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Die Golfstaaten und der israelische Angriff auf Doha

Israels Holzhammer und Katars Dilemma

Kommentar
Die Golfstaaten und der israelische Angriff auf Doha

In Katar herrscht Empörung über den israelischen Tabubruch – doch wie fällt die Reaktion auf den Angriff auf Doha aus und kann das Emirat auf seine Nachbarn zählen?

Innerhalb von 72 Stunden griff Israel in dieser Woche Ziele in sechs Ländern an. Doch der Erstschlag gegen Katar ist die deutlichste Grenzüberschreitung: Als israelische Raketen im letzten Sommer Hamas-Politbüro-Chef Ismail Haniyeh töteten, wartete die IDF, bis er aus Doha ausgereist war. Trotz des Ärgers in Katar damals nahm man diesen Ablauf als Zeichen, dass das eigene Staatsgebiet tabu ist und dass die Amerikaner als Garantiemacht die Sicherheit des diplomatischen Schutzraums gewährleisten. Doch vermeintliche Gewissheiten haben immer weniger Halbwertszeit. Zwar sind die Golfstaaten pragmatisch und anpassungsfähig, zugleich genießt strategische Sicherheit nach innen sowie in der Region oberste Priorität.

 

Sieben Todesopfer forderte der israelische Angriff auf die Hamas-Vertretung offiziellen Angaben zufolge. Katars Premier- und Außenminister Muhammad bin Abdulrahman Al Thani warf Israel »Staatsterrorismus« vor und kündigte Gegenmaßnahmen an. »Ich finde keine Worte, um auszudrücken, wie wütend wir sind … wir fühlen uns verraten«, sagte der Regierungschef auf einer Pressekonferenz am Dienstagabend. Israels Premier Benyamin Netanyahu wiederum hielt sich die Option für nachfolgende Militärschläge explizit offen. Am Rande der UN-Generalversammlung in New York drohte tags darauf die Vertreterin der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zudem damit, aus den Abraham-Abkommen auszusteigen, sollte Israel das Westjordanland formal annektieren.

 

Die Golfmonarchien versuchten US-Präsident Donald Trump bereits bei dessen Reise in die Region im Frühjahr davon zu überzeugen, dass Israel nicht zuletzt die auf Wachstum und Profit fußende Vision der Golfstaaten gefährdet. Damals trat Israel kurz darauf den Zwölf-Tage-Krieg vom Zaun – und stellte damals wie auch in dieser Woche zwei Dinge unter Beweis: Erstens, dass man auch ohne US-Erlaubnis nach Gutdünken zuschlägt und dabei sogar die Amerikaner vor sich hertreiben kann. Und zweitens, dass sich die Golfstaaten nicht auf militärischen Schutz des Westens verlassen können.

 

Zwei Fragen stellen sich für Katar, aber auch für die Golfstaaten insgesamt dringlicher denn je

 

Weil Israels stetig expandierender Kriegsführung in den vergangenen zwei Jahren derart wenig entgegengesetzt wurde, sieht sich die Regierung Netanyahu nicht in die Enge gedrängt, sondern strotzt vor Selbstbewusstsein. Dass Israel diese Hybris auf die Füße fällt, davor warnen Kritiker im Land wie auf der ganzen Welt. Unklar bleibt, ob Israels Holzhammer-Doktrin einfach auf militärische Überlegenheit setzt oder – je nach Zielland – auch strategischen Überlegungen folgt.

 

Im Fall der Golfstaaten könnte das durchaus der Fall sein, denn womöglich rechnet Israel mit vergleichsweise verkraftbaren Reaktionen. Eben dieser Logik war ja auch der Zwölf-Tage-Krieg gegen Iran im Sommer gefolgt: Eine militärische Antwort ist ausgeschlossen und ob der Empörung und Solidaritätsbekundung auf Seiten der Golfstaaten für Israel tatsächlich spürbare Strafmaßnahmen folgen, ist nicht unbedingt ausgemacht. Zwei Fragen stellen sich für Katar, aber auch für die Golfstaaten insgesamt dringlicher denn je:

 

Zum einen steht das gesamte Sicherheitskonzept zur Disposition. Kaum eine Region hat in den vergangenen Jahren derart viel in Rüstung investiert – nicht erst das Patt im Jemen-Krieg offenbarte, wie wenig Ertrag diese Investitionen zeigten. Während die Golfstaaten in anderen Industriebereichen zuneh mend versuchen, in der Wertschöpfungskette aufzusteigen – etwa im Bereich Künstliche Intelligenz – setzt sich nun womöglich die Erkenntnis durch, dass man im Bereich nationaler und regionaler Sicherheit zu lange am bewährten Outsourcing-Modell festgehalten hat.

 

Mehr noch als der physische Schaden des Angriffs trifft Katar die wahrgenommene Unsicherheit des Austragungs- und Vermittlungsorts Doha

 

Auch die Rolle der wichtigsten regionalen Institution steht nun auf dem Prüfstand. Der Golfkooperationsrat (GCC) funktionierte in der Vergangenheit am besten als Instrument der wirtschaftlichen Integration. Die Bilanz als Verteidigungsbündnis ist dagegen dürftig und auch auf politischer Ebene war das Gremium in den vergangenen Jahren eher damit beschäftigt, die Mitglieder nach der für alle Beteiligten unnützen Katar-Blockade wieder zusammenzubringen. In Syrien, wo die Differenzen innerhalb des Staatenblocks besonders zutage traten, ist dieser Ansatz einer eng abgestimmten Koordination nach dem Sturz des Assads-Regimes durchaus erkennbar. Mit Bezug auf Jemen und Sudan divergieren Politik und Interessen weiterhin. Doch gerade im Verhältnis zu Israel verfolgen die Golfstaaten auch auf dem Papier sehr unterschiedliche Ansätze – und nicht zuletzt kommt hier auch die Konkurrenz innerhalb des GCC um Investitionen und Standortmarketing ins Spiel.

 

So waren die VAE der erste Vertragspartner Israels für die Abraham-Abkommen und profitieren von den seitdem legalisierten wirtschaftlichen Beziehungen wohl am meisten. Dass noch im Jahr 2010 ein Sonderkommando des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, verkleidet als tennisspielende Touristen, in einem Dubaier Hotel einen Hamas-Funktionär tötete, mag die Annäherung verzögert haben. Letztlich überwogen aber die geostrategischen und ökonomischen Vorteile die eklatante Verletzung der territorialen Integrität der Emirate. Damals und auch zu späteren Einsätzen in der Region bekannte sich Israel im Übrigen meist nicht offiziell. Auch das hat sich mit dem Angriff auf Doha geändert. Die Regierung möchte die Welt wissen lassen, dass Katar sich nicht in Sicherheit wiegen kann.

 

Mehr noch als der physische Schaden des Angriffs trifft Katar ja eben die wahrgenommene Unsicherheit des Austragungs- und Vermittlungsorts Doha – im Sport, im Personen- und Warenverkehr und in der Diplomatie. Gänzlich ausgeräumt ist das Misstrauen zwischen den GCC-Mitgliedern nicht: Schlägt Dubai womöglich Nutzen daraus, dass Katar jederzeit wieder ins Visier israelischer Angriffe rücken könnte und Veranstalter, Aussteller und Sportverbände lieber in den Golfstaat ausweichen, der qua Abraham-Abkommen vor solchen Unwägbarkeiten geschützt ist? Oder löst der Bruch diplomatischer Konventionen durch Israel genau das Gegenteil aus? Nämlich, dass sich nicht nur Katar, sondern alle Staaten in der Region (und darüber hinaus) die Unberechenbarkeit der israelischen Regierung als eine strategische Bedrohung wahrnehmen, an denen weder Verträge noch gute persönliche Beziehungen im Zweifel etwas ändern können.

 

In den kommenden Tagen, aber auch auf längere Sicht, stellt sich überhaupt die Frage, welche Optionen den Golfstaaten im Allgemeinen und Katar im Besonderen zur Verfügung stehen, um auf die israelische Sicherheitsbedrohung zu reagieren. Dass man trotz massiver Aufrüstung keine primär militärische Antwort auf diese Zukunftsfragen gesucht hat, ist Teil des Selbstverständnisses der Golfstaaten und ihrer Sicht auf die Region. Stattdessen – und das haben in erster Linie die kleineren GCC-Mitglieder wie die VAE und Katar vorgemacht – lag der Fokus in den vergangenen Jahren auf strategischer Verflechtung. Die Bedeutung nicht für Energiemärkte, sondern für globale Handelsströme und als Investor in unzähligen Industriezweigen diente dabei unter anderem als Schutzschild etwa gegen Boykottaufrufe, aber auch zur politischen Landschaftspflege.

 

Größere Bedeutung im Arsenal der »Soft Power«-Instrumente könnte dagegen dem Sport künftig zufallen

 

Doch als »Soft Power«-Instrument wie etwa die »Ölwaffe« der OPEC in den 1970er- und 1980er-Jahren kam das immense wirtschaftliche Gewicht der Golfstaaten bislang kaum zur Anwendung. Auch in Reaktion auf den Angriff auf Doha hat der vermeintlich wirkungsmächtigste Hebel der Golfstaaten seine Fallstricke. Eben weil man derart auf Verflechtung gesetzt hat, droht man sich ins eigene Fleisch zu schneiden, sollte man sich etwa aus Unternehmensbeteiligungen zurückziehen (oder auch nur damit drohen, um politischen Druck zu erzeugen).

 

Größere Bedeutung im Arsenal der »Soft Power«-Instrumente könnte dagegen dem Sport künftig zufallen. Immer wieder sehen sich die Golfstaaten dem Vorwurf ausgesetzt, sich in den vergangenen Jahren derart massiv in die Sportwelt einzukaufen, um einerseits per »Sportswashing« von den eigenen Defiziten bei Menschen-, Bürger- und Arbeitsrechten abzulenken, und andererseits Geschäfte zum eigenen Wohlstand und Wachstum an den Golf zu ziehen. Den Einfluss beim OIC, aber besonders bei der FIFA, haben Katar und Saudi-Arabien bislang noch nicht für viel mehr genutzt, als große Turniere auszurichten.

 

Weil aber der Angriff auf Doha eben dieses Modell gefährdet und die Golfstaaten in der Sportwelt im Vergleich zu anderen internationalen Institutionen (nicht zuletzt den Vereinten Nationen, wie dem VN-Sicherheitsrat) über weit mehr Einflussmöglichkeiten verfügen, könnten sie beispielsweise auf dieser Bühne für Sanktionen gegen Israel drängen. Ein Ausschluss etwa von der laufenden WM-Qualifikation – wie ihn ohnehin bereits viele zivilgesellschaftliche Organisationen und zunehmend auch Trainer, Funktionäre, Spieler und Fans wegen des anhaltenden Genozids in Gaza fordern, könnte so mit Unterstützung vom Golf näher rücken.

 

Zwar ist es fraglich, ob Sportsanktionen die Regierung Netanyahu in irgendeiner Weise beeindrucken. Schließlich sehen sich deren Vertreter aus der Siedlerbewegung ja religiös mandatiert und sehen darin auch keine konkrete Bedrohung, ihre Politik so wie bislang weiterzuführen. Solch ein Schritt würde allerdings noch mehr Staaten vor allem im Westen dazu zwingen, ihre Haltung gegenüber Israel und vor allem ihren Plan zur Einhegung der strategischen Unberechenbarkeit zu formulieren – und dieser konkrete Maßnahmen folgen zu lassen.

Von: 
Robert Chatterjee

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