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Vorderasiatisches Museum und Ischtar-Tor

»Babylon ist immer«

Interview
Vorderasiatisches Museum und Ischtar-Tor
Staatliche Museen zu Berlin - Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer

Ende Oktober wird das Vorderasiatische Museum auf Jahre vollständig geschlossen. Direktorin Barbara Helwing über Museumsarbeit ohne Museum – und was die Restaurierung des weltberühmten Ischtar-Tors so schwierig macht.

zenith: Das Vorderasiatische Museum wird ab Oktober bis 2027 komplett geschlossen sein. Das Ischtar-Tor ist bis 2037 nicht zugänglich. Wie wird sich die Museumslandschaft verändert haben, wenn es wieder seine Pforten öffnet?

Barbara Helwing: In diesen Jahren wird sich sehr, sehr viel verändern. In der Zwischenzeit werden wir Interimsausstellungen vorbereiten. Wir versuchen, sichtbar zu bleiben und arbeiten mit Kollegen in den anderen Häusern zusammen, denen wir Exponate zur Verfügung stellen. Die können dann in einem ganz neuen Kontext vielleicht auch anders betrachtet werden. Zudem versuchen wir, zugänglicher zu werden. Wir wollen weg von diesem elitären Kunsttempel und der Perspektive auf die großen Könige und Reiche. Die verschiedenen Zwischenausstellungen geben uns dafür ein Experimentierfeld.

 

Zumal es sich um ein besonderes Gebäude handelt…

Das jetzige Hauptstockwerk weist eine fest eingebaute, schwere, großformatige Architektur auf. Diese Anordnung und auch das Museumskonzept, das der damalige Direktor Walter Andrae (1875-1956) in den späten 1920er Jahren entworfen hatte, ist selbst bereits ein Denkmal. Es bietet ein immersives Erleben, das man in anderen großen Museen, einschließlich des Louvre oder British Museum, in dieser Form überhaupt nicht kennt. Es ermöglicht dem Betrachter das Eintauchen. Das ist damals ein genialer Gedanke gewesen, den wir auch weiterverfolgen werden. Er ist zu gut, um ihn aufzugeben.

 

Und in der langen Zwischenzeit: Wie macht man Museumsarbeit ohne ein Museum?

Wir planen etwa ein neues Panorama zum Thema Babylon. Wir werden zudem ein paar Hundert Meter weiter in einem temporären Gebäude ausstellen. Einschränkungen bleiben natürlich nicht aus. Nicht jedes Objekt kann an dem Standort ausgestellt werden, weil die Temperaturvorgaben nicht so eingehalten werden können wie in einem richtig gut ausgestatteten und klimakontrollierten Museum.

 

Mit welchen Neuerungen wollen Sie experimentieren?

Wir wollen dieses bequeme, traditionelle Sehen aufbrechen und damit auch signalisieren: Jetzt versuchen wir etwas Neues. Wir haben den Künstler Liam Gillick dazu eingeladen, sich mit dem Museum zu beschäftigen. Er arbeitet mit Lichtprojektionen und Sound. Ein Beispiel: eine Projektion von alten Schwarz-Weiß-Fotos von Ausgrabungen um die vorvergangene Jahrhundertwende, wo wir Grabungsarbeiter sehen, deren Beitrag normalerweise eben nicht sichtbar ist. Solche Perspektiven möchten wir aufgreifen. Natürlich kann man es nie allen recht machen und nicht allen werden diese Ansätze gefallen.

 

Vorderasiatisches Museum und Ischtar-Tor
Lichtinstallation des britischen Künstlers Liam Gillick Jacopo La Forgia

 

Sie präsentieren den mobilen Teil der Exponate zum ersten Mal in einem neuen Kontext, wo sie erstmals völlig anders wirken können. Und Ihnen steht zusätzlich das Museum selbst als Exponat zur Verfügung.

Genau. Im Moment ist das Museum praktisch ein Rundgang durch die Architekturen der Alten Welt. Das wird auch später wieder so sein. Wir werden in der temporären Ausstellung einzelne Fragen stellen: In welcher Weise hat man die Stadt Babylon wahrgenommen, bevor sie ausgegraben wurde und auch danach – insbesondere hier an unserem Standort? Berlin stilisiert sich ja auch gerne zu einer Art Babylon. Ein Beispiel: Von den Rekonstruktionsarbeiten der Palastfassade von Babylon waren moderne Nachbrandkacheln übrig. Die finden wir heute am Bahnhof Klosterstraße – Babylon ist quasi immer auch in Berlin. Wir wollen gerne diese Rezeption alter Themen beleuchten, sie natürlich auch ein bisschen hinterfragen und schauen: Was lernen wir heute daraus?

 

Was lernen Sie von den Reaktionen von Besuchern aus dem Nahen Osten auf das altorientalische Erbe in Ihrem Museum?

Als eindrucksvoll empfinde ich immer wieder die Reaktion von Menschen, die als Geflüchtete nach Berlin gekommen sind. Die Initiative »Multaka: Begegnungen im Museum« brachte 2016 bis zu 50 Geflüchtete zusammen, die als Museums-Guides ausgebildet wurden und jetzt Führungen in arabischer und persischer Sprache anbieten. Sie sehen das Museum als eine Art sicheren Ort. Viele Fragmente sind in einem sehr sorgfältigen Restaurierungsprozess wieder zusammengesetzt worden. Die »Multaka«-Guides sagen oft: »Wenn wir sehen, wie kaputt das einmal war und wie es doch wiederhergestellt werden konnte, gibt uns das Hoffnung für unser Land.«

 

Auch das Ischtar-Tor kennt ja diese Geschichte des Neu-Zusammengesetzt-Werdens...

Das Ischtar-Tor ist ein ganz besonderes Bauwerk. Es wurde in der Form Ende des 19. Jahrhunderts ja gar nicht vor Ort so gefunden, sondern nur kleine Fragmente von glasierten Ziegeln. All das, was die Mauern ausgemacht hat, hatte man früher schon ausgekoffert und etwa in den Eisenbahntrassen verbaut. Nur diese glasierten Ziegel haben sich dafür nicht geeignet. Drunter standen zwei weitere Bauphasen. Als Walter Andrae dieses Ischtar-Tor Ende der 1920er-Jahre zusammensetzte, ließ er sich vom Vorbild der ersten Baustufe leiten.

 

Vorderasiatisches Museum und Ischtar-Tor
Sortierung der glasierten Ziegel, aus denen das Ischtar-Tor in Berlin neu zusammengesetzt wurde Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum

 

Wie ging Andrae damals vor und was bedeutet das für die Restauration heute?

Er nahm die Tiermotive als Vorlage, um anschließend diese Fünf-Mark-Stück-großen Fragmente zusammen zu puzzeln. Andrae hat das Ganze dann auf einen Untergrund aus modernen Ziegeln aufgebracht, und das ist eben auch Bestandteil des Gebäudes selber. Genau aus diesem Grund lassen sich die Kacheln nicht ohne Weiteres abbauen, ohne das etwas verloren geht. Deswegen bleibt das Ischtar-Tor am Standort, ebenso wie die zugehörigen Thronsaal-Fassaden und die Prozessionsstraße – alles hinter einer gut abgedämmten Wand verborgen. So lässt sich auch die Temperatur kontrollieren, sodass die drei großen Architekturteile, die im Museum verbleiben, während die Bauarbeiten laufen, geschützt sind und dann auch genau an dieser selben Stelle 2037 wieder zugänglich gemacht werden können.

 

Es handelt sich also nicht einfach nur um eine Renovierung, sondern eigentlich auch um eine gewisse Neugeburt des Museums.

Ganz genau, es wird ein neues Erlebnis und neue Geschichten bieten, ohne das Alte abzuschaffen.

 

Herrscht also jetzt nicht nur Wehmut über die Schließung, sondern auch ein bisschen Aufbruchsstimmung?

Die Arbeit in diesem Museum ist an sich schon ein unglaubliches Privileg. Diesen direkten Zugang zu Objekten, über die man nachdenkt, über die man forscht, über die man schreibt und mit denen man ja auch immer wieder neue Geschichten entwickeln kann, die man den Besuchern vermittelt. Das wird uns allen sehr fehlen und wir sind durchaus melancholisch. Gleichzeitig haben wir hier einen Havariefall nach dem anderen. Bei jedem Starkregen kommt Wasser durch die Decke. Das Haus ist 90 Jahre alt und ist schon im Zweiten Weltkrieg beschädigt worden. Die Schäden wurden immer irgendwie repariert, aber eben auch immer nur »irgendwie«. Nach der Wiedervereinigung sollte gemäß des »Masterplan Museumsinsel« jedes Gebäude grundsaniert werden. Und das auch dringend nötig, hier ist teilweise noch Kabelwerk aus den 1920er-Jahren verlegt. Das genügt heute keinem Sicherheitsstandard mehr.


Prof. Dr. Barbara Helwing ist seit 2019 Direktorin des Vorderasiatischen Museums Berlin. Zudem ist die Archäologin Honorarprofessorin an der FU Berlin sowie der Universität Sydney. Ausgrabungen und Forschungsaufträge führten sie unter anderem in die Türkei, Aserbaidschan, Iran und Sri Lanka.

 

Das Ischtar-Tor ist vor der langen Schließung des Museums noch Schauplatz einer Reihe von Veranstaltungen. Am 30. September präsentiert die Trans- und Queer-Gruppe »Queens against borders« Führungen durch das Museum sowie Tanz- und Musikperformances vor dem Ischtar-Tor. Am 4. Oktober findet der 6. »Antiquity Slam« statt, bei dem junge Altertumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse vor der Kulisse des Ischtar-Tors präsentieren. Bereits seit April läuft zudem die Installation »Filtered Time« des britischen Lichtkünstlers Liam Gillick.

Von: 
Wenzel Widenka

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