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Friedensdemonstration von Israelis in Berlin

»Es ist wichtig, unseren Stimmen Gehör zu verschaffen«

Feature
Friedensdemonstration von Israelis in Berlin

Was den Protest von Israelis in Berlin für einen Frieden in Gaza so besonders macht – und welche Erwartungen sie an die deutsche Außenpolitik richten.

Im Regierungsviertel der Hauptstadt sind die Temperaturen wieder unter den Gefrierpunkt gefallen. »Mir ist kalt«, konstatiert der aus Tel Aviv stammende Aktivist Nimrod Flaschenberg. Gegen 15 Uhr und damit eine Stunde früher als geplant endet die Demonstration der Gruppe »Israelis for Peace«. Zum zweiten Mal demonstrieren sie am 5. Januar vor dem Auswärtigem Amt und fordern unter anderem einen Waffenstillstand und intensivere diplomatische Bemühungen Deutschlands im Gaza-Krieg. Ihre Forderungen sind auf Hebräisch, Arabisch, Englisch und Deutsch auf weiße Schilder gedruckt. Landesflaggen sind ausdrücklich unerwünscht, jeder soll sich wohlfühlen können.

 

Die Berline Polizei prüft die Schilder genau. Anscheinend stand der Behörde mit knapp über 27.000 Mitarbeitenden dafür nur eine einzige Person zur Verfügung. Der Beamte kann Hebräisch zwar sprechen, aber augenscheinlich nicht lesen. Das verkompliziert die Angelegenheit etwas, doch der Prostest kann dennoch wie geplant stattfinden – inklusive Schilder. Die Sprechchöre und Redebeiträge sind zum großen Glück der Beamten auf Englisch. »Ceasefire Now!« oder »There is no military solution, only a diplomatic resolution« schallt es aus der circa 60 Personen starken Gruppe.

 

Forderungen, die für viele der Anwesenden weit mehr als griffige Slogans sind. Viele von ihnen haben selbst zahlreiche Militäroperationen und Kriege durchlebt, ohne dass sich die Situation nachhaltig verändert hat. Umso begründeter sind ihre Zweifel daran, dass dieser Krieg es nun richten wird. Stattdessen versuche die messianische Rechte aus dem Krieg politisch Profit zu schlagen, sind sie überzeugt. »Die Siedler nutzen unsere Trauer aus« bringt es ein Mitglied der Gruppe in einem Redebeitrag auf den Punkt.

 

Insgesamt zeigt sich der Mitorganisator zufrieden: »Die Demonstration verlief wie erwartet. Das mediale Interesse war groß.« Jahrelang war Flaschenberg in Israel politisch aktiv, leitete Kampagnen für die jüdisch-arabische und sozialistische Partei Hadasch. Zuletzt arbeitete er als Sprecher für die Knesset-Abgeordnete Aida Touma-Suleiman (ebenfalls Hadasch). konstatierte er: »Es ist logisch, dass ich das hier vor Ort bin«, findet er. »Wir alle verstehen die Situation auf eine mehr oder weniger ähnliche Art und Weise. Wir teilen eine Perspektive«, führt der Aktivist aus. »Und die beinhaltet, dass wir die israelische Gesellschaft kennen. Wir wissen, wie aus ihr geworden ist und welches Trauma sie durchlebt hat.«

 

Während sich der israelische Protest in Berlin zu formieren beginnt, ist er in Städten wie Tel Aviv bereits im vollen Gange

 

Trotzdem ist er überzeugt, dass gerade sie als Israelis Einfluss nehmen können. »Viele jüdische Stimmen in Deutschland sprechen über den Konflikt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven: Die einen unterstützen die Palästinenser, die anderen Israelis«, glaubt er. Der zentrale Unterschied zwischen besagten Stimmen und der Gruppe frierender Israelis vor dem Auswärtigem Amt: »Für viele von ihnen geht es nicht um dasselbe wie für uns. Wir kommen von dort, unsere Familien sind dort, Freunde wollen dorthin zurückkehren. Gerade deswegen ist es wichtig, unseren Stimmen Gehör zu verschaffen.«

 

Der Standort Berlin als Ort des Protestes ist ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt: »Deutschland hat ja eine besondere Verbindung zu Israel. Vielleicht kann man uns hier schlechter abwürgen als andere«, sagt Flaschenberger und spielt auf die im Kontext des Gaza-Krieges immer wieder verbotenen Demonstrationszüge an, die ähnliche Forderungen erheben. Und während sich der israelische Protest in Berlin zu formieren beginnt, ist er in Städten wie Tel Aviv bereits im vollen Gange. Rund 1.000 Menschen versammelten sich etwa am 28. Dezember in Tel Aviv und machten sich stark für einen Waffenstillstand und die Rückkehr der Geiselfrage auf die politische Agenda.

 

Die Forderungen der neu formierten Berliner Gruppe sind ebenso klar, wenn auch etwas leiser als auf anderen Demonstrationen – nicht nur weil das Megafon viel zu klein ist. Einseitige und bedingungslose Loyalitäten gegenüber Staaten oder Regierungen sucht man hier vergeblich. »Wenn Deutschland sich wirklich den Menschenrechten, der Diplomatie und nicht dem Krieg verpflichtet fühlt und gleichzeitig sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzten will, mit den Gräueltaten des 20. Jahrhunderts, dann muss es eine etwas andere Position beim Thema Israel und Palästina einnehmen«, glaubt Flaschenberg und beanstandet die aus seiner Sicht vorbehaltlose Unterstützung der Bundesregierung für Israel.

 

Seine Heimat sei »keine perfekte Demokratie in einem Dschungel aus Arabern«, wie Flaschenberg es formuliert. Auch gegen solche pauschalisierenden und entmenschlichenden Aussagen ist die Gruppe auf die Straße gegangen. Die »Villa im Dschungel« ist eine beliebte Metapher der israelischen Rechten. Der Gedanke dahinter: Israel kann aufgrund der Gefahren an seinen Grenzen nicht so handeln wie andere Demokratien in Europa. Dieses Argument wird dann genutzt, um eigentlich universell geltende Menschenrechte zu relativieren.

Von: 
Ignaz Szlacheta

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