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Die neue Bundesregierung, der Gaza-Krieg und die Zweistaatenlösung

Wie hält es Wadephul mit dem Nahostkonflikt?

Feature
Die neue Bundesregierung, der Gaza-Krieg und die Zweistaatenlösung
GPO/Kobi Gideon

Zum ersten Auslandsbesuch außerhalb Europas besuchte Johann Wadephul am vergangenen Wochenende Israel. Welchen Aufschluss seine Reise und seine bisherige politische Tätigkeit über die Haltung der Bundesregierung zu Zweistaatenlösung und Gaza-Krieg gibt.

Mit Johann Wadephul ist ein erfahrener Sicherheitspolitiker in das Kabinett von Friedrich Merz berufen worden. Auch wenn seine Person über Fachkreise hinaus bisher kaum im Fokus der medialen Öffentlichkeit stand – auf außen- und sicherheitspolitischer Bühne ist der Jurist kein Neueinsteiger. Für die CDU/CSU bekleidete der 63-Jährige zuletzt den stellvertretenden Vorsitz für die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik. Auch als ehemaliger Vize der parlamentarischen Versammlung der NATO gilt Wadephul als außenpolitischer Experte in der Fraktion. Was das für den Nahen Osten heißt, zeigte Wadephul direkt in der ersten Amtswoche bei seiner Auslandsreise in die Region nach Israel.

 

»Die Monstrosität der Shoa wurde in deutscher Sprache befohlen, von Deutschen geplant, von Deutschen ausgeführt«, liest Wadephul am 11. Mai im Yad Vashem, der israelischen Gedenkstätte an den Holocaust aus seinem Eintrag vor. Es liege in seiner Verantwortung, »entsprechend den Lehren aus dem Menschheitsverbrechen der Shoah zu handeln.« Dazu gehöre nicht nur der gemeinsame Kampf gegen den Antisemitismus, sondern auch eine »Gestaltung der Zukunft auf Basis der unteilbaren Menschlichkeit.«

 

Worte, die den Balanceakt der neuen Bundesregierung auf den Punkt bringen – nicht nur rhetorisch. Auch beim Einhalten von Protokollen, bei Staatsbesuchen und diplomatischen Interaktionen müssen sich Merz und Wadephul um die Schwierigkeit ihres Unterfangens bewusst sein. Oder wie es Friederich Merz im ARD-Brennpunkt am Tag seiner Kanzlerwahl ausdrückte: »Israel bereitet uns größte Sorgen.«

 

Und so findet Wadephul auch klare Worte für den israelischen Partner. »Ich bin nicht sicher, ob so alle strategischen Ziele Israels erreicht werden können, ob dies langfristig der Sicherheit Israels dient«, mahnt er auf einer Pressekonferenz mit seinem israelischen Amtskollegen Gideon Sa'ar am ersten Tag seiner Reise und bezieht sich damit auf Israels Krieg im Gazastreifen. Die langfristige Perspektive, die Wadephul bereits in einer Pressemitteilung kurz vor Antritt seiner Reise zeichnet, sei nach wie vor die Zweistaatenlösung. Die Frage, mit welchen diplomatischen Mitteln dieses Ziel erreicht werden kann, lässt die neue Bundesregierung unbeantwortet.

 

Dass Deutschland Frankreichs Kurs folgt, ist unwahrscheinlich, betonte Wadephul auf der Pressekonferenz am 11. Mai

 

Dabei böte sich im kommenden Monat eine Gelegenheit, einen Schritt in diese Richtung zu gehen. Dabei müsste Deutschland noch nicht mal eine Führungsrolle einnehmen – was auf internationalem Parkett ohnehin kaum jemand von der Bundesrepublik erwartet. Stattdessen könnte sich die neue Bundesregierung seinen wichtigsten Partnern in Europa anschließen, mit den Kanzler Merz ohnehin am vergangenen Wochenende tagte. Im Juni möchte Emmanuel Macron auf der New Yorker UN-Konferenz für die Zweistaatenlösung Palästina als Staat anerkennen. Dass Deutschland Frankreichs Kurs folgt, ist unwahrscheinlich, betonte Wadephul auf der Pressekonferenz am 11. Mai. Die Aussicht auf eine Zweistaatenlösung dürfe »nicht verbaut werden – weder durch Siedlungsbau noch durch vorzeitige Anerkennung eines Palästinenserstaates«, argumentierte der Außenminister.

 

Der Widerspruch, den Wadephul damit zwischen der Anerkennung des Staates und einer perspektivischen Zweistaatenlösung herstellt, droht die Bundesrepublik im Nahostkonflikt weiter global zu isolieren. Der Spagat untergräbt zudem das ohnehin die angeschlagene Glaubwürdigkeit, das Völkerrecht zu achten. Dessen Grenzen definierte Wadephul selbst bereits Mitte Februar auf dem Portal abgeordnetenwatch.de. Auf Nachfrage zur israelischen Kriegsführung in Gaza antwortete er: »Gleichzeitig nehmen wir zur Kenntnis, dass die Anwendung des Kriegsvölkerrechts an Grenzen stoßen kann, wenn sich Hamas-Terrorstrukturen gezielt und bewusst in dicht besiedelten Gebieten befinden.« Und auch hinsichtlich des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Premier Netanyahu übernimmt der Außenminister die Linie von Friedrich Merz: Ende November stellte er ebenso wie der CDU-Spitzenkandidat einen Tag nach der Bundestagswahl im Februar klar, er könne sich nicht vorstellen, dass der »demokratisch gewählte Ministerpräsident des Staates Israel auf deutschem Boden festgenommen wird.«

 

Dabei ging Wadephul im Herbst vergangenen Jahres selbst vermehrt auf die Kriegsführung der israelischen Streitkräfte und den Zusammenhang mit der Zweistaatenlösung ein. In einem Interview mit dem Radiosender rbb24 Inforadio im September beklagte er zu wenig Initiative zur Deeskalation seitens der israelischen Führung: »Was diese Regierung derzeit dort macht, ist eine Politik, die für uns wirklich schwer nachzuvollziehen ist.« Im Oktober sagte er im ZDF-Morgenmagazin, Israel müsse sich »ans Völkerrecht halten« und zur Lage in Gaza: »Es ist grausam, was dort passiert.« In einer Bundestagsrede etwa eine Woche später wiederum positionierte er sich eindeutig zum umstrittenen Thema Waffenlieferungen: »Wenn es diese Lieferverzögerungen gegeben hat, wenn es diese Blockaden der Erlaubnisse von Waffenexporten gegeben hat, dann haben sie sich gegen diese Zusage an Israel versündigt.« Anfang des Jahres argumentierte Wadephul auch in einem Gastbeitrag für die Körber-Stiftung, dass Deutschland Israel niemals Waffen zur Selbstverteidigung verweigern dürfe.

 

Saudi-Arabien bezeichnete er damals als einen »Stabilitätsanker im Nahen Osten«, der ein wichtiger Partner Deutschlands in der Region bleibt«

 

In eine ähnliche Kerbe schlug der damalige Oppositionspolitiker beim Thema Waffenstillstand. Als sich die Deutschland bei der Abstimmung über eine Feuerpause im Gaza-Krieg Ende Oktober 2023 enthielt, sprach Wadephul gegenüber der Süddeutschen Zeitung von einer »schweren Fehlentscheidung« und sagte, man hätte »die israelischen und amerikanischen Partner damit regelrecht im Stich gelassen«.

 

Für eine Lösung des Nahostkonflikts, die er in einer Pressemitteilung vom Mai 2021 als »zentrale Aufgabe für die internationale Diplomatie« bezeichnet hatte, setzt Wadephul auf Partner in der arabischen Welt. Zu Amtsantritt machte Wadephul dann auch deutlich, inwiefern er sich dabei von seiner Vorgängerin Annalena Baerbock unterscheidet. So sprach er von »grundnüchterner Prioritätensetzung« als Maxime des außenpolitischen Handelns – eine Abkehr von der wertegeleiteten Außenpolitik. Bereits 2016 betonte Wadephul nach einem Treffen mit einer Delegation von Wissenschaftlern und Politikern vom Golf zuvorderst die »guten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den Golfstaaten«. Saudi-Arabien bezeichnete er damals als einen »Stabilitätsanker im Nahen Osten«, der ein wichtiger Partner Deutschlands in der Region bleibt.« Tatsächlich hat auch Emmanuel Macron das Königreich als Schlüsselpartner in der Region für die anstehende New Yorker Konferenz zur Zweistaatenlösung auserkoren.

 

Insbesondere bei Vertretern des Königreichs, die seit Beginn des Gaza-Kriegs nicht nur hinter den Kulissen deutliche Worte zur israelischen Kriegsführung finden, sorgte Wadephul zuletzt jedoch für Unverständnis. Etwa beim Deutsch-Arabischen Golf-Dialog im Juni letzten Jahres in Berlin. Während des Redebeitrags des langjährigen Chefs des saudischen Auslandsgeheimdienstes Turki Al-Faisal soll der Außenpolitiker Teilnehmern zufolge mehrfach den Raum verlassen oder gelangweilt am Handy gehangen haben – die saudische Delegation empfand Wadephuls Auftreten als Affront und Ausdruck fehlender Ernsthaftigkeit, sich auf Augenhöhe gemeinsam für Fortschritte im Nahostkonflikt einzusetzen.

Von: 
Daria Bonabi

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