Die »Biennale Qalandyia International« verhandelte das Konzept der Solidarität. Angesiedelt inmitten des israelisch-palästinensischen Konflikts, gab es dazu einiges zu sagen.
Im hinteren Klassenraum des Obergeschosses der Lutherischen Schule, unweit der Erlöserkirche im christlichen Teil der Jerusalemer Altstadt, hängen zwölf großformatige Fotos gegenüber der Tür. Es geht um Grenzen, um limitierte Räume, um das Dazwischen, die Überlappungen, um Israel und Palästina. Zuerst ist nicht gleich klar, in welcher Zeit man sich befindet. Die Bilder wirken vertraut unvertraut. Ähnliche Fotos von Soldaten, Checkpoints und blockierten Straßen glaubt man zu kennen. Aus den Medien, dem Fernsehen, der Zeitung.
Aber dann tritt man etwas näher an die Fotos heran und stellt fest, dass die Fotos schon älter sein müssen. So sah der Checkpoint Qalandiya, den man gerade überqueren musste, um aus Ramallah in das eigentlich nur zehn Kilometer entfernte Jerusalem zur Vernissage zu fahren, doch gar nicht aus. Und man stellt fest, dass die Bilder eine eigene, über die dokumentarische Arbeit hinausgehende, Geschichte erzählen; von den Räumen in diesem zerklüfteten, archipelagisierten Land.
Wo steht der Betrachter in diesem Konflikt?
Die Fotos von Peter Riedlinger aus der Serie »Us/Them II« sind 2001 entstanden, aber sie wirken aus der Zeit gefallen. Man nimmt die verschiedenen Formen von Grenzen wahr, die die palästinensische Lebensrealität charakterisieren. Die Fotos sind über zehn Jahre alt und doch extrem aktuell, denn es geht in diesem Konflikt vor allem um das Land. Es geht aber auch um etwas anderes, worauf der Gegensatz des Titels unweigerlich verweist: um die Position des angeblich neutralen Betrachters. Wo stehen wir in diesem Konflikt?
Riedlingers Bilders wurden in der »Jerusalem Show« als Teil der »IV. Qalandiya International« gezeigt. Unter dem Titel »Jerusalem actual and possible« wurde die Show von Jack Persekian und Kirsten Scheid kuratiert. Gegenüber der Fotoserie hing eine alte Schultafel mit einer komplexen Kreidezeichnung von Yazan Khalili »Center of Life«, die die Zentralität und die Unerreichbarkeit Jerusalems thematisiert. Obwohl für Khalili wie für die meisten Palästinenser der Westbank nicht zugänglich, bleibt die Stadt ein zentrales Symbol des palästinensischen Selbstverständnisses.
Das alte Gebäude der Lutherischen Schule aus osmanischer Zeit steht normalerweise leer und war nun neben zwei Galerien zentraler Ausstellungsort der »Jerusalem Show«. Die Einrichtung schien nicht verändert, seitdem Kinder und Lehrer in der Schule das letzte Mal das Licht ausmachten. Nur dass jetzt Kunstwerke neben Weltkarten aus vergangenen Zeiten hingen. Wieder fragte sich der Betrachter nach seiner eigenen Position an diesem Ort zwischen den Zeiten. Welches Verhältnis hat das am Eröffnungswochenende größtenteils internationale Publikum zu diesem Ort?
Checkpoint, Flughafen, Flüchtlingslager
Die Biennale »Qalandiya International« wurde 2012 von neun palästinensischen Kultur- und Kunstinstitutionen ins Leben gerufen. Sie will die Komplexität und die Paradoxe der palästinensischen Lebens- und der künstlerischen Produktionsrealität diskutieren, in diesem Jahr unter dem Überthema »Solidarität«. In verschiedenen historischen Momenten unterschiedlich konnotiert und manchmal etwas verstaubt, verweist Solidarität heute vor allem auf finanzielle Unterstützung – für den palästinensischen Kontext nicht unproblematisch.
Die asymmetrische Beziehung zwischen dem Rest der Welt und den Palästinensern ist mehr als durch politische Unterstützung vor allem durch das Sicherstellen von Finanzströmen geprägt: für die Infrastruktur, die Wirtschaft, den Aufbau staatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen. Ist das vielleicht der Ort, an dem sich die Positionen der Betrachter mit denen der palästinensischen Künstler kreuzen?
Qalandiya ist der Name des zentralen Checkpoints, der Jerusalem und die Westbank trennt. Auf dem Weg von und nach Ramallah muss er überquert werden und wird durch lange Auto- und Menschenschlangen eingerahmt, die von der Laune der israelischen Soldaten abhängen. Doch die Biennale erwähnte auch den Bezug auf die vergessene Bedeutung Qalandiyas: der Flughafen Jerusalems, der nicht mehr in Betrieb ist, das gleichnamige Flüchtlingslager und die Mauer, die das Dorf heute teilt, sind Symbole der Fragmentierung und eröffnen doch gleichzeitig auch die Möglichkeit, den Ort anders, alternativ zu denken.
Die Biennale stellte den Versuch dar, wichtige palästinensische Partner im Rahmen eines Projektes zusammenzubringen. Das heißt, sich auf ein Thema zu einigen, Ressourcen zu teilen und durch eine gemeinsame Kommunikation eine größere Reichweite zu ermöglichen – etwas nie Dagewesenes in einem vergleichsweise kleinen Sektor, in dem alle um die gleichen begrenzten Mittel konkurrieren und Themenschwerpunkte eher von außen vorgegeben, als inhärent entwickelt werden.
In bewusster Auseinandersetzung mit dieser Realität entschied das Organisations-Konsortium, für die Biennale keine ausländische Förderung anzunehmen. Denn die finanzielle Unterstützung aus dem Westen ist mit Fallstricken verbunden, ist meist an bestimmte Themen und eine festgelegt Projektlaufzeit gebunden. Die »Qalandiya International« ist bereits jetzt in ihrer Größe und Reichweite einmalig. Inhaltlich stellt die Biennale einen Versuch dar, die Fragmentierung der palästinensischen Realität aufzuheben.
So fand das Programm von Anfang an verschiedenen Orten statt. Neben Jerusalem, Ramallah und Gaza werden in diesem Jahr Programmteile in den Golanhöhen, in London, Düsseldorf, Katar und den USA gezeigt. Damit wird auch der Versuch unternommen, die Trennung zwischen lokalem Publikum und internationaler Kunstszene zu überwinden.
»Qalandiya International« ist in der derzeitigen Situation der palästinensischen Kulturlandschaft ein Vorschlag für ein kollaboratives, nachhaltiges, lokales Gegenmodell zu internationalen projektbezogenen kurzfristigen Finanzierungen. Die Biennale ist ein Beispiel dafür, wie Kunst und Kultur andere Perspektiven gesellschaftlichen Engagements eröffnen können.