Riviera des Nahen Ostens, Wiederaufbau und Konfliktregelung oder ein Krieg ohne Ende? Was die Zukunft des Gazastreifens bereithält.
Mitte Januar 2025 einigten sich Israel und die Hamas nach über 15 Monaten kriegerischer Auseinandersetzungen auf ein Abkommen über eine Waffenruhe und den Austausch von Geiseln und Gefangenen. In drei Phasen von jeweils sechs Wochen sollten die Kampfhandlungen eingestellt und israelische Geiseln gegen palästinensische Gefangene ausgetauscht werden und die israelische Armee aus dem Gazastreifen abziehen. Ziel sollte ein dauerhafter Waffenstillstand, die Öffnung der Grenzübergänge und der Wiederaufbau der Küstenregion innerhalb von drei bis fünf Jahren sein.
Allerdings waren die Details der Phasen zwei und drei zwischen den Konfliktparteien ungeklärt und umstritten. Dies betrifft insbesondere die Frage, wer nach dem Abzug der israelischen Armee den Gazastreifen kontrollieren und wer für die innere Ordnung, die Verwaltung und den Wiederaufbau zuständig sein würde. Offen ist auch, ob eine Nachkriegsordnung für Gaza in einen diplomatischen Prozess zur Beilegung des israelisch palästinensischen Konflikts durch eine Zweistaatenregelung eingebettet werden soll. Ebenso die Frage, welche Rolle die internationale Gemeinschaft bei der Gewährleistung von Sicherheit und beim Wiederaufbau spielen wird.
Mit Inkrafttreten der Waffenruhe präsentierte sich die Hamas einmal mehr als dominierende Kraft. Ihre Zivilpolizei sorgte für Ordnung, die Kassam-Brigaden inszenierten Geiselübergaben in martialischer und menschenverachtender Siegerpose. Die Botschaft war klar: Auch 15 Monate nach den Angriffen vom 7. Oktober 2023 hatte die israelische Armee eines ihrer wichtigsten Kriegsziele nicht erreicht: die Zerschlagung der Hamas. Die Machtdemonstration verstärkte in der israelischen Politik und Gesellschaft die Haltung, dass die Hamas in einer möglichen Nachkriegsordnung keine Rolle mehr spielen dürfe.
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) erklärte sich zwar offiziell bereit, die Kontrolle zu übernehmen. Sie befand sich jedoch in einer prekären finanziellen Lage, war bei der palästinensischen Bevölkerung unbeliebt und bereits mit dem Kampf gegen die bewaffneten Gruppen im Westjordanland überfordert. Die israelische Regierung forderte ohnehin die Entwaffnung der Hamas und lehnte eine wie auch immer geartete palästinensische Kontrolle über das Küstengebiet sowie einen palästinensischen Staat ab. Die arabischen Staaten wiederum machten deutlich, dass sie sich nur im Rahmen eines Prozesses engagieren würden, der eine Perspektive auf Konfliktlösung und palästinensische Souveränität beinhaltet. Kein Wunder, dass sich der Übergang zur zweiten Phase verzögerte.
Die weitere Umsetzung des Abkommens wurde auch dadurch gefährdet, dass US-Präsident Donald Trump Anfang Februar 2025 eine Vision für den Gazastreifen vorstellte, nach der ein Großteil der Bevölkerung in Länder wie Ägypten und Jordanien umgesiedelt werden soll. Der Küstenstreifen soll zu einer »Riviera des Nahen Ostens« entwickelt werden. Die Details blieben jedoch äußerst vage; einzelne Aspekte änderten sich im Laufe der Zeit – etwa, ob und von wem die USA den Küstenstreifen kaufen oder einfach »übernehmen« würden und ob die Palästinenser zwangsumgesiedelt werden oder »freiwillig« das Land verlassen sollten. Presseberichten zufolge waren der Ankündigung keine Gespräche mit dem State Department oder dem Pentagon vorausgegangen, geschweige denn Sondierungen mit Vertretern der angedachten Aufnahmestaaten.
Ein von seinem Macher satirisch gemeintes KI-Video, das Trump in den sozialen Medien verbreitete, illustrierte die Idee: Es zeigt eine an Dubai erinnernde Architektur mit Trump Beach-Resort und goldener Trump-Statue, Donald und »Bibi« schlürfen Cocktails am Pool, leicht bekleidete Tänzerinnen, ein Geldregen – was für ein Hohn für die Menschen, die teilweise seit über einem Jahr in Zelten ausharren. Von einem bedürfnisorientierten Wiederaufbau kann man kaum weiter entfernt sein.
Für die arabischen Staaten ist der »Trump-Plan « eine Bedrohung. Allen voran Kairo und Amman sehen sich durch ihn in ihrer nationalen Sicherheit gefährdet
Auch wenn das Phantasma nur dazu dienen sollte, Druck auf die arabischen Staaten auszuüben, mehr Verantwortung für die Zukunft Gazas zu übernehmen: Es bewirkte eine Diskursverschiebung, die das Kriegsverbrechen der Vertreibung salonfähig machte. Dabei wurde die alte Idee der zionistischen Rechten als neues und unkonventionelles Denken vermarktet. Ohnehin hatte sie seit dem 7. Oktober 2023 im nationalreligiösen Spektrum Israels mit Forderungen nach einer »Nakba 2.0« und einer israelischen Wiederbesiedlung des Küstenstreifens Auftrieb erhalten.
Trumps Vorstoß hat auch die Halsstarrigkeit des israelischen Premierministers Benyamin Netanyahu verstärkt, der aus innenpolitischen Gründen kein Interesse daran hat, in die zweite Phase des Abkommens einzutreten und Trumps Vision nun als einzig gangbare Option bezeichnet. Dementsprechend plant seine Regierung die Einrichtung einer »Migrationsverwaltung«, die den palästinensischen Exodus organisieren soll.
Für die arabischen Staaten stellt der »Trump-Plan« eine Bedrohung dar. Vor allem Kairo und Amman sehen ihre nationale Sicherheit gefährdet und lehnen die Aufnahme von Vertriebenen in großer Zahl vehement ab. Dabei verweisen sie zu Recht darauf, dass sie bereits in der Vergangenheit große Kontingente von Geflüchteten aus Palästina und anderen Konfliktgebieten aufgenommen haben. Im Falle Jordaniens kommt hinzu, dass bereits heute die Mehrheit der Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist. Amman befürchtet zudem, dass es in naher Zukunft zu weiteren Vertreibungen aus dem Westjordanland kommen könnte.
Schließlich haben die Rechtsextremen in der israelischen Regierungskoalition 2025 zum Jahr der »Durchsetzung der Souveränität in Judäa und Samaria«, also der Annexion des Westjordanlands, erklärt. So soll ein palästinensischer Staat dauerhaft verhindert werden. Und allein in den ersten drei Wochen der israelischen Militäroperation »Eiserne Mauer«, mit der Israel seit dem 21. Januar 2025 (also zwei Tage nach Inkrafttreten der Waffenruhe mit der Hamas im Gazastreifen) gegen bewaffnete Gruppen vor allem im nördlichen Westjordanland vorgeht, wurden dort nach UN-Angaben rund 40.000 Palästinenser gewaltsam vertrieben.
Donald und »Bibi« Cocktails schlürfend am Pool, leicht bekleidete Tänzerinnen, ein Geldregen – welch Hohn für die Menschen, die seit einem Jahr in windigen Zelten ausharren
Anfang März 2025 legten die arabischen Staaten unter dem Druck des »Riviera«-Vorstoß der Trump-Administration ihrerseits einen Plan für die Zukunft der Küstenregion vor. Dabei handelt es sich um eine Aktualisierung eines damals von der Biden-Administration abgelehnten Strategiepapiers aus dem Jahr 2024, ergänzt um einen von Ägypten ausgearbeiteten Drei-Phasen-Plan aus humanitärer Hilfe, Early-Recovery-Maßnahmen und Wiederaufbau. Im Kern zielt er darauf ab, die Küstenregion wieder aufzubauen, ohne die Bewohner auszusiedeln. Vielmehr soll die Bevölkerung in temporären Unterkünften leben, bis ihre Wohnorte wiederaufgebaut sind.
Für eine Übergangsphase von einem halben Jahr soll ein Komitee palästinensischer Technokraten – ohne Beteiligung der Hamas oder anderer politischer Gruppierungen – unter dem Dach der PA der Ansprechpartner für den Wiederaufbau sein. Danach soll eine reformierte PA die Kontrolle übernehmen. Jordanien und Ägypten würden palästinensische Polizeikräfte ausbilden. Die Sicherheit soll zudem durch eine vom UN-Sicherheitsrat mandatierte internationale Präsenz gewährleistet werden. Diese würde nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland stationiert. Der Wiederaufbau wäre eingebettet in einen Prozess der dauerhaften Konfliktregelung durch zwei Staaten auf der Basis der Grenzen von 1967 und würde mithilfe einer Geberkonferenz finanziert.
Auch der arabische Plan bietet viele Ansatzpunkte für Kritik, fußt er doch auf einem extrem ambitionierten Zeitplan. Zudem scheint die Planung auch hier weniger von den örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen auszugehen als auf eine Profitmaximierung ägyptischer Unternehmer abzuzielen. Die Einbeziehung palästinensischer Firmen und Arbeitskräfte in die Bautätigkeiten spielt keine zentrale Rolle. Der Knackpunkt liegt aber vor allem bei der Frage, wie Ordnung und Sicherheit gewährleistet werden können. Zwar erklärte die Arabische Liga, dass es nur einen legitimen Sicherheitsapparat geben solle.
Ihr Dokument zeigt aber nicht auf, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Vertreter der Hamas signalisierten im Rahmen der Verhandlungen über die Umsetzung der Waffenruhe, dass sie durchaus willens sind, auf die Kontrolle des Küstengebiets und eine Beteiligung an der Regierung zu verzichten. Zu einer Entwaffnung zeigten sie sich, so verlautete es zumindest aus direkten Gesprächen mit dem US-Geiselbeauftragten, allerdings nur im Rahmen einer langfristigen Konfliktregelung bereit.
Würde die Hamas auch gegen ihren Willen entwaffnet und durch wen? Würden ihre Führungskader den Küstenstreifen verlassen?
Damit bleibt offen: Würde die Hamas auch gegen ihren Willen entwaffnet und durch wen? Würden ihre Führungskader den Küstenstreifen verlassen? Oder würde sich die »Islamische Widerstandsbewegung« nur offiziell aus dem politischen Geschehen zurückziehen, um aus dem Untergrund weiter die Strippen zu ziehen?
Darüber hinaus stehen die im arabischen Plan enthaltenen Punkte einer Übernahme der Kontrolle durch die PA, UN-mandatierte Truppen im Westjordanland und das Ziel einer Zweistaatenregelung im eklatanten Widerspruch zu den Positionen der israelischen Regierung. Entsprechend wurde der arabische Ansatz von Israels Außenminister, aber auch vom State Department und dem Weißen Haus umgehend abgelehnt. Lediglich der US Sondergesandte Steve Witkoff sah ihn als Ausgangspunkt für weitere Gespräche und nannte ihn einen ersten Schritt mit »vielen überzeugenden Elementen«. Die PA, die Hamas, die Organisation der Islamischen Konferenz und ausgewählte europäische Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) stellten sich hingegen hinter den arabischen Vorstoß.
Damit hat zunächst keiner der beiden Ansätze die notwendige Unterstützung insbesondere der Golfstaaten, der Nachbarn Israels und der USA. Nur gemeinsam könnten diese gegenüber den Konfliktparteien einen Ansatz durchsetzen, der Aussicht auf eine dauerhafte Konfliktregelung verspricht. Dazu müsste auch ein ernst zu nehmender Sicherheitsplan gehören, der die Entwaffnung der Hamas, die Rückkehr der PA und eine internationale Sicherheitspräsenz ebenso einschließt wie eine konkrete Perspektive palästinensischer Selbstbestimmung.
Der Wiederaufbau in Gaza steht unter anderem in Konkurrenz zum Geber-Engagement im Libanon und in Syrien
Kernstück müsste ein verhandeltes Arrangement sein, das einen dauerhaften Waffenstillstand und eine Öffnung des Gazastreifens für humanitäre Hilfe und Wiederaufbau damit verbindet, dass die Hamas ihre Waffen niederlegt, ihre Führungsriege und Kämpfer exiliert werden und Israel sich verpflichtet, sie nicht zu verfolgen. Selbst wenn dies gelänge, bleibt die immense Herausforderung, die nötige Finanzierung für den Wiederaufbau – von Weltbank, UN und EU auf umgerechnet über 45 Milliarden Euro geschätzt – aufzutreiben, steht Gaza doch unter anderem in Konkurrenz zu dringlichen Wiederaufbaubemühungen im Libanon und in Syrien.
Trotz anhaltender Vermittlungsbemühungen der USA, Katars und Ägyptens zeichnete sich Mitte März eine Rückkehr zum Krieg ab. Israels Regierung nahm die Bombardierungen des Gazastreifens wieder auf, um Hamas zu einer Verlängerung der Phase 1 des Abkommens und der Freilassung aller Geiseln zu zwingen. Schon Anfang März hatte Israel einmal mehr die Einfuhr aller Hilfslieferungen nach Gaza gestoppt.
Ohnehin hatte Netanyahu, nicht zuletzt unter dem Druck seiner rechtsextremen Koalitionspartner, stets betont, dass er sich eine Fortsetzung des militärischen Kampfes gegen die Hamas vorbehält. Der US-Präsident, der schon vor seinem Amtsantritt auf einen Waffenstillstand gedrängt hatte, schien ihm dafür einen Freibrief zu erteilen. Und dies, obwohl sowohl eine Fortsetzung des Krieges als auch eine weitere Eskalation im Westjordanland seinen Ambitionen, sich als Friedensstifter zwischen Israel und Saudi-Arabien zu profilieren, diametral entgegenstehen.
Die Folgen einer Wiederaufnahme der Kriegshandlungen und einer Rückkehr zur direkten militärischen Besatzung sind für die Bevölkerung in Gaza noch verheerender als die ersten 15 Monate – nicht zuletzt, weil amerikanischer Druck in Bezug auf die Art der Kriegsführung und humanitäre Hilfe völlig entfällt. Dass dies eine Deradikalisierung bewirkt, ist nicht zu erwarten.
Dr. Muriel Asseburg ist Nahostexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Im März 2025 veröffentlichte sie zuletzt »Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza« beim Verlag C.H. Beck.