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Interview zu Irans Außenpolitik unter Massud Pezeshkian

»Teheran hat seine Ressourcen überdehnt«

Interview
Interview zu Irans Außenpolitik unter Massud Pezeshkian

Iran-Experte Walter Posch über die außenpolitischen Prioritäten des neuen Präsidenten Massud Pezeshkian, den Gaza-Krieg und das Atomabkommen.

zenith: Massud Pezeshkian hat sich bei den Präsidentschaftswahlen in der zweiten Runde durchgesetzt. Worin unterscheidet er sich am meisten von seinem verunglückten Vorgänger Ebrahim Raisi – und welche Schwerpunkte wird er (außen)politisch setzen?

Walter Posch: Raisi vertrat die Interessen der mächtigen nordiranischen Netzwerke, deren wirtschaftliches Zentrum der Schrein von Maschhad ist, ideologisch gehörte er jenen Revolutionären an, die der Ansicht sind, dass die »Revolution«, sprich die Islamisierung der Gesellschaft, noch nicht abgeschlossen sei, daher die Bedeutung der Moralkontrollen für ihn. Interessant ist, dass aus seiner Sicht Afghanistan und das Verhältnis zu den iranischen Sunniten besonders wichtig war. Pezeshkian hingegen gehört jenen traditionellen Konservativen an, die weltoffener sind und das Verhältnis zum Westen verbessern und die Rechtsstaatlichkeit in der Islamischen Republik Iran stärken wollen, deshalb sein Engagement auf Seiten der moderaten Reformer.

 

Inwiefern hat die Suche nach einem Nachfolger für Raisi und der Wahlkampf die außen- und regionalpolitischen Aktivitäten Irans in den vergangenen Wochen beeinflusst?

Gar nicht.

 

»Die Rückkehr zu den Verhandlungen ist eine logische Option für alle Seiten«

 

Pezeshkian hat zuletzt seine Bereitschaft signalisiert, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Sind solche Gespräche zur Wiederaufnahme des Nuklearabkommens (JPCOA) tatsächlich ein realistisches Szenario?

Die Rückkehr zu den Verhandlungen ist eine logische Option für alle Seiten. Doch nun findet dies vor veränderten geostrategischen Verhältnissen statt, die EU hat Großbritannien verloren und das Verhältnis zu Russland und China hat sich verschlechtert. Zurecht wird Teheran darauf hinweisen, das Nuklearabkommen nicht gebrochen zu haben. Wie so oft handelt es sich jetzt um ein diplomatisches Mikado-Spiel: Wer zuerst öffentlich sagt, dass der Gemeinsame Aktionsplan JCPOA tot ist, hat verloren und wir fallen auf die Regelungen des Atomwaffensperrvertrages (NPT) zurück, dessen Lücken das JCPOA hätte füllen sollen. Das für Teheran wichtigste Element, die Aufhebung der Sanktionen, scheint mangels politischen Willens ohnehin nicht mehr möglich zu sein. Wahrscheinlich sind die Zeiten vorbei zu sein, in denen Teheran die EU/E3 als unabhängige, treibende, diplomatische Kraft und selbständigen Partner der USA wahrnahm.

 

Raisi war während eines Staatsbesuchs in Aserbaidschan ums Leben gekommen. Wie wichtig sind die Beziehungen zu den direkten Nachbarn im Westen wie im Osten etwa im Vergleich zum Gaza-Krieg in den außenpolitischen Prioritäten?

Die Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarn waren – unabhängig vom Regime – für Iran immer von entscheidender Bedeutung. Der Gaza-Krieg hingegen findet für Teheran eher in der Propaganda statt und die Iraner unterstützen alle Pro-Gaza Initiativen im Westen. Wichtig ist hingegen der Fortbestand der libanesischen Hizbullah, die so eng mit Iran zusammenarbeitet, dass man sie als Teil des Regimes betrachten kann.

 

Wieviel (außen)politischen Spielraum hat Pezeshkian eigentlich – und welche Teile des iranischen Machtapparats werden die außenpolitischen Aktivitäten der Islamischen Republik in den kommenden Monaten bestimmen?

Kaum jemand in Iran hat außenpolitischen Handlungsspielraum, das Land hat alle seine nachrichtendienstlichen und militärischen Ressourcen in der Region »versenkt«: Die iranische Präsenz in Syrien im Irak, in der Straße von Aden und im Jemen sowie im Libanon kostet Geld, Mannstärke und Material. Dazu kommt die heikle Situation in Afghanistan, wo eine mit modernsten westlichen Waffen ausgerüstete Taliban-Armee sich konsolidiert hat. Teheran hat seine Ressourcen überdehnt und ist aus dem internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen (SWIFT Code), viel Handlungsspielraum bleibt da nicht.


Dr. Walter Posch hat Islamwissenschaft, Iranistik und Turkologie studiert. Momentan forscht er am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie in Wien.

Von: 
Robert Chatterjee

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