marokkanischer Regierungen ist die RNI für die PJD aber wohl unentbehrlich. Mit diesen Entwicklungen hat scheinbar nicht einmal zwei Jahre nach dem letzten Urnengang und rund drei Jahre vor den regulären Parlamentswahlen der Wahlkampf begonnen.

 

Wie die neue Regierung Benkirane II aussehen wird, oder ob doch vorgezogene Wahlen in den kommenden Wochen beschlossen werden, bleibt abzuwarten. Trotz der politischen Machtkämpfe und harschen Kritik, der sich Benkirane von vielen Seiten ausgesetzt sieht, kann der Premier auf einen entscheidenden Unterschied zu seinem glücklosen Kollegen Muhammad Mursi in Ägypten verweisen: Neuste Umfragen vom Juni 2013 bescheinigen ihm die Unterstützung von fast 70 Prozent in der marokkanischen Bevölkerung.

Von: 
Nadine Kreitmeyr

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