Politikwissenschaftler Muhammad Taufiqurrohman über die Wahlen im größten muslimischen Land der Welt, das politische Vermächtnis von Präsident Joko Widodo – und die Rolle des Gaza-Kriegs im indonesischen Wahlkampf.
zenith: Am 14. Februar stehen in Indonesien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. Welche Themen bestimmen den Wahlkampf?
Muhammad Taufiqurrohman: Derzeit will die Regierung unter Joko Widodo die Hauptstadt von Jakarta nach Ost-Kalimantan verlegen. Während zwei der Kandidaten, Prabowo Subianto und Ganjar Pranowo, diesen Schritt unterstützen, stellt sich der derzeitige Oppositionsführer Anies Baswedan dagegen. Auch der Abbau von Nickel und die Beziehungen zwischen Indonesien und China sind wichtige Themen.
Wofür stehen die wichtigsten Kandidaten im Rennen um die Nachfolge des Amtsinhabers?
Joko Widodo war fast zehn Jahre der Präsident des Landes. Eine ganz klare Mehrheit in Indonesien war mit seiner Politik zufrieden, weshalb die meisten Menschen Kandidaten unterstützen, die mit ihm bereits in der derzeitigen Koalitionsregierung zusammenarbeiten, allen voran Verteidigungsminister Prabowo Subianto. Die größte Kontroverse entbrannte um dessen Kandidaten für die Vizepräsidentschaft: Denn Gibran Rakabuming Raka ist der Sohn von Joko Widodo. Da er noch keine 40 Jahre alt ist, dürfte er eigentlich nicht antreten – trotzdem ließ das Oberste Gericht seine Kandidatur zu. Widodos »Demokratische Partei des Kampfes Indonesiens« (PDI-P) ist indes in den letzten Jahren auf Distanz zum Präsidenten gegangen und hat mit Ganjar Pranowo den langjährigen Gouverneur von Zentral-Java nominiert. Allerdings tobt in Reihen der PDI-P ein Richtungsstreit zwischen den Unterstützern Pranowos und Widodos Sohn Gibran Rakabuming Raka.
»Grundsätzlich geht es ihnen darum, die beiden großen muslimischen Vereinigungen des Landes hinter sich zu scharen«
Wo steht die indonesische Opposition?
Den beiden Kandidaten aus dem Umfeld von PDI-P und Widodo steht eigentlich nur Anies Baswedan entgegen, wenngleich der frühere Gouverneur von Jakarta in der Vergangenheit auch schon als Minister unter Widodo gedient hat. Dann wären da noch eine Reihe islamistischer Parteien, die bei vielen Wählern allerdings inzwischen Kredit verspielt haben.
Die breit gestreute Parteienlandschaft in Indonesien lässt sich auch in Befürworter und Gegner der sogenannten Pancasila-Ideologie einteilen.
Pancasila bezeichnet eine politische Ideologie, die vom ersten Präsidenten Indonesiens, Sukarno, der von 1945 bis 1967 regierte, eingeführt wurde. Sukarno war überzeugt, dass Indonesien nach vereinheitlichenden Prinzipien regiert werden muss. Andernfalls würde das multikulturelle Land mit seinen vielen religiösen Gemeinschaften, Ethnien sowie Herrschaftsgebiete auseinanderfallen. In einer Rede vor dem Verfassungsausschuss, der 1945 die künftige Verfassung Indonesiens ausarbeitete, stellte er daher die fünf Grundprinzipien der Pancasila vor. Dazu gehören recht abstrakte Begriffe wie Einheit, Monotheismus, soziale Demokratie und Inklusivität.
Was eint die islamischen Parteien Indonesiens – und worin unterscheiden sie sich?
Grundsätzlich geht es ihnen darum, die beiden großen muslimischen Vereinigungen des Landes hinter sich zu scharen: die Muhammadiyah und die Nahdlatul Ulama. Letztere ist übrigens mit 40 Millionen Mitgliedern die größte islamische NGO der Welt. Während die Nahdlatul Ulama im Allgemeinen eine gemäßigte islamische Ideologie vertritt, beruft sich die Muhammadiyah sich zwar auch auf die Konzepte der Pancasila, aber einige Elemente der Bewegung sind eindeutig antichristlich. Manche Strömungen der Muhammadiyah unterstützen auch die Kalifat-Bewegung im Land, verteidigen mutmaßliche Terroristen und fordern die Auflösung der Anti-Terror-Polizeieinheit »Detachment 88«.
»Anies Baswedan versucht, aus dem Thema Gaza-Krieg politisch Kapital zu schlagen«
Wie wirkt sich der Krieg in Gaza auf die Wahlen aus?
Zunächst hat die indonesische Regierung Israel nicht offen wegen der Militäroperationen in Gaza verurteilt. Deshalb versucht Anies Baswedan, aus dem Thema politisch Kapital zu schlagen, was ihm allerdings kaum gelingt. Tatsächlich hat die Regierung es aber vielen NGOs ermöglicht, im Gazastreifen weiter ihre Arbeit zu verrichten. Die Koalition unter Joko Widodo hat deutlich gemacht, dass sie an der Seite des palästinensischen Volkes steht und humanitäre Hilfe und medizinische Versorgung gewährleistet. Zentral dafür war das »Indonesische Krankenhaus« in Bait Lahia im Norden des Gazastreifen. Dessen gewaltsame Räumung und Umwandlung in eine Temporäre Basis der israelischen Armee hat die Regierung ebenso aufs Schärfste verurteilt.
Gelingt es denn extremistischen Gruppierungen, aus dem Krieg in Gaza Nutzen zu ziehen?
Angeblich sollen in Indonesien Kämpfer für Gaza angeworben worden sein. Berichte über solche Rekrutierungsversuche haben sich aber nicht bestätigt. Indonesien unterhält ohnehin keine offiziellen Beziehungen zu Israel. Zudem hat Indonesien Ende Januar beim Internationalen Gerichtshof (ICJ) eine Klage gegen Israel eingereicht, dort steht nicht der Krieg in Gaza, sondern die Besatzung in den Palästinischen Gebieten im Fokus. Bislang hat der Gaza-Krieg in der Öffentlichkeit keine gewalttätigen Proteste oder Unruhen ausgelöst. Den Islamisten fehlt hier ein klarer Feind: Denn Muslime stellen in Indonesien die Bevölkerungsmehrheit und pro-palästinensische Positionen sind damit auch die Norm.
Wer wird die Wahlen gewinnen und warum?
Den aktuellen Umfragen zufolge liegt Prabowo Subianto weiterhin deutlich in Führung, und das mit fast 50 Prozent. Anies Baswedan (22,5 Prozent) und Ganjar Pranowo (19,7 Prozent) liegen abgeschlagen dahinter. Prabowo wird die Wahl wahrscheinlich gewinnen, weil er sich der Unterstützung von Joko Widodo sicher sein kann. Die Indonesier halten zu ihrem Präsidenten, auch für die Zeit nach seiner Präsidentschaft: Die Zustimmungswerte für die Bilanz seiner Amtszeit liegen bei beeindruckenden 80,8 Prozent.
Muhammad Taufiqurrohman ist Forschungsleiter am Zentrum für Radikalismus- und Deradikalisierungsstudien (PAKAR) in Jakarta.