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Medien und Kriegsführung in Gaza

Made in Gaza

Reportage
Medien und Kriegsführung in Gaza
Israelische Soldaten im Gazastreifen posieren mit Unterhosen und BHs, die aus palästinensischen Privatwohnungen stammen.

Zerstörung, Diebstahl und Erniedrigung: Israelische Soldaten veröffentlichen verstörendes Material von ihren Einsätzen. Steckt dahinter mehr als nur ein Mangel an Disziplin?

Ein lautes Motorengeräusch, am Horizont stürzen mehrere Gebäude ein, eine Explosion in einem Viertel von Gaza-Stadt. Dann eine Stimme: »Schujaiya gibt es nicht mehr! Nahal Oz, mit Gottes Hilfe wird es bald euch gehören!« Nahal Oz ist ein israelischer Kibbuz in der Nähe, die Stimme gehört einem israelischen Soldaten.

 

Es ist Dezember 2023 und in den sozialen Medien kursieren mehrere Videos, in denen Soldaten diese Explosion bejubeln. Drei dieser Clips wurden bei der Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen als Beweismittel vorgelegt und abgespielt. Südafrika wirft Israel in seiner Klage Verstöße gegen die Völkermordkonvention vor und bezieht sich dabei auch auf das Verhalten der Truppen in Gaza.

 

Videos von israelischen Soldaten sind auf Instagram, Telegram, X und TikTok leicht zu finden. Oft sollen sie wohl lustig wirken. Ein Clip zeigt einen Soldaten, der an eine Haustür klopft. Der Mann hinter der Kamera kommentiert: »Ich glaube, es ist niemand zu Hause. Woher ich das weiß?« Die Kamera schwenkt und man sieht, dass die Tür das Einzige ist, was von dem ansonsten zerbombten Gebäude übriggeblieben ist.

 

Ein weiteres Video, das ebenfalls häufig in den sozialen Medien geteilt wurde, stammt von Guy Hochman. Der in Israel bekannte Stand-up-Comedian diente als Reservist in Gaza. Eines seiner Videos zeigt eine Fahrt in einem Jeep über eine Sandpiste. Hochman ruft: »Seht euch den Strand an, seht euch die Promenade an. Das ist alles israelisches Gebiet! Ein anderes Armeefahrzeug taucht auf. Hochman jubelt: »Unsere Champions! Das israelische Volk ist stolz auf euch, liebt euch! Ihr seid Helden, passt auf euch auf und fickt sie!«

 

Darüber hinaus bedienen sich die Soldaten in vielen Clips an Gegenständen aus Privatwohnungen in Gaza

 

Der Fotojournalist Oren Ziv berichtete bereits im Februar über das Phänomen dieser von Soldaten in Gaza gedrehten Videos, er schreibt für das israelisch-palästinensische Kollektiv +972 Magazine. »Die Wahrnehmung der Palästinenser als Nicht-Menschen, auch im Westjordanland, ist seit Jahren ein großes Problem«, findet er. Palästinenser würden nur im Kontext von Konflikt und Gewalt gesehen. Am 7. Oktober 2023 hatte die Hamas in Israel mehr rund 1.200 Kinder, Frauen und Männer ermordet und mehr als 240 Geiseln genommen. Oren Ziv zeigt Verständnis für das Trauma nach diesem Ereignis. Nicht aber für die Rache, die er in den Videos der Soldaten erkennt.

 

Der israelische Journalist konzentriert sich in seinen Artikeln auf die Plünderungen, die in vielen Videos dokumentiert sind. Ein Beispiel: Ein Soldat wird dabei gefilmt, wie er eine silberne Halskette mit dem Unendlichkeitszeichen als Anhänger hochhält. Mit gekünsteltem arabischem Akzent sagt er »Made in Gaza« und tut so, als prüfe er die Echtheit. Sein Kamerad hinter der Kamera wendet sich an die Freundin des Soldaten, für die das Video bestimmt ist: »Schau mal, was er für dich mitbringt!«

 

Darüber hinaus bedienen sich die Soldaten in vielen Clips an Gegenständen aus Privatwohnungen in Gaza. Dabei handele es sich offenbar nicht unbedingt um die Häuser von Hamas-Funktionären, sondern von Zivilisten, analysiert Oren Ziv. Er habe mit Soldaten hinter den Videos gesprochen. Einige hätten sich als politisch links bezeichnet. Für Ziv ein Indiz für die Normalisierung von Fehlverhalten in der israelischen Armee.

 

Puppen, Schulhefte und bunte Aufkleber fliegen durch die Luft. Unterlegt ist das Video mit einer Version des Liedes »Am Israel Chai«

 

Ein anderes Beispiel: Ein Video zeigt einen Soldaten in einem teilweise zerstörten Kiosk in Jabaliya im Norden des Gazastreifens. Er hält eine Schneekugel hoch und scherzt: »Eine Spieluhr für 250 Schekel«. Kurz darauf wirft er sie an die Wand, man hört das Glas zerspringen. Er dreht sich zum Regal neben sich, nimmt den nächsten Gegenstand heraus und zertrümmert ihn. Puppen, Schulhefte und bunte Aufkleber fliegen durch die Luft. Unterlegt ist das Video mit einer Version des Liedes »Am Israel Chai«. Ein beliebtes religiös-nationalistisches Lied, in dem es heißt: »Gott wacht über uns, wer kann uns schaden? Denn wir haben kein anderes Land, das Volk Israel lebt«.

 

Religion ist ein präsentes Element im Gaza-Krieg, meint Nir Avishai Cohen. Er war von Oktober bis Ende Dezember als Reservist im Einsatz. Aus Überzeugung, seine Heimat verteidigen zu wollen, war er unmittelbar nach dem 7. Oktober von einem Auslandsaufenthalt in den USA zurückgekehrt. Er war zu diesem Zeitpunkt in der Grenzregion im Süden Israels stationiert, wurde aber nicht im Gazastreifen selbst eingesetzt. Cohen hat vor einigen Jahren das Buch »Love Israel, support Palestine« geschrieben, in dem er die illegale militärische Besetzung des Westjordanlandes durch Israel anprangert.

 

Auch die Gaza-Operation hat er anfangs unterstützt. »Nach dem 7. Oktober gab es keine Alternative«, meint er. Doch schnell habe er den Eindruck gewonnen, dass viele seiner Kameraden einen Religionskrieg zwischen Judentum und Islam führten und die Zivilisten in Gaza kollektiv für den Terroranschlag der Hamas verantwortlich machten. Als besonders entwürdigend empfindet Cohen Clips, in denen Soldaten mit Frauenunterwäsche posieren.

 

»Ich habe immer gesagt, dass Araberinnen die größten Schlampen sind«, scherzt ein israelischer Soldat in einem Video

 

In einem dieser Videos geht ein Soldat durch ein Schlafzimmer in einem Haus im Gazastreifen und präsentiert die Dessous, die er in den Schränken gefunden hat. »Ich habe immer gesagt, dass Araberinnen die größten Schlampen sind«, scherzt er. Auf anderen Fotos posieren Soldaten mit Unterhosen und BHs, die offenbar ebenfalls aus Privatwohnungen stammen. Cohen meint: Jeder Soldat, der Videos veröffentlicht, in denen er stiehlt, Zerstörung bejubelt oder palästinensische Zivilisten beleidigt, sollte aus der Armee ausgeschlossen werden. Er hält solche Videos für einen »moralischen Bankrott« – sowohl für das Militär als auch für die israelische Bevölkerung. Denn solche Inhalte würden von vielen Nutzern bejubelt und geteilt.

 

Israelische Medien berichten derweil kaum über die Videos aus Gaza. Ein Artikel auf der Website des Nachrichtensenders Keshet 12 sieht in den Clips vor allem ein Imageproblem: »Der Gebrauch von privaten Mobiltelefonen im Herzen des Kampfes in Gaza fügt der israelischen Hasbara enormen Schaden zu«, heißt es dort. Hasbara bedeutet auf Hebräisch »Erklärung«, meint aber Öffentlichkeitsarbeit für Israel. Der Autor des Artikels, Milàn Czerny, schreibt weiter, dass diese Videos von palästinensischen Accounts genutzt würden, um die Identität der Soldaten preiszugeben und ihnen mit Strafverfolgung zu drohen. Das würde sie letztlich in Gefahr bringen.

 

Und was sagt die israelische Armee selbst dazu? Eine der führenden Militäranwältinnen, Yifat Tomer-Yerushalmi, forderte in einem Brief vom Februar, »inakzeptables Verhalten, das von den Werten und Protokollen der Truppe abweicht«, zu benennen – und bezog sich dabei auf die Zerstörung und den Diebstahl von zivilem Eigentum in Gaza. Eigentlich sollten Soldaten ihre privaten Handys im Einsatz gar nicht benutzen. Das betont auch Armeesprecher Daniel Hagari. Es sei verboten zu filmen, wenn es nicht zur Mission gehöre.

 

Im Fernsehen werden das Leid der Zivilisten oder die Ausmaße der Hungerkatastrophe so gut wie nicht gezeigt

 

Nir Cohen und Oren Ziv glauben, dass solche Anweisungen vor allem unter Reservisten schwer durchzusetzen sind. Auf Nachfrage erklärt die israelische Armee, dass sie gegen die Urheber von Videos in sozialen Netzwerken disziplinarisch vorgeht, wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht. Die Militärpolizei, die für diese Strafverfolgung zuständig ist, habe in einigen der untersuchten Fälle unangemessenes Verhalten festgestellt und handele entsprechend.

 

Dennoch werden Videos dieser Art weiterhin veröffentlicht. Dass die Mehrheit der Israelis kein Problem mit den Clips zu haben scheint, hängt für Nir Cohen mit den Bildern zusammen, die in den heimischen Medien aus Gaza gezeigt werden. Das Leid der Zivilisten in Gaza oder das Ausmaß der Hungerkatastrophe würden im Fernsehen kaum gezeigt. Stattdessen werden Luftaufnahmen von zerstörten Häuserblocks gezeigt. Oder Material, das vom Militär selbst zur Verfügung gestellt wird.

 

Diese Bilder zeigen oft, wie die Armee Waffenlager und Infrastruktur der Hamas aushebt oder gefährliche Nahkämpfe in dicht besiedelten Gebieten führt. Cohen sieht einen großen Unterschied zwischen dem, »was die Welt über das Leiden in Gaza weiß, und der Gleichgültigkeit, mit der viele Israelis die Situation betrachten«. Er glaubt, dass ein Ende der Kämpfe nur durch die internationale Gemeinschaft erreicht werden kann. Cohen sagt, er würde sich für die Videos schämen – aber sie könnten dazu beitragen, den Druck auf Israel zu erhöhen, um den Krieg zu beenden.

Von: 
Pia Steckelbach

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