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Wahlen und Migration in Mauretanien

Wie stabil ist Mauretanien?

Feature
von Lara Farag
Wahlen und Migration in Mauretanien
Mauretaniens Präsident Mohamed Ould Ghazouani

Mauretanien rückt immer weiter ins Zentrum der europäischen Außenpolitik: Seit dem Amtsantritt von Präsident Mohamed Ould Ghazouani gilt das Land als Vorzeigebeispiel und Partner bei der Eindämmung der Migration. Doch die kürzlich abgehaltenen Wahlen zeichnen ein anderes Bild.

Seit 2011 hat es keinen terroristischen Anschlag in Mauretanien gegeben – ein Sonderfall, denn Mauretanien ist umgeben von politisch instabilen Staaten in einer Region, die immer mehr in den Fokus von Dschihadisten gerät. Das Nachbarland Mali, seit 2012 in einem permanenten Bürgerkriegszustand, erlebte erst am 17. September den jüngsten Anschlag, diesmal auf ein Ausbildungszentrum der Militärpolizei in der Hauptstadt Bamako, bei dem mehr als 70 Menschen starben.

 

Dass Mauretanien sich als vergleichsweise stabiler Anker im Sahel hält, sehen viele Beobachter als Verdienst des Präsidenten: Mohamed Ould Ghazouani setzte während seiner ersten Amtszeit ab 2019 vor allem auf den Ausbau des mauretanischen Militärs und suchte den Dialog mit islamistischen Gruppierungen. Den Grundstein für diesen Kurs hatte sein Vorgänger Mohammed Ould Abdel Aziz gelegt. Doch im Innern ist das Land von anhaltenden ethnischen Spannungen geprägt, die vor allem im Zuge der Ende Juni abgehaltenen Präsidentschaftswahlen erneut die Fragilität des demokratischen Übergangs in Mauretanien aufgezeigt haben.

 

Es war bereits das dritte Mal, dass er für die Präsidentschaftswahlen kandidiert und den zweiten Platz belegt: Oppositionskandidat Biram Dah Abeid ist in ganz Mauretanien als der vehementeste Menschenrechtsaktivist bekannt. Sein Leben widmet der 59-Jährige der Bekämpfung der noch immer in Mauretanien praktizierten Sklaverei. Bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen Ende Juni unterlag er seinem Herausforderer mit knapp 22 Prozent aller Stimmen. Der Amtsinhaber und ehemalige Verteidigungsminister Mohammed Ould Ghazouani konnte die Wahlen bereits in der ersten Runde mit 55,6 Prozent der Stimmen für sich entscheiden.

 

Kurz nachdem die Wahlergebnisse verkündet wurden, brachen Proteste in mehreren Städten des Landes aus

 

Kurz nachdem die Wahlergebnisse verkündet wurden, brachen Proteste in mehreren Städten des Landes aus: Biram hatte zuvor lautstark Wahlbetrug angeprangert und seine Anhänger zu friedlichen Protesten aufgerufen. In der Stadt Kaédi im Süden des Landes waren die Ausschreitungen besonders heftig: Die an der Grenze zu Senegal gelegene Stadt gilt als Hochburg der Unterstützter von Biram. Insgesamt starben drei Leute bei den Protesten, die mauretanische Regierung blockierte mehrere Wochen den Internetzugang – ein ähnliches Szenario wie bei den Präsidentschaftswahlen 2019, die den demokratischen Übergang Mauretaniens nach Jahren der Militärdiktaturen markierten. Auch damals hatte Biram sich geweigert, das Wahlergebnis anzuerkennen und regierungskritische Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen.

 

Bekannt geworden durch seinen politischen Aktivismus, wird Biram zuweilen als »Mandela von Mauretanien« betitelt. Er gilt als Sprachrohr der marginalisierten Bevölkerungsgruppe der »Haratin«. Sie machen 60 bis 70 Prozent der Gesamtbevölkerung Mauretaniens aus und sind Nachfahren ehemaliger Sklaven. Ebenso wie die »Muhamasheen« im Jemen, unterscheiden sie sich vom Rest der Bevölkerung durch ihre dunklere Hautfarbe und sind Rassismus und struktureller Diskriminierung ausgesetzt. Die politischen Repressalien gegen die Haratin erreichten ihren Höhepunkt während des mauretanisch-senegalesischen Grenzkonfliktes von 1989 bis 1991, infolgedessen zwischen 40.000 bis 50.000 Haratin in den Senegal zwangsdeportiert wurden.

 

Biram stammt selbst aus einem Elternhaus ehemaliger Sklaven, weshalb der Kampf gegen die offiziell 1981 verbotene Praxis für ihn ein persönliches Anliegen ist. Für seinen Aktivismus wurde er bereits mehrere Male verhaftet und gefoltert. 2008 gründete er die »Initiative für die Wiederbelebung der Abschaffungsbewegung« und erhielt 2013 den UN-Menschenrechtspreis. »Er ist vor allem für seine radikalen Methoden bekannt«, ordnet der mauretanische Politikwissenschaftler Baba Adou im Gespräch mit zenith den Oppositionspolitiker ein. So hätte Biram des Öfteren Texte einzelner islamischer Rechtsschulen verbrannt, die Sklaverei legitimeren würden, wodurch er den Zorn religiöser Geistlicher auf sich zog. Bei den Wahlen 2024 trat er als Kandidat für die Oppositionsliste »Pol des demokratischen Wechsels« an, die 2018 als Fusion mit der baa’thistisch ausgelegten Sawab-Partei hervorgegangen war.

 

Trotz Birams Popularität schätzten Experten seine Gewinnchance als gering ein. »Es ist unmöglich, dass jemand wie Biram jemals Präsident wird«, meint auch der mauretanische Journalist Abu Bakr Salem im Gespräch mit zenith. Zu stark sei der Einfluss der politischen Elite und der Rückhalt Ghazouanis durch hochrangige Stammesführer und das Militär, welches eine historisch dominante Stellung in der mauretanischen Politik einnimmt. Doch spielten auch strukturelle Probleme eine entscheidende Rolle beim Ausgang der Wahlen: Viele Haratin besitzen keine legalen Dokumente und werden auch nicht offiziell als eigene ethnische Gruppierung anerkannt. Mit der Wahl von Massaoud Ould Boulkheir als Präsident des mauretanischen Parlaments wurde 2007 erstmals ein Angehöriger der Haratin für solch ein hohes Amt ernannt.

 

Noch bereiten die Spannungen zwischen der herrschenden arabischen Elite und den benachteiligten Haratin die größten Probleme

 

Die Präsidentschaftswahl von 2024 galt als besonders entscheidend für den politischen Kurs des Landes, da sie den potentiellen Übergang von einer fragilen hin zu einer konsolidierten Demokratie prägen könnte. Denn noch bereiten die Spannungen zwischen der herrschenden arabischen Elite und den benachteiligten Haratin die größten Probleme. »Den Vorwurf des Wahlbetrugs haben viele Unterstützer von Biram als Zeichen der sozialen Ausgrenzung und der anhaltenden Marginalisierung der Haratin interpretiert«, betont auch Politikwissenschafter Adou Baba.

 

Jedoch ließen sich bei den Wahlen in diesem Jahr durchaus auch Veränderungen erkennen: Baba Adou beobachtete im Wahlkampf eine Abkehr von der Instrumentalisierung ethnischer Zugehörigkeit im öffentlichen Diskurs. So hatte Ghazouani seine Partei, die »Union für die Republik«, die von seinem Vorgänger Mohammed Ould Abdel Aziz gegründet worden war, im Jahre 2022 in die nun regierende »Insaf«-Partei (arabisch für Gerechtigkeit oder Gleichheit) umbenannt, um sich als Garant gesellschaftlichen Zusammenhalts und Kandidat aller Bevölkerungsgruppen darzustellen.

 

Auch Gegenkandidat Biram hatte eine ähnliche Taktik verfolgt: Während er sich in früheren Wahlkämpfen ausschließlich auf die Viertel fokussierte, die überwiegend von Haratin bewohnt werden, hatte er sich diesmal bemüht, auch bei anderen Bevölkerungsteilen zu punkten und versprach Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit, die alle Bürger betreffen, im Falle seiner Wahl anzugehen.

 

Des Weiteren lässt sich bei diesen Wahlen eine weitere Veränderung in der politischen Landschaft Mauretaniens beobachten: Persönlichkeiten, die die Politik Mauretaniens in der Vergangenheit maßgebend beeinflusst haben, spielten diesmal keine Rolle, beispielsweise der ehemalige Oppositionsführer Mohammed Ould Daddah sowie Massoud Ould Boukheir, der ehemalige Präsident des mauretanischen Parlaments. Mit Mamadou Bocar Ba und Outouma Antoine Souleimane Soumare betraten durchaus neue Gesichter die politische Bildfläche und traten als Kandidaten mit eigenen Schwerpunkten an.

 

Der Deal mit der EU könnte die Ausgrenzung und Benachteiligung der Haratin noch weiter vorantreiben

 

Für die Europäische Union hat Mauretanien vor allem eine strategische Bedeutung – im Februar 2024 beriet EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Mauretanien über eine zukünftige Partnerschaft. Das Ziel: illegale Migration einzudämmen und bilaterale Abkommen in den Bereichen Energie und Infrastruktur abzuschließen. Mauretanien gilt nämlich als zentrales Transitland für Geflüchtete auf ihrem Weg nach Europa. Meist versuchen sie über Mauretanien die Kanarischen Inseln zu erreichen.

 

So einigte sich die Europäische Union im April dieses Jahres mit Präsident Ghazouani auf einen Migrationsdeal, der dem Land 210 Millionen Euro einbringt. Dieses Abkommen sieht unter anderem die Unterstützung der mauretanischen Grenz- und Sicherheitskräfte ebenso wie Investitionen in die Infrastruktur des Landes vor. Im Jahr zuvor hatte die EU ähnliche Deals mit Tunesien und Niger geschlossen. Das Abkommen mit Niamey hatte die Militärjunta dann nach dem Putsch im Sommer 2023 ausgekündigt. Internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren solche Deals und warnen vor einem Anstieg von Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und ähnlichen Szenerien wie in Libyen.

 

Mauretanien beherbergt bereits eine hohe Anzahl Geflüchteter aus Mali, die kontinuierlich ansteigt. Im heillos überfüllten Lager Mbera in der quasi isolierten Wüstengegend von Hodh El Chargui leben derzeit knapp 100.000 Geflüchtete aus dem Nachbarland unter prekären Verhältnissen. Mauretanien ist trotz seiner vergleichsweise stabilen Lage noch immer von internen Problemen und ethnischen Spannungen geprägt, die immer wieder aufflammen. So stieß insbesondere der EU-Deal innerhalb des Landes auf großen Widerstand: Gegner des Abkommens sehen darin eine Gefahr für die Sicherheitslage Mauretaniens, das ohnehin nur begrenzte wirtschaftliche Ressourcen zurückgreifen kann. Ferner kritisierten mauretanische Politiker, dass das Abkommen mit der EU dazu führt, dass »illegale Migranten« in Mauretanien angesiedelt werden und das Land destabilisieren könnten.

 

Der Deal mit der EU könnte die Ausgrenzung und Benachteiligung der Haratin noch weiter vorantreiben: Denn vor allem das Jahr 2023 war bereits von Protesten und Aufruhr geprägt – Auslöser war die Tötung des Haratin-Aktivisten Al-Soufi Ould Al-Chine sowie der mutmaßlich rassistisch motivierte Tod des Haratin Oumar Diop in Polizeigewahrsam. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass Angehörige der Haratin oftmals fälschlicherweise als vermeintlich illegale Geflüchtete verdächtigt werden, da viele von ihnen aufgrund struktureller Diskriminierung keine legalen Papiere besitzen. Bei vielen Haratin wecken solche Reaktionen schmerzhafte Erinnerungen an die Zwangsdeportationen während des senegalisch-mauretanischen Grenzkonflikts.

Von: 
Lara Farag

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