Israelische Soldaten verschleppen Ali Al-Samudi aus seinem Haus. Ohne Anklage, ohne Verfahren landet der palästinensische Journalist in sogenannter Verwaltungshaft. Was steckt dahinter?
Am 29. April 2025 um fünf Uhr morgens brechen israelische Soldaten durch die Eingangstür eines Wohnhauses in Jenin. Es dauerte nicht lange, bis sie bemerken, dass sie im falschen Block sind. Von einem Jungen in der Nachbarschaft lassen sie sich zu ihrem eigentlichen Ziel führen: dem Haus von Majd Al-Samudi. Denn hier hält sich gerade einer der bekanntesten palästinensischen Journalisten auf: Der Vater von Majd, Ali Al-Samudi. Der 58-Jährige berichtet seit Jahrzehnten aus seiner Heimatstadt Jenin und arbeitet regelmäßig mit Medien wie CNN, Al Jazeera und Reuters zusammen. Er gehört zu den Wenigen, die seit der Ermordung der Journalistin Shireen Abu Akleh im Jahr 2022 noch aus Jenin berichten.
Die Soldaten stürmen das Haus. Eine halbe Stunde dauert die Durchsuchung. Der befehlshabende Offizier, so erzählen es Samudis Sohn und sein Anwalt knapp drei Wochen später gegenüber zenith, habe dem an Diabetes leidenden Reporter lediglich gesagt: »Nimm deine Medikamente und komm mit.« Wieso weiß niemand – außer den Soldaten. Sie bringen ihn ins Erdgeschoss des Hauses. Dort muss sich Ali Al-Samudi bis auf die Unterwäsche ausziehen. Seine Brille darf er nicht mitnehmen. Mit gefesselten Händen und verbundenen Augen wird er abgeführt.
Die israelische Armee verweigert jegliche Auskunft, nicht mal die Kontaktaufnahme per Telefon gestatten die Militärbehörden den Angehörigen
Die israelische Armee bestätigt gegenüber des Palästinensischen Journalistenverbandes die Festnahme. In die Übersetzung des Statements ins Arabische schleicht sich ein Übersetzungsfehler: Das hebräische Wort für »Befragung« wird fälschlicherweise mit »Behandlung« übersetzt. Infolgedessen berichten Medien, darunter CNN, der Journalist sei ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Tatsächlich wird er allerdings in eine provisorische Verhörstation im Flüchtlingslager Jenin gebracht, das die israelische Armee vor wenigen Wochen komplett räumen ließ. 72 Stunden lang wird er dort gefoltert. Er erhält nur ein halbes Stück Brot und etwas Wasser täglich, gerade genug, um ihn am Leben zu halten. Nach drei Tagen wird er in das Gefängnis von Megiddo verlegt.
Ali Al-Samudis Familie ist zu diesem Zeitpunkt weiterhin im Glauben, er befinde sich in einem Krankenhaus – in welchem, wissen sie jedoch nicht. Die israelische Armee verweigert jegliche Auskunft, nicht mal die Kontaktaufnahme per Telefon gestatten die Militärbehörden den Angehörigen. Am 5. Mai erhält Alis Sohn Majd Al-Samudi schließlich einen Anruf aus dem Gefängnis Megiddo. Am Hörer ist sein Vater. In dem kurzen Gespräch berichtet der Journalist, dass er nie in ein Krankenhaus, sondern zum Verhör ins Flüchtlingslager von Jenin verbracht wurde. Es ist das letzte Mal, dass Majd Al-Samudi mit seinem Vater sprechen darf.
Bei Bedarf kann der Zeitraum immer wieder verlängert werden – eine zeitliche Obergrenze besteht nicht
Was Ali Al-Samudi vorgeworfen wird, wissen zu diesem Zeitpunkt weder er noch seine Familie. Am 6. Mai wird die unveröffentlichte Akte unter Ausschluss der Öffentlichkeit, des Beschuldigten und dessen Anwalt an das Militärgericht übergeben. Der Militärkommandeur der Region ordnet Verwaltungshaft gegen den Journalisten an. Eine Praxis, die es erlaubt, Menschen ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren und auf Grundlage vermeintlich sicherheitsrelevanter – und damit nicht einsehbarer – Informationen für unbegrenzte Zeit zu inhaftieren.
Im Westjordanland – anders als in Ost-Jerusalem oder Israel – ordnet das Militär Verwaltungshaft an. Die dort gültige »Verordnung über Sicherheitsbestimmungen« ermächtigt Militärkommandeure, eine Person für sechs Monate zu inhaftieren – bei Bedarf kann dieser Zeitraum immer wieder verlängert werden – eine zeitliche Obergrenze besteht nicht. Zwar muss jede Haftanordnung von einem Militärgericht formal bestätigt werden, doch laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem sind diese Verfahren kaum mehr als ein »juristischer Scheinakt«: Die meisten Anordnungen werden ohne Änderungen lediglich bestätigt. So auch im Fall Ali Al-Samudi.
Am 8. Mai unterzeichnet Eliezar Ben Aharon Lila, der Kommandeur der Region Judäa und Samaria, den Verwaltungshaftbefehl gegen Ali Al-Samudi. Auf dem Dokument steht geschrieben, dass »die Freilassung des Häftlings die öffentliche Sicherheit und/oder die Sicherheit der Region gefährden könnte.« Daher wird für Ali Al-Samudi vom 7. Mai bis zum 28. Oktober 2025 Verwaltungshaft angeordnet. »Dies erfolgt nach Durchsicht der sicherheitsrelevanten Informationen, die in meiner Überzeugung [des Kommandeurs] auf ein Sicherheitsrisiko hinweisen«, heißt es in der Anordnung.
»Es wird keine Anklage erhoben.« Ali Al-Samudi weiß, was das für ihn bedeutet: Verwaltungshaft
Da oftmals kein konkreter Tatbestand gegen die Inhaftierten vorliegt, basiert die Verwaltungshaft auf der Annahme, eine Person könnte in der Zukunft eine Straftat begehen. Diese präventive Logik erlaubt es, Menschen auf unbestimmte Zeit festzuhalten, ohne dass sie wissen, was ihnen konkret vorgeworfen wird. Denn die vermeintlichen Beweise bleiben – wie im Fall Ali Al-Samudi – meist nicht zugänglich. »Weil die Akten unter Verschluss bleiben und alles hinter geschlossenen Türen stattfindet, sind mir die Hände gebunden. Ich kann nichts anfechten, wenn es nichts zum Anfechten gibt«, berichtet Al-Samudis Anwalt Jamil Khatib.
Besuch war Ali Al-Samudi seit seiner Inhaftierung nur ein einziges Mal gestattet. Sein Anwalt Jamil Khatib darf ihm eine Nachricht übergeben: »Es wird keine Anklage erhoben.« Ali Al-Samudi weiß, was das für ihn bedeutet: Verwaltungshaft. In den kommenden Monaten wird er seine Familie weder sehen noch hören, denn Anrufe werden Personen in Verwaltungshaft nicht gestattet. Die ohnehin harten Haftbedingungen im Gefängnis Megiddo werden für Ali Al-Samudi durch einen besonders belastenden Umstand noch verschärft: Trotz ärztlicher Atteste, die die Dringlichkeit seiner Medikamente gegen Diabetes und Bluthochdruck betonen, wird ihm der Zugang dazu verweigert. In Abwesenheit von juristischen Optionen, Kontaktmöglichkeiten und medizinischer Versorgung bleiben Ali Al-Samudi und seiner Familie nur die Hoffnung, dass die Haftanordnung nach sechs Monaten nicht verlängert wird.
Die NGO »Legal Center for Arab Minority Rights in Israel« (Adalah) kritisiert die Praxis der Verwaltungshaft als »tief undemokratisch«: Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung würden politische Aktivisten und Journalisten wie Ali Al-Samudi von den israelischen Besatzungsbehörden gezielt zum Schweigen gebracht. Die Organisation spricht von einem »strukturellen Missbrauch der Anti-Terror-Gesetzgebung«, die nicht dem Schutz vor Gewalt, sondern der Einschränkung von Meinungsfreiheit diene. Ali Al-Samudi ist einer von 50 Journalisten, die seit dem 7. Oktober 2023 inhaftiert wurden – zwanzig von ihnen sitzen derzeit in Verwaltungshaft.