Der bangladeschische Außenminister Touhid Hossain über die Pläne der Interimsregierung von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, warum er auf eine Entschuldigung Pakistans hofft und wieso er eine Insel im Golf von Bengalen nicht an die USA verschenken will.
zenith: Bangladesch hat gerade eine von Studenten angetriebene Revolution hinter sich. Sie waren jahrzehntelang Karrierediplomat unter verschiedenen Regierungen. Nun stehen sie an der Spitze des Außenministeriums. Wie fühlen Sie sich?
Touhid Hossain: Wir tragen Verantwortung dafür, die Träume und Erwartungen der jungen Generation an gute Regierungsführung zu erfüllen. Wir stehen dabei vor einer langen Liste an Aufgaben. Und wir haben dafür nur begrenzt Zeit, nicht fünf bis zehn Jahre, wie gewählte Regierungen. Wir wollen unsere Aufgaben so schnell wie möglich erfüllen und dann Wahlen abhalten.
Wann soll in Bangladesch gewählt werden?
Ein genaues Datum steht noch nicht fest. Es herrscht aber die Meinung vor, dass nach dem kompletten Zusammenbruch der staatlichen Institutionen in den letzten 15 Jahren etwas Zeit benötigt wird, um das wieder richtigzustellen. Es sind einige Probleme in unserem System deutlich geworden, besonders eine Tendenz jeglicher gewählter Regierungen, irgendwann zunehmend autokratisch zu agieren. Zu verhindern, dass so etwas auch dieses Mal nach den Wahlen geschehen kann. Diese Erwartungshaltung richten die Menschen an uns. Dafür sind umfangreiche Reformen notwendig.
Welche meinen Sie?
Das Bankensystem steht am Abgrund. Schuld ist ein weitverbreitetes System nichtzurückzahlbarer Kredite. Eigentlich eine Form des staatlich unterstützten Raubs. Die Vorstände der Banken waren reihenweise mit Menschen besetzt, die systematisch in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Wir müssen das System tiefgreifend reformieren. Der neue Leiter der Zentralbank ist sehr fähig, einfach wird seine Aufgabe aber nicht. Korruption gibt es überall in der Welt – auch im Westen. Aber dort hat sie Konsequenzen. Wer klaut und erwischt wird, wird bestraft. Bei uns konnte sich ungeniert bedienen, wer die richtigen politischen Verbindungen hatte. Und es liegt nahe, dass auch die politische Führung von diesem System profitiert hat.
»Wer Verbrechen begangen hat und deswegen zur Rechenschaft gezogen wird, kann nicht gleichzeitig Politik machen«
In welchen weiteren Bereichen werden Reformen notwendig?
Mehrere Kommissionen arbeiten gerade an konkreten Reformvorschlägen zu Themen wie Polizei, Verwaltung, Justiz, Wahlsystem oder der Verfassung. Wir rechnen Anfang Januar mit ersten Ergebnissen. Dann werden wir daraus eine Roadmap der Reformen entwickeln, an deren Endpunkt die nächsten Wahlen stehen.
Wird die Awami-Liga der gestürzten Ministerpräsidentin Sheikh Hasina antreten dürfen? In ihre Amtszeit fallen ja schwere Menschenrechtsverletzungen.
Klar ist: Wer Verbrechen begangen hat und deswegen zur Rechenschaft gezogen wird, kann nicht gleichzeitig Politik machen. Aber die begangenen Straftaten müssen durch das Justizsystem und nicht per Selbstjustiz aufgearbeitet werden. Die Aufarbeitung wird nicht willkürlich von der Regierung auferlegt werden. Soweit ich es sehe, wird sich die Partei erneuern müssen, um dem Volk wieder entgegentreten zu können. Denn Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen werden rechtliche Konsequenzen tragen müssen und können daher zumindest für eine gewisse Zeit keine politischen Ämter ausüben. Abgesehen davon soll die Politik in Zukunft allen Menschen offenstehen. Das gilt also auch für die Awami-Liga und für deren Unterstützer.
Die indische Regierung unter Narendra Modi gehörte zu den wichtigsten Unterstützern der Awami-Liga. Sheikh Hasina selbst hält sich seit ihrer Flucht aus Dhaka in Indien auf. Die bilateralen Beziehungen sind auf dem Tiefpunkt. Wie blicken Sie auf Indien?
Sowohl Indien als auch Bangladesch sind sich der Notwendigkeit guter Arbeitsbeziehungen in ihrem jeweiligen nationalen Interesse bewusst. Auf Arbeitsebene der Botschafter findet weiterhin ein Austausch statt. Zudem haben Premierminister Narendra Modi und Chief Advisor Muhammad Yunus telefoniert. Ich habe meinen indischen Amtskollegen am Rande der UN-Generalversammlung kurz getroffen. Es wird in nächster Zeit weitere Konsultationen geben. Leider herrscht unter den Bürgern Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie die Awami-Liga das handhabte. Wir sind an guten Beziehungen zu Indien interessiert, aber auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt und Souveränität auf Augenhöhe.
»Unsere Regierung priorisiert kleinere, spezifischere Projekte, die mehr unmittelbaren Nutzen bringen«
Wird ihre Regierung einen Auslieferungsantrag für Hasina stellen?
Wenn die Gerichte verlangen, dass sie hier erscheinen soll, um sich zu verantworten, dann müssen wir ihre Rückführung zu fordern. Das ist die rechtliche Lage. Professor Muhammad Yunus hat deutlich gemacht, dass ihre Aussagen aus dem Exil und das Schüren von Instabilität nicht im Interesse der bilateralen Beziehungen zu Indien sind. Er erwartet, dass die indische Regierung sie zurückhält, solche Erklärungen abzugeben, solange sie sich dort aufhält.
Die Awami-Liga hat mit Indien zuletzt mehrere Absichtserklärungen und Verträge im Bereich Konnektivität geschlossen. Werden einige der Abkommen nun überprüft oder bleiben sie auch für die Zukunft bindend?
Wir reden hier über zwei verschiedene Dinge. Abkommen sind verbindlich und müssen eingehalten werden, können jedoch im gegenseitigen Einvernehmen diskutiert werden, wenn sie nicht zur Zufriedenheit beider Parteien funktionieren. Absichtserklärungen hingegen sind keine bindenden Verträge und können überprüft werden. Wir haben nichts gegen Konnektivität, aber unsere Interessen müssen ebenfalls Berücksichtigung finden.
Wie sehen Sie das Verhältnis zu Pakistan, insbesondere im Hinblick auf die ausstehende öffentliche Entschuldigung für die Verbrechen im Unabhängigkeitskrieg von 1971, und in welche Richtung bewegen sich die Beziehungen zu Islamabad?
Persönlich glaube ich, dass eine öffentliche Entschuldigung der pakistanischen Regierung die Beziehungen verbessern und Sympathien in der Bevölkerung schaffen kann. Das ist aber keine zwingende Voraussetzung, um etwa den Handel zu fördern. Wir versuchen, die Beziehungen zu Pakistan auf eine stabile Grundlage zu stellen.
Und wie sieht es mit China aus?
Wir unterhalten sehr wichtige wirtschaftliche Beziehungen. Dazu ist China unser wichtigster Lieferant von Rüstungsgütern. Aber eine Überabhängigkeit von einem Land ist nicht immer gut. Daher diversifizieren wir unsere Handelspartner. Projekte mit chinesischer Unterstützung in Bangladesch werden fortgeführt, aber unsere Regierung priorisiert kleinere, spezifischere Projekte, die weniger wirtschaftlichen Druck und mehr unmittelbaren Nutzen bringen. Dennoch: Unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit China bleiben belastbar.
»Wir wollen, dass der Bürgerkrieg in Myanmar endet und Stabilität einkehrt«
Im Zusammenhang mit China wird auch die Krise in Myanmar wieder relevanter, besonders mit Blick auf den Bundesstaat Rakhaing. Viele der dort lebenden Rohingya sind bereits nach Bangladesch geflohen.
Wir wollen, dass der Bürgerkrieg in Myanmar endet und Stabilität einkehrt, besonders in Rakhaing, die Heimat von 1,2 Millionen Rohingya in Bangladesch. Die einzige Lösung besteht darin, in Myanmar ein sicheres Umfeld zu schaffen, damit die Rohingya mit Rechtsgarantien in ihre zerstörten Dörfer zurückkehren können mit. China und die internationale Gemeinschaft müssen Druck auf Myanmar und die Arakan-Armee ausüben, um die Rohingya zu schützen. China verfügt hier über gute Beziehungen zu beiden Konfliktparteien. Bangladesch hat seine Pflicht erfüllt, mehr Flüchtlinge können wir nicht aufnehmen.
Bislang ist Bangladesch der UN-Flüchtlingskonvention noch nicht beigetreten. Das wird sich also nicht ändern?
Derzeit sehe ich keine Möglichkeit, der Flüchtlingskonvention beizutreten. Wenn die Zeit reif ist, werden wir das tun. Zum Status der Rohingya: Wir haben sie als Vertriebene aus Myanmar aufgenommen. Sobald die Situation es zulässt, sollen sie zurückkehren, was auch die Mehrheit der Rohingya will, abgesehen von einigen Kriminellen, die von der Lage profitieren. Wahr ist auch: Leider wurden in den letzten acht Jahren keine Fortschritte bei ihrer Rückführung erzielt.
Wie plant die Regierung, die desolate Lage in den Flüchtlingslagern um Cox's Bazar zu verbessern?
Die Situation ist sehr schwierig, da auf begrenztem Raum eine große Anzahl von Menschen untergebracht ist. Da es sich um ein Grenzgebiet handelt, haben wir zudem mit Drogenhandel, Waffenschmuggel und Menschenhandel zu kämpfen. Wir versuchen, dagegen vorzugehen, aber korrupte Elemente auf allen Seiten sind involviert. Wir stärken die Sicherheitskräfte in den Lagern und versuchen, den grenzüberschreitenden Schmuggel einzuhegen.
Professor Yunus war gerade in den USA. Ihrer Regierung wird eine enge Verbindung zu Washington nachgesagt. Werden Sie die Insel St. Martin´s im Golf von Bengalen jetzt nach dem Sturz von Hasina an die Amerikaner verschenken, damit die dort eine Militärbasis bauen, wie es einige Medien in Indien während der Krise vermuteten?
Weder von unserer Seite noch von den Amerikanern wurde der Vorschlag unterbreitet, die Insel St. Martin´s abzugeben.Indische Medien haben dieses Thema hochgejazzt, wie auch viele andere Themen. Die Beziehungen zu Washington sind für uns sehr wichtig, nicht nur weil die USA die einzige Supermacht und unser wichtigster Exportmarkt sind. Sie gehören dazu zu den drei größten Quellen von Rücküberweisungen, die eine bedeutende Rolle für unsere Wirtschaft spielen. Unsere Diaspora in den USA umfasst fast eine Million Menschen, die nicht nur wirtschaftlich beitragen, sondern auch unsere Interessen stark mit den US-amerikanischen verknüpfen. Dazu studieren viele Bangladescher in den USA. Unter der letzten Regierung haben die Beziehungen ein Stück weit gelitten. Und wir sind gerade dabei den Schaden wieder zu kitten.
»Die EU und Deutschland spielen in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle«
Die Nixon-Administration unter Außenminister Henry Kissinger unterstützte 1971 nicht die bangladeschische Sache, sondern stellte sich auf die Seite der pakistanischen Streitkräfte, den furchtbaren Menschenrechtsverletzungen in Bangladesch zum Trotz. Inwieweit wirkt dieses historische Erbe bis heute nach?
Das war ein schwerer Fehler der US-Regierung, das haben die letzten 50 Jahre gezeigt. Aber wir sollten nicht in der Vergangenheit verharren, sondern nach vorne schauen und ausloten, wie wir von unseren Beziehungen zu den USA profitieren können. Natürlich verurteilen wir die Rolle der damaligen Administration, aber das darf nicht unsere heutigen Beziehungen bestimmen. Wir sollten auch die bedeutende Unterstützung der US-Bevölkerung während unseres Befreiungskrieges nicht vergessen, darunter wichtige Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft, die sich gegen ihre Regierung stellten, um uns zu unterstützen.
Einige deutsche Unternehmen, die bereits in Bangladesch investiert haben, sind derzeit verunsichert. Sind die Investitionen auch nach der Revolution sicher?
Es traten während des Höhepunkts der Revolution einige Schwierigkeiten auf, aber heute ist die Situation schon wieder ganz anders und wir arbeiten daran, sie weiter zu stabilisieren. Wir sind im Prozess bessere Investitionsbedingungen zu schaffen und ich ermutige die Unternehmen, weiterhin in Bangladesch zu investieren und neue Projekte in vielversprechenden Bereichen zu starten. Wir haben hier auch Stellen neu besetzt, um spezifisch ausländische Investitionen anzuziehen. Wir hoffen, dass die EU und Deutschland mehr investieren, was sowohl den Investoren als auch unserer Bevölkerung zugutekommen wird, indem Arbeitsplätze geschaffen werden und sich die Situation verbessert.
Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner für Bangladesch, im letzten Jahr betrug das bilaterale Handelsvolumen rund 10 Milliarden US-Dollar. Welche Prioritäten setzen Sie für Ihre Außenpolitik gegenüber Deutschland und der EU?
Vor etwa zwei Jahren habe ich eine Monografie für die Friedrich-Ebert-Stiftung geschrieben, in der ich erklärte, wie die EU, besonders Deutschland als führende Nation, uns helfen kann, über engere Beziehungen Bangladesch auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft zu unterstützen. Die EU und Deutschland spielen in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle, insbesondere in Bereichen wie Arbeits- und Menschenrechten, wo unsere Ziele weitgehend übereinstimmen. Es sind bereits Fortschritte erzielt worden, wie unser Beitritt zur UN-Konvention zum Verschwindenlassen. Menschenrechtsaktivisten sind in unserem Beratergremium vertreten. Wir sind entschlossen, die Erwartungen der EU zu erfüllen und Bangladesch weiter in Richtung einer pluralistischen und gerechten Gesellschaft zu entwickeln, in der Menschen- und Arbeitsrechte geachtet werden.
Bangladesch wird laut UN-Angaben aus der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder aufsteigen. Was erst einmal positiv klingt, bedeutet, dass einige Steuervergünstigungen für den Export in andere Märkte wie die EU wegfallen werden.
Wir arbeiten daran, die Bedingungen für das Allgemeine Präferenzsystem Plus der Europäischen Union bis 2029 zu erfüllen. Wir hoffen, dass bis dann alle Reformen umgesetzt werden können, auch wenn unsere Übergangsregierung dann nicht mehr im Amt sein wird. Wir wollen die EU dennoch um etwas mehr Zeit bitten, um alle Bedingungen zu erfüllen.
Md. Touhid Hossain