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Iran, Israel, Gaza und der Nahe Osten

Wie kommen Israel und Iran aus der Sackgasse?

Analyse
Iran, Israel, die USA, China und der Ölpreis
Israel flog im Juni unter anderem auch Angriffe auf Teheran.

Im Juni 2025 führten Israel und Iran einen zwölftägigen Krieg. Es wird nicht die letzte Episode in diesem Konflikt bleiben.

Ein immer wiederkehrendes Klischee in Bezug auf die israelisch-iranischen Beziehungen ist die Annahme, dass sie erst nach der Islamischen Revolution 1979 ins Wanken gerieten, während sie unter dem vorherigen Regime des Schahs florierten. Doch Mohammad Reza Pahlavi war sich der Unbeliebtheit der Entscheidung zur Anerkennung des Staates Israel im Jahr 1950 durchaus bewusst. In späteren Jahren kritisierte er Israel selbst. Dennoch bestanden bilaterale Beziehungen in allen Bereichen, einschließlich Wirtschaft und Sicherheit. Iran nahm die Unterstützung Israels an, wo seine traditionellen Verbündeten ihre Expertise zurückhielten, beispielsweise bei der Beschaffung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und bestimmten Aspekten der Spionageabwehr. Der Schah ließ jedoch keine Einmischung Israels in seine Pläne für die Region zu. Nachdem er Hand in Hand mit den Israelis zusammengearbeitet hatte, um einen kurdischen Aufstand im Nordirak anzuzetteln, zog er 1975 seine Unterstützung zurück, sobald die Abkommen von Algier mit dem Irak unterzeichnet waren und ließ die Kurden und ihre israelischen Unterstützer im Regen im Stich.

 

Doch die iranisch-israelische Geheimdienstkooperation endete nicht mit der Revolution 1979. Sie dauerte noch eine ganze Weile an, nachdem Saddam Hussein 1980 Iran angegriffen hatte. Unter Missachtung des US-Embargos gegen Iran versorgte Israel das Regime in Teheran mit Ersatzteilen und medizinischen Hilfsgütern, um die Islamische Republik gegen den Irak zu stärken, der damals der Schutzpatron des arabischen Nationalismus und treuer Unterstützer des palästinensischen Kampfes war. Viele in Israel spielten die heftige antiisraelische Rhetorik des Iran als revolutionäres Getöse herunter, obwohl das neue Regime die israelische Interessenvertretung in Teheran unmittelbar nach der Revolution an die PLO übergab.

 

Als der Iran-Irak-Krieg 1988 endete, machte es für Israel jedoch keinen Sinn mehr, die Islamische Republik weiterhin stillschweigend zu unterstützen, da Saddam Hussein zu diesem Zeitpunkt zwar geschwächt war, aber immer noch als Bedrohung galt. Gleichzeitig entwickelte sich die 1982 mit iranischer Hilfe gegründete Hizbullah zu einem ernstzunehmenden Gegner Israels im Libanon. Beeindruckt von der Islamischen Revolution gründete eine Gruppe palästinensischer Radikaler den Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ). Sie schworen dem Führer der Islamischen Revolution die Treue und gelobten, Israel unerbittlich zu bekämpfen. In der gesamten Region half Iran bei der Gründung mehrerer weiterer radikaler Gruppen, von denen in den kommenden Jahren nur eine Handvoll, meist Iraker und einige Afghanen, eine Rolle spielen sollten.

 

Das Ende des Iran-Irak-Krieges 1988 zwang Teheran, seine regionale Haltung zu überdenken. Isoliert in der arabischen Welt konnte Iran nur auf Syrien als Partner zählen. Dies lag teilweise am Sektarismus, denn die führende Clique in Damaskus gehörte dem alawitischen Glauben an, der nominell schiitisch ist, während der herrschende Clan des Irak sunnitisch war. Der Hauptgrund war jedoch eher eine persönliche als eine ideologische oder politische Fehde zwischen den beiden Baath-Parteien in Damaskus und Bagdad. Somit war der einzige Verbündete der Islamischen Republik das säkulare, sozialistische und panarabische Regime in Damaskus.

 

Doch am Ende des Krieges 1988 reichte die Feindseligkeit gegenüber Saddam Hussein nicht aus, um Teherans marodes Bündnis zusammenzuhalten. In der Folgezeit installierten die Iraner einen neuen Koordinierungsmechanismus zwischen Syrien, dem PIJ und der Hizbullah, den sie auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basierten: Feindseligkeit gegenüber Israel und Verteidigung der palästinensischen Sache. So entstand die »Achse des Widerstands«. In den 1990er Jahren ermöglichte sie Iran zwar eine gewisse Rolle in der Levante, doch in Wirklichkeit war sie lediglich ein Verstärker der iranischen Stimme und weniger Ausdruck strategischer Machtprojektion. Dies galt umso mehr, als Teheran aufgrund der US-amerikanischen Doppeleindämmungspolitik international und durch seine feindseligen Nachbarn Irak und Afghanistan immer noch stark eingeschränkt war.

 

Der Verlust der Präsenz in Syrien war ein schwerer Rückschlag für Teheran und ein Sieg für die Türkei. Gleichzeitig flammten die Spannungen zwischen Iran und Israel auf

 

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die USA Irans erklärte Feinde, die Taliban in Afghanistan und Saddam Hussein im Irak, in den Jahren 2001 und 2003 stürzten. Teheran nutzte seinen neuen Handlungsspielraum rasch, da die schiitischen Verbündeten zu wichtigen Akteuren in der irakischen und afghanischen Politik aufstiegen. Irans Ansehen und regionaler Einfluss stiegen nach der Konfrontation zwischen Israel und der Hizbullah im Jahr 2006 noch weiter, als Iran seinen libanesischen Klienten erfolgreich unterstützte und es der Organisation ermöglichte, den »Sommerkrieg« zu überstehen.

 

Saudi-Arabien und die Golfmonarchien beobachteten die unbeabsichtigte, von den USA ermöglichte iranische Expansion mit Bestürzung. Riad erkannte zudem, dass Irans »Achse des Widerstands« sich zwar nach außen hin gegen Israel richtete, in erster Linie aber saudische Interessen in der Region ins Visier nahm. So gelang es der Hamas, die dieser »Achse des Widerstands« immer wieder beitrat und sich wieder von ihr löste, wiederholt saudischen Plänen für die Region, insbesondere in Bezug auf Israel und den Friedensprozess, zu widersetzen.

 

Die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Hamas genießt die Unterstützung der wiedererstarkten Türkei und Katars. So zerfiel die Region in drei ideologisch-politische Blöcke: die revolutionäre iranische »Achse des Widerstands« mit Syrien als Kern; der Muslimbrüder-Block, der mit dem Sturz des ägyptischen Regimes von Hosni Mubarak während des Arabischen Frühlings und der aktiven Nahostpolitik der Türkei an Einfluss gewann. Und schließlich, allen anderen gegenüber, der anti-iranische und Anti-Muslimbrüder-Block unter Führung Saudi-Arabiens, der sich stillschweigend mit Israel verbündete.

 

Saudi-Arabien unterstützte 2013 den Militärputsch in Ägypten. Dann begann Riad, Iran in der Region die Flügel zu stutzen, indem es die »Achse des Widerstands« als »schiitischen Halbmond« bezeichnete, der sich von Teheran über Bagdad und Damaskus bis in den Libanon und nach Palästina erstreckte. Die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran nahmen enorm zu, als sich Teheran 2013 mit der jemenitischen Huthi-Bewegung verbündete und die Saudis, die zuvor den Jemen angegriffen hatten, selbst von Huthi-Raketen unter Beschuss genommen wurden. 2022 normalisierten Riad und Teheran ihre Beziehungen. Trotzdem sollten die Konflikte nicht enden. Schließlich war Saudi-Arabien nicht das erste Land, das die sektaristische Karte spielte.

 

Der Bürgerkrieg im Irak griff allmählich auf Syrien über, wo Diktator Baschar Al-Assad den Sektarismus nutzte, um einen Keil in die Opposition zu treiben. Innerhalb kürzester Zeit wurden dschihadistische Gruppen zur wichtigsten Oppositionskraft in Syrien. Und in Syrien wurde die »Achse des Widerstands« militärisch umgesetzt, da Teheran sich zur Verteidigung Assads auf internationale schiitische Freiwillige stützte, hauptsächlich Afghanen, Iraker und Südasiaten. Dieses Engagement fand im Dezember 2024 ein Ende, als das Assad-Regime stürzte und syrische Dschihadisten die Macht übernahmen. Der Verlust der Präsenz in Syrien war ein schwerer Rückschlag für Teheran und ein Sieg für die Türkei. Gleichzeitig flammten die Spannungen zwischen Iran und Israel auf, und viele in Tel Aviv waren der Meinung, das Regime in Teheran stehe kurz vor dem Sturz.

 

Trotzdem betrachteten die Israelis Gaza fast zwei Jahrzehnte lang als ein eingedämmtes Problem, fast als Nebenschauplatz

 

Aus israelischer Sicht war die Konfrontation mit Iran längst überfällig, da das iranische Regime die einzige Macht in der Region war, die sich auf die Seite des palästinensischen Kampfes stellte und gleichzeitig das Existenzrecht des jüdischen Staates in Frage stellte. Doch damit nicht genug: Ende der 1990er-Jahre distanzierte sich Premierminister Benyamin Netanyahu von der Zweistaatenlösung, nachdem radikale jüdische Siedler 1995 seinen Vorgänger Jitzchak Rabin getötet hatten. Israel sollte sich fortan nicht mehr in erster Linie mit den Palästinensern auseinandersetzen, sondern sich auf jene Regime in der Region konzentrieren, die deren Anliegen unterstützen. Für Israel waren die gestiegenen militärischen Kapazitäten von Teherans wichtigstem Verbündeten Hizbullah im Südlibanon äußerst beunruhigend. Nach einer militärischen Pattsituation im Jahr 2006 einigten sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand auf Grundlage der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates.

 

Dieser sah den vollständigen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon und die Verlegung des militärischen Flügels der Hizbullah nördlich des Litani-Flusses sowie die Entwaffnung aller Milizen vor. Der Waffenstillstand hielt fast zwei Jahrzehnte, obwohl keine der beiden Seiten die Resolution vollständig umsetzte. Er verschaffte dem Südlibanon Aufschub und Hoffnung und ermöglichte Nordisrael wirtschaftliches Wachstum. Dennoch machten die Einflussnahme der Hizbullah auf die libanesische Politik und die Beschaffung neuer, hochentwickelter Raketen durch Iran eine weitere Konfliktrunde unvermeidlich.

 

Anfang der 2000er-Jahre löste sich die Zweistaatenlösung trotz der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) langsam auf. Die Wahlen 2006 brachten einen Sieg der Hamas, den Israel und die internationale Gemeinschaft nicht anerkannten. Dies führte zu einer Pattsituation zwischen der Hamas und der PA und einer Intervention der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen, den die Israelis im Jahr zuvor geräumt hatten. Dadurch wurden das von der PA kontrollierte Westjordanland und der von der Hamas kontrollierte Gazastreifen getrennte Einheiten, da die Israelis Gaza mit modernen Sperrmauern und modernster Überwachungstechnologie hermetisch abriegelten. Im Laufe der Jahre wurde Gaza zum Zufluchtsort aller radikalen bewaffneten Gruppen, wobei die Kassam-Brigaden der Hamas und die Quds-Brigaden des PIJ die wichtigsten waren. Trotzdem betrachteten die Israelis Gaza fast zwei Jahrzehnte lang als ein eingedämmtes Problem, fast als Nebenschauplatz.

 

Für Israel ist das Westjordanland von größter Bedeutung, da Israelis und Araber dort Seite an Seite leben und sich daher gegenseitig brutaler schaden können. Dies war ein Grund, warum Israel die Wohngebiete der einheimischen Palästinenser mit Mauern voneinander abschottete, ein anderer Grund war der Versuch, die Entstehung eines zusammenhängenden palästinensischen Territoriums zu verhindern, das als materielle Grundlage für einen zukünftigen Staat Palästina dienen könnte. Die Konfliktdynamik im Westjordanland ist aufgrund der Symbolik biblischer heiliger Stätten komplizierter, was territoriale Kompromisse sehr schwierig macht.

 

Das Westjordanland ist zudem die Heimat der radikalen israelischen Siedlerbewegung, deren Mitglieder Palästinenser unerbittlich angreifen und enteignen und nicht davor zurückschrecken, israelische Sicherheitskräfte und Politiker nach eigenem Ermessen zu konfrontieren. Obwohl sie in der israelischen Gesellschaft insgesamt eine Minderheit darstellten, schafften sie es erfolgreich in den politischen Mainstream und wurden 2020 zu wichtigen Partnern von Premierminister Netanyahu. Die Lage im Westjordanland war nie ruhig, auch wenn sie zumindest in den westlichen Medien nicht oft Schlagzeilen machte. Die Krise verschärfte sich ab 2022 und zwang den israelischen Sicherheitsapparat, seine Präsenz zu verstärken und seine Aufmerksamkeit auf das Westjordanland zu richten – zum Nachteil Gazas.

 

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass jemand außerhalb eines begrenzten Kreises in Gaza, einschließlich der Hamas-Führung in Katar, detaillierte oder allgemeine Vorkenntnisse zum 7. Oktober hatte

 

Da Israel sich auf das Westjordanland konzentrierte, intensivierten die Hamas und ihre militanten Verbündeten ihre Vorbereitungen für einen Ausbruch. Mohammad Deif, der Führer der Kassam-Brigaden, und Yahya Sinwar, der Hamas-Führer in Gaza, formulierten die strategische Vision, entwickelten das operative Konzept und leiteten die taktische Planung. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass jemand außerhalb eines begrenzten Kreises in Gaza, einschließlich der Hamas-Führung in Katar, detaillierte oder allgemeine Vorkenntnisse hatte, da Israel und seine Verbündeten die gesamte Kommunikation von Aktivisten in Gaza mit der Außenwelt überwachten. Sinwar und Deif profitierten indirekt von den jahrzehntelangen Kriegen in der Region, da sie neu entwickelte militärische Fähigkeiten wie den Einsatz und die Produktion von Drohnen, hochentwickelte Kommunikations- und Überwachungstechnologie und dergleichen erlernen und übernehmen konnten.

 

Technisch gesehen war der 7. Oktober sorgfältig geplant und gut durchgeführt, doch die anschließende Geiselnahme brachte mehrere gut dokumentierte, grausame Menschenrechtsverletzungen seitens der palästinensischen Angreifer mit sich. Die Gesamtstrategie war jedoch zutiefst fehlerhaft. Sinwar, der Jahrzehnte in israelischen Gefängnissen verbracht hatte und zusammen mit mehr als 1.000 anderen palästinensischen Gefangenen im Austausch gegen eine einzige israelische Geisel freigelassen wurde, glaubte, er könne dies mit 1.000 israelischen Geiseln wiederholen und die israelische Regierung anschließend ein Zugeständnis nach dem anderen zwingen. Doch keine israelische Regierung konnte eine Situation akzeptieren, die die Erpressung der gegenwärtigen und zukünftigen Regierungen ermöglichte. Höchstwahrscheinlich interpretierte Sinwar, der fließend Hebräisch sprach, die weit verbreiteten israelischen Proteste gegen Netanyahu als ersten Vorboten des Endes seiner Regierung und machte die Erpressung des Staates Israel damit noch einfacher.

 

Als wahrer Revolutionär erwartete er, dass die Bevölkerung von Gaza den Widerstand durch ihr Opfer unterstützen würde. Daher nahm er zivile Opfer bereitwillig in Kauf, obwohl er die Reaktion Israels nicht erwartet hatte. Auf israelischer Seite wusste Netanyahu, dass die Konzentration auf die Geiseln die Regierung dauerhaft unter Druck setzen würde. Das gab ihm auch die Gelegenheit, Entschlossenheit zu zeigen und seine radikalen Koalitionspartner zu besänftigen. Daher wählte er religiöse Sprache, als er die Operation gegen die Hamas in Gaza ausrief und rechtfertigte, die schon früh international für ihre Brutalität kritisiert wurde. Netanyahus Koalitionspartner scheuten sich nicht, nicht nur die vollständige Zerstörung und Auflösung der Hamas zu fordern, sondern auch die Vertreibung der gesamten Bevölkerung aus Gaza und ihre Umsiedlung an einen anderen Ort.

 

Die israelische Führung reagierte rasch im Libanon und in Syrien und tötete hochrangige Milizionäre und iranische Offiziere. Ein solcher Angriff ereignete sich am 1. April 2024 auf die iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dabei wurden 16 Menschen getötet, darunter iranische Geheimdienstoffiziere, Generäle der Revolutionsgarde, syrische Beamte und schiitische Milizenführer, die sich zu Strategiebesprechungen trafen. Als Reaktion darauf revanchierte sich Iran mit einem Raketen- und Drohnenangriff auf Israel.

 

Dabei wurden keine Menschen getötet, Teheran behauptete jedoch, wichtige militärische Ziele getroffen zu haben, während Israel den Erfolg seiner Raketenabwehrsysteme und seiner Luftangriffe auf iranische Ziele betonte. Wenige Monate später töteten die Israelis den Hamas-Führer Ismail Haniye bei einem äußerst demütigenden Angriff in Teheran.

 

Israel und Iran haben ihre militärischen Fähigkeiten und ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt, doch beide Seiten warten auf die nächste Runde

 

Dann griff Iran im Oktober 2024 Israel an, angeblich als Vergeltung für Israels Pager-Angriff auf Hizbullah-Kader im Libanon und die Tötung Nasrallahs und seines Nachfolgers im September 2024. Schließlich, etwa ein halbes Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien, griff Israel am 12. Juni Iran an. Der Angriff erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich Iran und die USA auf eine weitere Verhandlungsrunde über das iranische Atomprogramm vorbereiteten. Viele in Israel betrachten Fortschritte bei den Verhandlungen oder sogar deren erfolgreichen Abschluss als problematisch, da sie befürchten, leichtgläubige US-Unterhändler könnten dem erfahrenen und gut vorbereiteten iranischen Verhandlungsteam zu viel Zugeständnisse machen. Unter den über tausend Opfern, etwa die Hälfte davon Zivilisten, waren auch eben jene iranischen Atomunterhändler.

 

Israels dreister Angriff traf die Iraner unvorbereitet. Einigen Berichten zufolge fühlte sich Teheran so sicher, weil es die nächste Verhandlungsrunde mit den USA vorbereitete. Militärisch griff Israel erfolgreich mehrere Atomanlagen und Militäreinrichtungen an, darunter Luftabwehreinheiten und Gebirgseinheiten in Lorestan, offensichtlich um kurdischen Aufständischen den Weg freizumachen, über Irakisch-Kurdistan nach Iran einzudringen. Israel setzte erfolgreich mehrere Sabotagegruppen ein, die aus der unzufriedenen und frustrierten Bevölkerung des Landes rekrutiert wurden, darunter mindestens ein Atomwissenschaftler. Besonders bemerkenswert ist, dass es Israel gelang, die iranische Militärführung auszuschalten, Präsident Masoud Pezeshkian beinahe zu töten und den Obersten Führer in den Untergrund zu zwingen.

 

Viele im Westen und in Israel glaubten, ein Enthauptungsschlag dieser Größenordnung würde die iranische Jugend ermutigen, sich zu erheben und das Regime zu stürzen. Netanyahu persönlich sinnierte über die Chance des iranischen Volkes, das Regime zu vertreiben, und sprach öffentlich davon, den Obersten Führer Ali Khamenei zu töten. Wenn der Regimewechsel und nicht die Einstellung des Atomprogramms das Hauptziel der Operation war, dann scheiterte sie. Denn die Iraner, entsetzt über die zivilen Opfer, waren in der Ablehnung des Kriegs vereint, ungeachtet ihrer Verachtung für das Regime. Auch die Drohung gegen Khamenei war unklug, da die höchste schiitische Autorität im irakischen Nadschaf, Großayatollah Ali Sistani, eine Erklärung zu Khameneis Verteidigung abgab und ihn als gleichwertig anerkannte, was er zuvor zeitlebens vermieden hatte.

 

Militärisch feierten die Iraner den Erfolg ihrer Raketen, die in Israel tatsächlich schweren Schaden anrichteten. So beeindruckend die iranischen Angriffe auch sein mögen, sie würden Israel weder destabilisieren noch demoralisieren. Es wird viel darüber diskutiert, ob die iranischen Angriffe Israels Raketenabwehrraketen dezimierten und ob die Israelis tatsächlich in der Lage waren, Irans Atom- und Raketenprogramm erheblich zu schädigen. Dasselbe gilt für den US-Angriff auf iranische Atomanlagen und den iranischen Gegenangriff auf den US-Stützpunkt in Katar. In beiden Fällen kam niemand zu Schaden, da die Iraner behaupten, ihre Anlagen zuvor evakuiert zu haben. Israel und Iran haben ihre militärischen Fähigkeiten und ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt, doch beide Seiten warten auf die nächste Runde.

 

Nach dem Ende der israelisch-iranischen Feindseligkeiten rückten die Fortsetzung der Militäroperationen im Gazastreifen und die Geiselfrage erneut in den Vordergrund. Unterdessen stieg der internationale Druck auf Israel: Mehrere wichtige Länder sprachen sich für die diplomatische Anerkennung eines unabhängigen Staates Palästina aus, Israel wurde des Völkermords beschuldigt.

 

Obwohl sich alles geändert hat, ändert sich nichts an den strategischen Aussichten für die Region

 

Dennoch tat Netanyahu, was er konnte, um sein Versprechen einzuhalten, die gesamte Führung der Hamas zu eliminieren, und befahl am 9. September 2025 einen Angriff in Doha. Trotz sechs Todesopfern scheiterte die Operation mit diesem Ziel. Die diplomatischen Folgen waren zunächst gravierend, da alle arabischen Länder ihre Solidarität zum Ausdruck brachten und Israel scharf kritisierten. Ägypten beispielsweise bezeichnete Israel zum ersten Mal seit Jahrzehnten als Feind. Darüber hinaus kündigte Kairo gemeinsame, angeblich gegen Israel gerichtete Seemanöver mit der Türkei an. Schließlich trafen sich hochrangige Verteidigungsbeamte aus Saudi-Arabien mit ihren iranischen Kollegen und schlossen dann einen neuen Verteidigungspakt mit Pakistan.

 

Auf den ersten Blick war Israel sehr isoliert, insbesondere als es der Türkei mit einem Militärschlag wie gegen Katar drohte, sollte Ankara weiterhin hochrangigen Hamas-Mitgliedern Unterschlupf gewähren. So bemerkenswert diese Schritte auch sind, sie schufen nicht das antiisraelische Bündnis, das sich viele in der Region erhofft hatten. Zweifellos hat Israels Angriff auf Katar das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen zerstört und ist für die USA eine Blamage, die ihre Rolle als Hegemonialmacht und primärer Sicherheitsgarant in Frage stellt.

 

Darüber hinaus hofften viele Staaten in der Region, dass die Israelis die Hamas in kurzer Zeit erledigen würden, und müssen sich nun mit der neu gewonnenen Glaubwürdigkeit der Organisation als Widerstandskraft auseinandersetzen, ungeachtet ihrer Verantwortung für die Eskalation. Schließlich war und ist die Hamas bereit, mit Katar und den USA über die Geiseln zu verhandeln. Die Hamas kann nicht abgeschrieben werden, selbst wenn es Israel gelingt, eine eigene Lösung für Palästina durchzusetzen und separate Kantone zu errichten, die von verbündeten arabischen Clans dominiert werden, die wiederum mit den israelischen Sicherheitskräften kooperieren.

 

Mit anderen Worten: Obwohl sich alles geändert hat, ändert sich nichts an den strategischen Aussichten für die Region: Iran bleibt isoliert, in der Region und international. Afghanistan und Syrien stehen dem schiitischen Regime in Teheran offen feindlich gegenüber. Der UN-Sicherheitsrat stimmte am 19. September gegen eine Lockerung der Sanktionen, was eine Wiedereinführung innerhalb des nächsten Monats wahrscheinlich machte. Die Aktivierung des Snapback-Mechanismus ist der Startpunkt einer diplomatischen und politischen Eskalation, die letztlich in einer massiven US-Intervention enden wird. Netanyahu ist seinem Ziel, alle Regime, die den palästinensischen Widerstand unterstützen, zu lähmen oder zu zerstören, näher gekommen. Oder vielleicht auch nicht, denn weder in den USA noch in Israel ist der Wille zur Fortsetzung des Krieges in der Bevölkerung groß. Und selbst der Sturz des iranischen Regimes würde den palästinensischen Widerstand nicht beenden. Anders gesagt: Ein schneller militärischer Sieg und politische Dominanz werden weder Frieden noch totale Kontrolle bringen, da ihnen jede positive Vision für die Region fehlt.

 

Somit bleiben die Abraham-Abkommen die einzige Option. Die von den Vereinigten Arabischen Emiraten geförderten und von Saudi-Arabien und dem Westen unterstützten Abkommen sollten einerseits Israel integrieren, gleichzeitig aber ihre Beziehungen zu Iran verbessern. Daher die Vision eines wirtschaftlich leistungsfähigen arabischen Landes, das Iran und Israel verbinden und sie vorsichtig in Richtung Koexistenz drängen kann. Aus iranischer und israelischer Sicht ist dies vielleicht nicht das gewünschte Ergebnis, doch beide Seiten stecken fest, keine kann wirklich einen Sieg für sich beanspruchen. Früher oder später muss Israel erkennen, dass es nicht alle Bewohner des Gazastreifens vertreiben kann und den Dauerkrieg beenden muss, während Iran vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und einer dysfunktionalen, wenn nicht gar zerfallenden Staatsführung steht.

Von: 
Walter Posch

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