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Wahlen in den USA, Gaza und die Nahost-Politik

Was Trump und Harris unterscheiden würde

Analyse
Wahlen in den USA, Gaza und die Nahost-Politik
Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris treffen sich vor einem Telefonat mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu mit Mitliedern des Nationalen Sicherheitsrats. Official White House Photo by Adam Schultz

Die nächste US-Regierung wird den Blick wohl vor allem nach innen richten. Doch gerade die Personalfragen könnten die US-Politik im Nahen Osten in den nächsten vier Jahren entscheidend prägen.

Es ist eine Binsenweisheit in den USA, dass der Präsidentschaftswahlkampf mit innenpolitischen Themen entschieden wird. Bill Clinton machte den Spruch »It’s the economy, stupid« 1992 zu seinem Hauptwahlkampfslogan – und schaffte es, den republikanischen Amtsinhaber George H. Bush zu bezwingen. Und das, obwohl Bush Senior 1991 einen großen außenpolitischen Erfolg verbuchen konnte, nämlich die Verteidigung Kuwaits gegen das Saddam-Regime. Das Resultat einer US-geführten Koalition von 42 Staaten. Vom Ende des Kalten Kriegs ganz zu schweigen.   

 

Spätestens seit den 1990er-Jahren steht deswegen die Innen- und da vor allem die Wirtschaftspolitik der Präsidentschaftskandidaten im Fokus der Wahlkampfkampagnen. Auch im Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump ist das nicht anders. Die US-amerikanische Bevölkerung spürt auch dieses Jahr noch die Auswirkungen einer überdurchschnittlich hohen Inflation, bezahlbarer Wohnraum wird knapper – und zwar nicht mehr nur in den beliebten Küstenstädten.

 

2024 ist dennoch ein außergewöhnliches Wahlkampfjahr. Und ein Grund dafür ist, dass Außenpolitik Einzug in den Wahlkampf gehalten hat – manche Analysten spekulieren, dass internationale Entwicklungen sogar die Wahl entscheiden könnten. Ein wahrer Ausnahmefall also.

 

Drei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Erstens, die extrem hohe Zahl an zivilen Todesopfern in Gaza schockiert Teile der US-amerikanischen Bevölkerung und beeinflusst die politische Meinungsbildung gegenüber den Kandidaten. Zweitens, die launenhafte, eigenwillige Art Trumps, Politik zu betreiben – man erinnere nur an sein seltsames Verhältnis zum nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un, inklusive Briefen und übereilt organisierter Treffen, aber ohne jegliche sicherheitspolitische Fortschritte. Diese Art Trumps, vor allem Außenpolitik zu betreiben, ließ Teile des US-amerikanischen Regierungsapparates aufschrecken und eine Vorstellung davon reifen, welchen Schaden eine zweite Präsidentschaft anrichten könnte. Drittens und maßgeblich bedeutend: das US-amerikanische Wahlsystem.

 

Der Nahe Osten ist nur ein Schauplatz, auf dem Amerikas Rolle in der Welt neuverhandelt wird

 

Der Präsident der Vereinigten Staaten wird indirekt vom Volk gewählt: im Electoral College. Dieses System macht manche Staaten um einiges wichtiger als andere. Zum Beispiel schickt Kalifornien 54 Wahlmänner, wohingegen Alaska nur drei entsenden darf. Wahlkampagnen konzentrieren deshalb ihre Ressourcen oft auf Staaten mit einem hohen Kontigent von Wahlmännern.

 

Dazu kommt, dass nur wenige Staaten sogenannte swing states sind – das heißt Staaten, die entweder demokratisch oder republikanisch in den letzten Jahren gewählt haben. Dazu zählen Arizona, Michigan oder Pennsylvania. Während in Arizona besonders um die lateinamerikanischstämmigen Wähler gerungen wird, stehen in Michigan Wähler mit arabischen Wurzeln im Fokus. Sie könnten das entscheidende Zünglein an der Waage sein.

 

An dieser Schnittstelle fallen internationalen Entwicklungen und der US-Außenpolitik eine ungewöhnlich große Rolle im US-amerikanischen Wahlkampf zu. Vor allem junge Wähler und Amerikaner mit arabischen Wurzeln sind aufgebracht aufgrund der hohen Zahl an Todesopfern in Gaza und der unverbrüchlichen Unterstützung der US-amerikanischen Politik für die unbarmherzige Umgangsweise mit den Palästinensern.

 

Harris und Trump bieten diesen Wählern allerdings wenig Aussicht auf einen Politikwechsel. Harris bezeichnet sich zwar nicht selbst als Zionistin (im Unterschied zu Joe Biden), aber ihrer Unterstützung für Israel tut das keinen Abbruch. Sie betont, dass Israel in der Lage sein muss, sich ausgerüstet mit den besten Waffen gegen Iran zu verteidigen. Formal bekennt sie sich auch zur Zweistaatenlösung als politisches Ziel zur Lösung des Nahostkonflikts. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Harris oder Trump dieser Zielvorgabe tatsächlich aktiv zuarbeiten – oder Israel daran hindern, die Zweistaatenlösung durch immer neue Landnahmen zu verunmöglichen.

 

Insgesamt wird sich Kamala Harris vermutlich stark auf ihre Berater verlassen, weil sie außenpolitisch als relativ unerfahren gilt

 

Nachdem Israel die Angriffe auf den Libanon Ende Oktober ausweitete, rief sein Schwiegersohn Jared Kushner per Tweet dazu auf, »den Sack zuzumachen« (»Finish the job«). In seiner ersten Amtszeit hat Trump die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen lassen – ungeachtet des ungelösten Status der Stadt. Das macht die grundlegende Ausrichtung der Nahostpolitik einer erneuten Trump-Administration deutlich – die Details sind jedoch unklar. In der TV-Debatte mit Harris formulierte Trump kaum politische Vorschläge und erklärte stattdessen kategorisch, dass der Israel-Hamas-Krieg nie ausgebrochen wäre, hätte er im Weißen Haus gesessen.

 

In dieses Vakuum stößt in Umfragen Jill Stein, die Präsidentschaftskandidatin der Grünen Partei. In manchen swing states wie Arizona oder Michigan erfährt die wegen ihrer Beziehungen zu Russland hoch umstrittene Politikerin beachtliche Unterstützung. In Michigan haben 40 Prozent der befragten arabischstämmigen und muslimischen Wähler angegeben, sie würden Stein ihre Stimme geben – und zwar aus Protest.

 

Die Auswirkungen der Wahlen werden auf globaler Ebene spürbar sein. Der Nahe Osten ist nur ein Schauplatz, auf dem Amerikas Rolle in der Welt neuverhandelt wird. Ein oft unterschätzter Faktor dabei ist die Personalpolitik. In den USA können signifikante Teile des Regierungs- und vor allem Bürokratieapparats ausgetauscht werden. Eine Möglichkeit, von der vor allem Trump Gebrauch machen will.

 

»Projekt 2025« ist der Name eines Pamphlets und einer politischen Agenda, an der der konservative Thinktank Heritage Foundation jahrelang gearbeitet hat. Die Ausführungen in den etwa 900 Seiten kommen der Ausgestaltung von Trumps zukünftiger Politik vielleicht am nächsten. Der distanziert sich zwar offiziell von dem Dokument, aber seine engsten Berater sind fast alle mit »Projekt 2025« verbandelt. Und das sieht in seinem Kern unter anderem vor, den gesamten Staatsapparat mit Loyalisten zu besetzen. Kritiker fürchten, dass die zumindest noch während der ersten Amtszeit präsenten korrektiven Kräfte und Fachleute künftig gänzlich fehlen, was unkalkulierbare Sicherheitsrisiken zur Folge haben könnte.

 

Verbündete können damit rechnen, im Sinne der Lastenteilung zur Verantwortung und zur Kasse gezogen zu werden

 

In Bezug auf den Nahen Osten und die Personalentscheidungen einer Harris-Regierung werden in Washington vor allem Namen aus Zeiten der Obama-Regierung hoch gehandelt. Phil Gordon ist ein wahrscheinlicher Kandidat für die wichtige Rolle des Beraters für Nationale Sicherheit. Gordon hat nach seiner Amtszeit als Unterstaatssekretär im Außenministerium in seinem Buch »Losing the Long Game« skeptisch gegenüber möglichen US-amerikanischen Versuchen des Regimewandels in der Region gezeigt. Andere mögliche Kandidaten für Toppositionen gelten – wie Gordon – als Kritiker von Benjamin Netanyahu. Insgesamt wird Harris sich vermutlich stark auf ihre Berater verlassen, gerade weil sie trotz vier Jahren als Vizepräsidentin als außenpolitisch relativ unbeschriebenes Blatt gilt.

 

Die größten Unterschiede zwischen Harris und Trump in Bezug auf den Nahen Osten lassen sich auf drei Ebenen fassen. Erstens, die Art wie Politik gemacht und durchgesetzt wird. Während Harris mit großer Wahrscheinlichkeit auf erfahrene Berater setzen wird – und sich mit diesen eng abstimmt, bevor außenpolitische Entscheidungen getroffen werden, wird Trump vermutlich seiner eigenwilligen Handlungsweise treu bleiben und vor allem selbst spontan entscheiden – und sich ab und an von Familienmitgliedern oder anderen loyalen Partnern beraten lassen.

 

Zweitens, falls Trump, wie weithin vermutet, sich politisch am »Projekt 2025« orientiert, dann wird er vor allem im Umgang mit der Palästinischen Autonomiebehörde (PA) einen neuen Kurs einschlagen. Denn das Pamphlet fordert, der PA sämtliche Finanzierung zu streichen. Drittens, ist »Projekt 2025« misstrauisch gegenüber jeglicher US-amerikanischer Entwicklungshilfe. Konkret sollen Projekte der Entwicklungsbehörde USAID in Afghanistan, Syrien und Jemen am besten komplett kassiert werden.

 

Die Aussichten für den Nahen Osten, aber auch für Partner in der ganzen Welt liegen somit auf der Hand: Eine zukünftige US-Regierung unter Harris oder Trump ab Januar 2025 wird mit gewaltigen innenpolitischen Problemen beschäftigt sein. Diese Tatsache, gepaart mit der offensichtlichen (Trump) oder mehr unterschwelligen (Harris, Gordon) langfristigen Ausrichtung, das weltpolitische US-Engagement nicht zuletzt aus Kostengründen zurückzufahren – und mehr von den Verbündeten abzuverlangen – kann als wohl einzige Maxime und Konstante der US-Außenpolitik angesehen werden, unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. Mit Ausnahme weniger Länder – darunter Israel – können Verbündete damit rechnen, im Sinne der Lastenteilung zur Verantwortung und zur Kasse gezogen zu werden. Die Bereitschaft, sich auf Diplomatie und multilaterale Abstimmung zur Konfliktlösung im Nahen Osten einzulassen, würde allerdings, wenn überhaupt, nur eine mögliche Harris-Regierung an den Tag legen.


Inga Kristina Trauthig ist Forschungsdirektorin am »Propaganda Research Lab« an der University of Texas (UT) in Austin und Senior Fellow am Insititute of Middle Eastern Studies (IMES) des King's College London, wo sie zu Libyen promoviert wurde.

Von: 
Inga Kristina Trauthig

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