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Deutschland und der Sechstagekrieg 1967

Sehnsucht nach Rommel

Essay
Deutschland und der Sechstagekrieg 1967
Die 14. gepanzerte Brigade der israelischen Streitkräfte während des Sechstagekriegs IDF and Defense Establishment Archive

Am 5. Juni 1967 begann der Sechstagekrieg, in dem Israel seine arabischen Nachbarn besiegte. Deutsche Medien wie Spiegel oder Bild berauschten sich am »Blitzsieg« des »Brudervolkes« und hofften, man werde sich an Israel ein Beispiel nehmen.

Am Morgen des 5. Juni 1967 startete Israel einen Überraschungsangriff auf ägyptische Flugplätze und nahm damit sämtliche Kräfte der ägyptischen Luftwaffe aus dem Spiel. Es folgten eine Bodenoffensive und die Landung von Fallschirmjägern. Sechs Tage später hatte Israel die ägyptische Sinai-Halbinsel, Ostjerusalem, das Westjordanland, den Gaza-Streifen und die syrischen Golanhöhen unter seine Kontrolle gebracht. Aus israelischer Sicht war der Sechstagekrieg ein Präventivschlag gewesen, um einem von Ägypten angedrohten Angriff zuvorzukommen und den Zugang zu Schiffahrtsstraßen im Roten Meer wieder zu gewährleisten.

 

Gefeiert wurde danach nicht nur auf den Straßen von Tel Aviv, sondern auch in deutschen Redaktionsstuben. Der Spiegel titelte mit der Schlagzeile »Israels Blitzkrieg« und fuhr schweres rhetorisches Geschütz auf. Israels Soldaten »rollten wie Rommel, siegten wie Patton und sangen noch dazu«, hieß es im Hamburger Magazin. Auch biblische Analogien wurde ins Feld geführt: »Der biblische Gideon ließ seine 300 Israeliten in Posaunen blasen und verwirrte dadurch die überlegenen Midianiter so sehr, daß sie sich schließlich selber niedermachten. Gideons Nachfahr Dajan verwendete – mit gleichem Erfolg – statt Posaunenschall piepsige Morsezeichen«.

 

Pikante Details durften nicht fehlen, um die arabische Niederlage zu garnieren. Etwa dass in jordanischen Bunkern »Nackedeis aus Playboy-Heften, Kopfschmerztabletten aus England, ... Spielkarten und Photos der Insassen in Gala-Uniform gefunden wurden«, wie der Spiegel erfahren hatte. Arabische Propaganda – Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser hatte vor Beginn des Krieges noch die Auslöschung Israels in Aussicht gestellt – erntete den Spott des Spiegel: »Mit den Arabern dieser Heldenepoche verbindet die seit Jahrhunderten degenerierten Nachfahren des Propheten Mohammed nur noch der Hang zum phantasievollen Fabulieren: Ihre Kriegsberichte aus Sinai lesen sich wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht.«

 

Die Reaktionen der konservativen Presse, insbesondere der Springer-Medien, waren noch euphorischer: Die Welt lobte das »reinigende Gewitter« und befand, die meisten Menschen in der Bundesrepublik hätten den Krieg Israels verfolgt, »als sei es der Kampf eines Brudervolkes«. Die Rheinische Post stellte fest, dass »der Gedanke an Rommel und an seinen Schüler Mosche Dajan« das deutsche Selbstbewusstsein stärke. Die Neue Revue titelte: »So siegten die Wüstenfüchse«. Und die Bunte feierte den »Blitzkrieg-Blitzsieg«. Die Berliner BZ beschwor den »totalen Sieg«.

 

Bild vermutete, dass der Sechstagekrieg die Einstellung der Deutschen zu Israel – und zum Judentum – grundlegend verändern werde: »Unsere wirkliche Wiedergutmachung hat ... erst jetzt begonnen. Und zwar genau in dem Augenblick, als Herr Maier in Bayern, Herr Lehmann in Düsseldorf und Herr Schulze in Berlin sagten: ‚Donnerwetter, diese Juden...’ Viele Deutsche, unter denen es einst viele Antisemiten gab, wollen nun auch nach Israel reisen.«

 

Die vom Kalten Krieg berührte Bundesrepublik hatte laut Bild-Zeitung ihr eigenes Araber-Problem, nämlich »Ulbrichts Volksarmee oder die Tschechen oder die Polen oder alle drei«. Die Bild am Sonntag kommentierte die israelische Eroberung Jerusalems mit der Feststellung, dass es nun »keine Grenzen mehr im Berlin des Nahen Ostens« gebe. Die Welt am Sonntag forderte, dass sich die Deutschen mit der gleichen Courage für die Freiheit einsetzen sollten wie Israel: Der Feldzug sei die »Widerlegung der modischen These, daß Kriege nicht mehr ‚ein Mittel der Politik’ seien. ... Niemand hat von Israels Haltung mehr zu lernen als Deutschland.«

 

Kuriose Vergangenheitsbewältigung – auch SS-Männer kamen zu Wort

 

Die in den 1960er Jahren noch an allen größeren Zeitungskiosken der Republik erhältliche National- und Soldatenzeitung, das Organ der NPD, machte mit Überschriften wie »Deutsche wollt Ihr ewig büßen?« oder »Israels Auschwitz in der Wüste – Der Massenmord an den Arabern« auf. Unter anderem hieß es da: »Der Nationalsozialismus lebt – in Israel. Man kann nur hoffen, daß sich freiheitliche Israelis dagegen erheben, so wie sich freiheitliche Offiziere gegen Hitler erhoben.« Der Sprecher der »Hilfsgemeinschaft für Gegenseitigkeit« ehemaliger Männer der Waffen-SS, Karl Cerff, lobte hingegen die Leistungen Israels: »Die haben ja auch unsere Dienstvorschriften ... in ihren Bibliotheken. Und das mit dem Kibbuz ist ja auch so ähnlich wie mit unserem Arbeitsdienst«.

 

Aus Argentien errreichte den Spiegel der Leserbrief eines Deutschen namens Joachim Doss, der forderte, man müsse den »militärischen Führern der Juden« nun einen »Nürnberger Prozess« machen und diese zum Tode verurteilen. »Die Situation ist die gleiche: Deutschland 1939, Israel 1967. Beiden Ländern, von angriffslüsternen Feinden umgeben, blieb lediglich die Wahl, sich überrennen zu lassen oder den eisernen Ring zu durchbrechen. Großdeutschland verlor den Krieg; welches Schicksal die Weltorganisation Israel zuerkennen wird, wissen wir noch nicht.« Dass der Spiegel offenbar kein Problem darin sah, solche Meinungen zu veröffentlichen, wirft ein Licht auf den Israel-Diskurs in jener Zeit.

 

Aus Boksburg in Südafrika meldete sich ebenfalls per Leserbrief im Spiegel ein berüchtigter Söldner und ehemaliger Oberleutnant der Wehrmacht zu Wort : Siegfried Mueller, »genannt Kongo Mueller«, wie er selbst in seiner Signatur hinzufügte, erklärte: »Die Existenz Israels, so glauben die Araber, sei ihnen ein Dorn im Auge. Für die Roten aber ist es ein echter Hemmschuh bei der Einkreisung der freien Welt im Rahmen der Weltrevolution. Die Einkreisung, nach Moskowiter oder Pekinesen-Art, ist die Weltgefahr Nummer eins. Und die Araber marschieren bereits als Vorhut im Takt, der in Moskau geschlagen wird.«

 

Ein Leserbriefschreiber im Spiegel wollte sich zum Dienst an der Waffe gegen Israel melden, schließlich sei »Israel seit dem Altertum« Weltunruheherd Nummer eins. Ein anderer bedauerte, dass Nasser »eben keinen Rommel und kein deutsches oder britisches Expeditionskorps zu Verfügung« gehabt habe. Widerum ein anderer forderte, dass die bundesdeutsche »Marzipanarmee« umgehend israelische Ausbilder anheuern sollte.

 

Der ehemalige Wehrmachtssoldat und Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, der mit seinem Kommentar »Es lebe Israel« einen flammenden Aufruf zur Solidarität verfasst und Araber und Deutsche gleichermaßen aufgefordert hatte, ihre jeweiligen »Nachkriegsgrenzen« anzuerkennen, warnte jedoch nur zwei Wochen nach Kriegsende vor der Illusion, Israel könne die Palästinenser im Westjordanland mit Gewalt kontrollieren. Auch hier kam Augstein nicht umhin, einen Bezug zu Deutschland in der NS-Zeit herzustellen: »Wenn die Israelis ihre früheren deutschen Mitbürger, was militärische Tüchtigkeit anbelangt, nachgeahmt oder gar übertroffen haben, so sollten sie uns eines nicht gleichtun: die politische Unvernunft im Sieg. Aber das Unglück ist wohl schon passiert«, erklärte Augstein.



Deutschland und der Sechstagekrieg 1967

Dieser Text ist ein bearbeiteter und gekürzter Auszug aus Daniel Gerlachs Buch »Die doppelte Front – Die Bundesrepublik Deutschland und der Nahostkonflikt 1967-1973«, das kürzlich in aktualisierter Auflage erschienen ist.

Von: 
Daniel Gerlach

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