Martin Schäuble ist zu Fuß durch Israel und Palästina gelaufen und hat seine Begegnungen mit den Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan aufgeschrieben. Das Ergebnis ist so faszinierend, dass man selbst die Schuhe schnüren möchte.
Der LKW transportiert süße Kartoffelchips, fährt von Tel Aviv über Modi’in nach Jerusalem und im Radio läuft U2. Frontsänger Bono fragt singend: »Have you come here to play Jesus?« Nein, soweit will es Martin Schäuble dann doch nicht treiben. Vielmehr hat er sich aufgemacht, um Israel und Palästina zu erkunden. Zu Fuß. Vorbei an Schaufenstern ultraorthodoxer Kinderspielzeugläden, die den Modelbaukasten des »Dritten Tempels« feilbieten, durch das hippe Tel Aviv mit seiner Bauhaus-Architektur und dem Rothschild-Boulevard ebenso wie durch die verwinkelten und mit verblichenen Märtyrerpostern gespickten Gassen von Nablus.
Schäuble berichtet ausgewogen von den Menschen, denen er während seiner Reise auf beiden Seiten der Grenze begegnet ist. Von Einwanderern aus allen Herren Ländern und Alteingesessenen, Juden, Muslimen und Christen sowie Menschen, die Religion für »Abrakadabra« halten. Er lernt den »palästinensischen Domian« von Radio Jericho kennen, ebenso wie Siedlerkinder aus Kiryat Arba; Soldaten am Grab von Jassir Arafat in Ramallah, die über Adolf Hitler diskutieren, oder kiffende Architekturstudenten auf den Golanhöhen; eine Familie, deren Sohn sich als 17-Jähriger für die Al-Aqsa-Brigaden in die Luft sprengte und sieben Israelis tötete und gleichsam den Schriftsteller David Grossman, dessen Sohn im Zweiten Libanonkrieg gefallen ist.
Schäuble hebt die alltägliche Normalität in dieser surreal anmutenden Gesellschaft hervor
Dazwischen kauft er überteuerte Dornenkronen in Jerusalem, in Bethlehem niederländisches Dosenbier Marke »Bavaria« mit 0,0 Prozent und hört in einer der vielen dauerhaft auf Eisschranktemperaturen runter gekühlten Shoppings Malls in Beerscheba Michael Jackson in Dauerschleife. Er beschreibt die nächtliche Armenspeisung im Tel Aviver Stadtteil Neve Scha’anan ebenso wie die finanziell frustrierte Mittelschicht, die zwischen Himmel und Hölle immer mehr ins Taumeln gerät. Sein Reisebericht »Zwischen den Grenzen.
Zu Fuß durch Israel und Gaza« ist kurzweilig, detailgetreu – und unterscheidet sich von der hiesigen Berichterstattung über Israelis und Palästinenser besonders durch das Hervorheben der alltäglichen Normalität in diesen surreal anmutenden Gesellschaften ab, die durch Krisen und Kriege traumatisiert sind. Schäuble bedient keine Klischees, versucht Schwarz-Weiß-Denken zu vermeiden und lässt so ein Bild in leuchtenden Graustufen- und Schattierungen vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen, das die reale Komplexität widerspiegelt; mal witzig, mal traurig, mal schockierend – aber eines nie: langweilig. Weder für diejenigen, die es noch nie in den Nahen Osten geschafft haben, noch für die, die Schäubles Wege aus eigener Erfahrung kennen.
Zwischen den Grenzen
Zu Fuß durch Israel und Gaza
Martin Schäuble
Hanser Verlag, 2013
224 Seiten, 17,90 Euro