Der Waffenstillstand schafft eine dringend nötige Verschnaufpause, doch die Weiche für einen Durchbruch im Nahostkonflikt stellt er eben nicht. Plädoyer für einen Fahrplan, der nachhaltig Frieden, Freiheit und Sicherheit schafft – für Palästinenser wie Israelis.
Der Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel im Gazastreifen ist ein Anfang, kein Abschluss. Dieses Abkommen und der umfassendere sogenannte Trump-Plan stellen weder Frieden noch einen tragfähigen Prozess hin zu einem Frieden her. Vorerst handelt es sich lediglich um einen Geiselaustausch und eine Pause im Angriff auf das, was vom Gazastreifen noch übrig ist. Um den fast hundert Jahre alten Konflikt zu beenden, bedarf es größerer Anstrengungen: einen umfassenden politischen Rahmen, der die Fallstricke des gescheiterten Oslo-Prozesses vermeidet und sowohl Palästinensern als auch Israelis ihre Rechte und ihre Existenz garantiert und ihnen Sicherheit vor einem erneuten Kriegsausbruch bietet. Um dieses umfassende Ziel zu erreichen, hat eine Gruppe palästinensischer Experten einen Waffenstillstandsplan entwickelt – für ein dauerhaftes Ende der Gewalt und einen Übergang zum Frieden zwischen allen Palästinensern und Israel.
Die Bedeutung des Waffenstillstands kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Endlich erscheint ein Hoffnungsschimmer am Horizont nach zwei Jahren israelischer Zerstörungs- und Tötungskampagne von beispiellosem Ausmaß, die Experten weltweit als Völkermord bezeichnen. Mit der Umsetzung besteht für diejenigen, die bisher um ihr Leben gekämpft haben, eine Überlebenschance, sofern die israelische Blockade tatsächlich endet und dringend benötigte humanitäre Hilfe – Nahrungsmittel, Medikamente und Unterkünfte – nach Gaza gelangt.
Die vorübergehende Einstellung der israelischen Feindseligkeiten bedeutet jedoch noch lange kein dauerhaftes Ende des Konflikts. Zumindest hat die Regierung von Premierminister Benyamin Netanyahu in der Vergangenheit bereits mehrfach gegen ähnliche Vereinbarungen verstoßen. Sobald die Geiseln frei sind, wird ihn wenig davon abhalten, seinen Feldzug zur Vernichtung Gazas fortzusetzen. Und selbst wenn die Ruhe in Gaza anhält, nehmen die gewalttätigen Angriffe des israelischen Militärs und der Siedlerbanden im besetzten Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, weiter an Umfang und Intensität zu. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit, Legitimität und Regierungsfähigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde innerhalb ihrer begrenzten Zuständigkeit weiter. Israels Drohung, das Westjordanland und damit einen zentralen Teil palästinensischen Territoriums zu annektieren, ist zwar formal auf Eis gelegt, wird aber de facto vor Ort umgesetzt.
Während die Palästinenser beginnen, das Trauma des Gaza-Kriegs und seiner Folgen zu verarbeiten – langsam die Trümmer wegräumen, die Leichen finden, mit dem Wiederaufbau beginnen und darüber nachdenken, wie ihre Zukunft aussehen könnte –, müssen sie auch ihr politisches System wieder aufbauen. Ja, es wird eine Aufarbeitung geben müssen. Es geht darum zu dokumentieren, was über zwei Millionen Menschen in den letzten zwei Jahren angetan wurde. Es kann keine Rückkehr zum Status quo ante geben, dem Gefängnis, das Gaza fast zwanzig Jahre lang gewesen ist. Es kann keine Rückkehr zur Besatzung geben. Es kann keine Rückkehr zu den gescheiterten Oslo-Strukturen und dem lediglich gemanagten Konflikt geben, der zu den traumatischen Ereignissen des 7. Oktober führte. Der Konflikt muss gelöst werden, zum Wohle aller.
Mit diesen Imperativen ist der Palästinensische Waffenstillstandsplan ein Versuch, die Grundlage für einen umfassenden und dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu legen. Er schafft an sich keinen dauerhaften Frieden, sondern ist vielmehr ein Fahrplan für einen friedlichen Übergang, der beiden Seiten Erholung, Wiederaufbau und Reformen ermöglichen soll, bevor sie über die Aufteilung des Landes zwischen Fluss und Meer entscheiden. Der Plan selbst gibt keine konkrete Antwort auf die Frage, ob eine Ein- oder Zweistaatenlösung gewählt werden soll. Stattdessen fußt er in erster Linie auf Rechten und Prozessen, nicht auf Ergebnissen.
Der 1988 auf eben diesem besetzten palästinensischen Gebiet ausgerufene Staat Palästina muss von allen anerkannt und seine Souveränität respektiert und unterstützt werden
Aufbauend auf dem Völkerrecht greift er stark auf frühere Vorschläge wie die Arabische Friedensinitiative und die Bahrain-Erklärung der Arabischen Liga zurück und sichert auf dieser Grundlage die regionale Akzeptanz und Integration Israels. Er beschränkt sich nicht auf die Hamas, sondern schlägt einen Waffenstillstand zwischen allen Palästinensern, vertreten durch eine Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), und Israel vor. Er sieht vor, dass beide Seiten – nicht nur Israel, sondern auch die Palästinenser, die derzeit unter unsichersten Bedingungen ums Überleben kämpfen – Sicherheit benötigen. Der Palästinensische Waffenstillstandsplan sieht vor, dass auf Ersuchen des Staates Palästina internationale Friedenstruppen unter dem Mandat der Vereinten Nationen entsandt werden, um während des Übergangs die Sicherheit beider Seiten zu gewährleisten, und dass diese Truppen in allen besetzten Gebieten (entlang der Waffenstillstandslinie von 1948, die oft als die Grenze Israels vor 1967 bezeichnet wird) stationiert werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Anerkennung und Unterstützung des Staates Palästina ein wesentlicher Ausgangspunkt. Wie die jüngste Initiative unter Führung Frankreichs, Großbritanniens und anderer Länder bekräftigt, kann es logischerweise keine Zweistaatenlösung ohne zwei Staaten geben. Dies ist ein erster Schritt, eine Prämisse. Die israelische Besatzung seit 1967 muss von allen Ländern abgelehnt werden – eine Besatzung, deren Rechtswidrigkeit mehrfach bestätigt wurde, zuletzt vom Internationalen Gerichtshof in seinem eindeutigen Gutachten aus dem Jahr 2024 zu den rechtlichen Folgen der Politik und Praxis Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ostjerusalem. Die illegale Besatzung darf weder geduldet noch unterstützt werden. Der 1988 auf eben diesem besetzten palästinensischen Gebiet ausgerufene Staat Palästina muss von allen anerkannt und seine Souveränität respektiert und unterstützt werden.
Die Anerkennung des Staates Palästina und seiner Souveränität wird Israels Expansionismus Grenzen setzen und die Versuche seiner extremistischen Elemente, palästinensisches Gebiet im Gazastreifen und im Westjordanland zu erweitern und zu annektieren, Einhalt gebieten. Sie wird beiden Seiten zugleich signalisieren, dass sie nicht ausgelöscht werden – eine existenzielle Angst, von der die Israelis oft sprechen, die aber auch in der palästinensischer Psyche tief verankert ist.
Darüber hinaus ist der Staat Palästina auch der Kontext, in dem Strukturen aufgebaut oder wiederaufgebaut und die politische Repräsentation reformiert werden können. Die Hoffnung auf einen funktionierenden palästinensischen Staat wird als Abschreckung gegen Gewalt wirken. Auf politischer Ebene wird nur das Ende der Besatzung das Ende des Widerstands bedeuten. Die Palästinenser verfügen über enorme Energie und Potenzial. Dieses gilt es zu nutzen, um eine Zukunft in Freiheit aufzubauen, und das ist nur im Rahmen eines Staates möglich. Kein anderer derzeit diskutierter Plan oder Vorschlag kann auch nur annähernd alle kritischen Fragen angehen, die im Vorfeld behandelt werden müssen; und ohne die Berücksichtigung all dieser Fragen ist jeder Vorschlag zum Scheitern verurteilt.
Bis Wahlen innerhalb von ein bis zwei Jahren möglich sind, schlägt der Palästinensische Waffenstillstandsplan eine Reihe von Mechanismen vor
Im Gegensatz zum Trump-Plan oder dem Vorschlag des »Tony Blair Institute for Global Change« stellt der Palästinensische Waffenstillstandsplan sicher, dass die Entscheidungsgewalt über Palästina bei den Palästinensern liegt. Das ist von entscheidender Bedeutung, denn nur so können die Palästinenser beginnen, ihre Grundrechte auf Freiheit und Selbstbestimmung auszuüben. Einfach wird es nicht: Die Durchführung freier und fairer Wahlen wird Zeit brauchen. Bis Wahlen innerhalb von ein bis zwei Jahren möglich sind, schlägt der Palästinensische Waffenstillstandsplan eine Reihe von Mechanismen vor, um die unmittelbare Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen auf lokaler Ebene sowie an Aufsicht und Kontrolle auf höchster Ebene zu gewährleisten. Er stellt sicher, dass die im Plan geforderte technokratische Regierung unter der souveränen Autorität der PLO steht, aber auch dem palästinensischen Volk und den internationalen Gebern in einem dreigliedrigen Ausschuss verantwortlich ist.
Die drei Grundelemente dieser Übergangsregierungsstruktur (für den gesamten Staat Palästina, nicht nur für Gaza) sind von grundlegender Bedeutung. Souveränität gewährleistet das richtige Gleichgewicht, den Wunsch der Bürger nach Beteiligung und die Ausübung der Grundrechte. Aufsicht und Reformen gewährleisten Kontrolle und Verantwortung – im Zusammenspiel mit verschiedenen im Plan vorgeschlagenen Mechanismen, wie beispielsweise der Nutzung der Blockchain-Technologie, um Missbrauch und Veruntreuung internationaler Hilfe zu verhindern. Und drittens stellt die Bündelung unter dem Schirm der PLO sicher, dass alle Palästinenser vertreten, in einer legitimen Regierungsstruktur vereint und an deren Entscheidungen gebunden sind.
Nach der Übergangsphase und den Wahlen wird ein echter Dialog mit Israel möglich sein (idealerweise auch nach einer Zeit der Erneuerung innerhalb Israels) und eine Einigung darüber erzielt werden können, wie die beiden Entitäten und Völker das Land teilen wollen – getrennt, in einer Konföderation oder in der Form eines binationalen Staates. Das wird jedoch nur möglich sein, wenn der politische Kontext vor dem wirtschaftlichen steht und innerhalb dessen mit einer internationalen Friedenstruppe Sicherheit und Schutz für alle gewährleistet wird.
Der Prozess des Aufbaus und der Heilung Gazas und des ganzen Landes wird viel Kraft kosten. Was Israel dort in den letzten zwei Jahren, ja in den letzten zwanzig Jahren, erlaubt wurde, ist ein Schandfleck für die Menschlichkeit. Es wird eine Aufarbeitung und damit auch Rechenschaft geben müssen. Aber als Palästinenser müssen wir aber auch nach vorne blicken, eine Zukunft aufbauen, damit die unzähligen Opfer nicht umsonst waren. Uns Palästinensern ist bewusst, welchen Preis wir für die Freiheit bezahlt haben. Und für uns ist Zeit der Freiheit gekommen.
Jamal Nusseibeh ist Rechtsanwalt und derzeit CEO einer Investment-Firma in Greenwich, Connecticut. Er studierte Recht und Politikwissenschaft an den Universitäten Sciences-Po (IEP, Paris), Columbia (New York) und City University, London. Er gehört zu den Initiatoren und Autoren des Palästinensischen Waffenstillstandsplans.